Dübeln statt Grübeln im Land der Hämmer: Warum es immer etwas zu tun gibt
Do-it-yourself hält nicht nur handwerkliche Fähigkeiten am Leben, es nutzt auch dem Kopf. Dübeln und Grübeln gehören zusammen wie Hand und Kopf, findet Dr. Alexandra Hildebrandt. Anders sei die Welt nicht zu reparieren.
Das Land der Dichter und Denker steht heute auch für eine Kultur und Mentalität des Selbermachens, in der es keinen Müßiggang, sondern nur den Gang in Baumärkte gibt. Erfunden wurde der Baumarkt in Amerika – nach seinem Vorbild griff die Massenpsychose 1960 mit dem ersten „Bauhaus Fachcentrum“ in Mannheim auf Deutschland über. Vor allem an den Wochenenden stürmen Deutsche diese Orte und erinnern dabei zuweilen an Ameisen, die mit ihrer Arbeit niemals fertig werden. Dieser Zeitgeist spiegelt sich auch in der Werbung: „Es gibt immer was zu tun“ oder „Respekt wer‘s selber macht“. Die Deutschen hämmern, dübeln und bohren wie die Weltmeister. Schon Reinhard Mey besang die „Männer im Baumarkt“. In Deutschland gibt es mehr als 2100 Baumärkte, davon allein in München 31. Es ist der größte Absatzmarkt nach den USA und China.
Selber bauen in der Welt der Fertigprodukte
2015 erschien die deutsche Ausgabe von Tim Leberechts Buch „Business Romantiker“, der kritisiert, dass die Datafizierung der Arbeitswelt und das moderne, rationale Management darauf aus ist, „den Raum für Unwissen und Uneindeutigkeit ständig zu reduzieren, auf der Basis einer objektiven, empirisch prüfbaren Wahrheit.“ Die Formel „Nur was wir messen, können wir auch managen" sei für viele Manager ein letzter Ort der Geborgenheit in einer immer komplexeren Welt. Das Spannende liegt für ihn darin, das Romantische als wirtschaftliche Notwendigkeit zu begreifen, „denn ohne Aura, ohne Mysterium, ohne unbedingte Emotionalität und ohne Transzendenz verkommt eine Marke, ein Unternehmen irgendwann zum Automatismus - und der lässt sich leicht kopieren und gegenüber Wettbewerbern optimieren.“
Auch die Do-it-yourself-Bewegung und die Wiederkehr des (Kunst)Handwerks spielen hier eine wichtige Rolle: Mal ist es auf kreatives Hervorbringen oder auf Reparieren und Instandhalten ausgerichtet, oder es trägt einfach nur Züge eines Hobbys. DIY ermöglicht die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, die hier auch als Mittel der Rückeroberung gesellschaftlicher Teilhabe gelesen werden kann. Ihre Ideologie lehnt sich gegen Elitismus und Handwerksgeheimnisse auf und plädiert für das Teilen von Ressourcen. DIY gilt heute als „Mitmach-Revolution“. Das Endprodukt des Selbermachens, das viel Aufmerksamkeit erforderte, ist zugleich ein sichtbares Zeugnis über den eigenen Zeitgebrauch.
Jonathan Voges beschreibt in seinem Buch „Selbst ist der Mann“ (auch Titel des sechzig Jahre alten Magazins), die DIY-Idee als Wohlstandsphänomen, da höhere Einkommen und mehr Freizeit das intensive (Heim)Werkeln ermöglichen. Bereits 1958 prognostizierte der 29-jährige Philosoph Jürgen Habermas eine „Bastelbewegung“. Als Ursache nannte er „psychische Ermüdung“ und “nervöse Abnutzung“ durch die „Spurlosigkeit“ der entfremdeten Erwerbsarbeit: „So zimmern wir den Tisch, statt ihn an der nächsten Ecke besser und billiger zu kaufen“.
Man wird dem DIY-Thema nicht gerecht, wenn man es nur auf einen romantischen Gegentrend zur kalten Welt der Algorithmen reduziert. Auch lohnt es sich, tief in die Welt der Klassik und Romantik eindringen, weil hier verortet ist, was heute in neuer Verkleidung wiederkehrt. Urheber des DIY ist nämlich niemand Geringerer als Friedrich von Schiller: „Die Axt im Haus erspart den Zimmermann.“ Ende des 18. Jahrhunderts wurde im deutschsprachigen Raum bereits über einen Niedergang („Verfall“) des Handwerks geklagt. Vor allem die in Großstädten mit ihren wachsenden Fabriken, in der Arbeitsteilung, Spezialisierung und Rationalisierung Einzug hielten, aber auch die ständig wechselnden Moden seien schuld daran, dass das Handwerk zunehmend verkomme. Um 1800 findet die Auseinandersetzung mit dem Thema dann einen ersten Höhepunkt: in klassischen Bildungsromanen (Goethes Wilhelm Meister-Romane) und romantischen Künstlerromanen sowie in einer Vielzahl von Erzählungen widmen.
Handarbeit zur Vermeidung des Müßiggangs
Bereits die Romantiker flohen vor Hast und Konsumhunger und der Mechanisierung der Lebensvorgänge in die Natur. In der Literatur ist der Wald allerdings nicht nur ein Ort der Natur und Verklärung, sondern auch ein merkantil dargestellter Raum, in dem auch Waldwirtschaft betrieben wird – beispielsweise im Märchen „Das kalte Herz“ von Wilhelm Hauff. Viele anregende Beispiele und Hintergrundinformationen, die auch für das Verständnis unserer Gegenwart hilfreich sind, finden sich im Sammelband von Claudia Lillge, Thorsten Unger und Björn Weyand „Arbeit und Müssiggang in der Romantik“. Es ist ein großer Verdienst dieses Buches, das Thema DIY nicht einseitig zu reduzieren auf Lob des Müßiggangs oder das ausschließlich tätige Leben. Beides findet oft parallel statt oder geht fließend ineinander über. Sie öffnen eine Welt zu einem facettenreichen Spektrum romantischer Figuren, die als Fleißige oder Faulpelze, Künstler oder Taugenichtse, Wanderer oder Mittagsschläfer die imaginierten Welten bevölkern.
Sie weisen aber auch nach, dass Handarbeit damals auch gern benutzt wurde, um Müßiggang zu vermeiden: So unterbrechen die strebsamen Zwerge im Märchen „Schneewittchen“ ihre Arbeit lediglich aufgrund ihrer Trauer um das Mädchen – haben sonst aber keine „Freizeit“. Müßiggang kennen sie nicht.
Auch heute gibt es immer was zu tun, wie die Werbung der Baumärkte suggeriert. Das ist gut, weil handwerkliche Arbeit auf Dinge bezogen ist, die Körper und Geist gleichermaßen erfüllen und befriedigen. Aber auch, weil die einseitige Beschäftigung mit der digitalen Welt und das ausschließliche Vertrauen in die Automatik handwerkliche Fähigkeiten sonst verkümmern lassen würde. Andererseits wirkt die Romantik heute noch immer nach, weil sich damals die Klügsten auch Zeit zum Denken genommen haben. Dübeln und Grübeln gehören zusammen wie Hand und Kopf. Anders ist die Welt nicht zu reparieren.
Weiterführende Informationen:
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Wohnen 21.0: Grundzüge des Seins von A bis Z: global – lokal –nachhaltig. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2018.
Jan Heidtmann: Urbi et Obi. In: Süddeutsche Zeitung (20./21./22.4.2019), S. 11-13.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.