Macht sich für Frauenrechte stark: Irene Natividad. Foto: Brook Mitchell/Fairfax/Headpress/laif
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„Ein Unternehmen ist nur so gut wie der aktuelle Chef“

Irene Natividad hat vor 35 Jahren das Davos der ­Frauen gegründet. Ein Gespräch über Beharrlichkeit, Optimismus und die Wirkung von Boni.

WirtschaftsWocheWirtschaftsWoche: Frau Natividad, Sie setzen sich seit Langem dafür ein, dass Frauen den gleichen Platz wie Männer in der Wirtschaft einnehmen. Keine ­einfache Aufgabe. Wann waren Sie zuletzt kurz davor, alles hinzuschmeißen?
Irene Natividad: Oh, in letzter Zeit fast jeden Tag. Die Leitlinien und Gesetze, die Frauen in den USA zu gleichberechtigten Akteuren am Arbeitsplatz oder in der Gesellschaft insgesamt gemacht haben, sind einfach verschwunden. Es scheint ein Bestreben zu geben, nicht einmal anzuerkennen, dass Frauen einen großen Beitrag in der Wirtschaft leisten. Und das ist ein Signal, das auch anderswo wahrgenommen wird.

In anderen Ländern. Aber auch in manch einem Unternehmen, in dem einige ohnehin dachten: Jetzt ist auch mal genug mit Frauenförderung! 
Es ist ja nicht so, dass Frauen 50 Prozent an der Spitze von Unternehmen stellen. Weit gefehlt. Wenn Sie nun die Initiativen, die uns dies ermöglichen, zurückdrängen, schaffen Sie eine düstere Zukunft.

Sie haben viele Firmen dabei unterstützt, mehr Frauen in die Führung zu bringen. Was hat sich als besonders erfolgreich erwiesen?
Das börsennotierte Cateringunternehmen Sodexo hat mich sehr beeindruckt. Die haben ihre Daten zum Umsatz mit den Daten zum Personal zusammengeführt. Das Ergebnis: Die produktivsten Teams hatten einen Frauenanteil von mindestens 40 Prozent. Frauen einzubeziehen, das ist der Schlüssel zur Produktivität. Und Sodexo hat dem mittleren Management dies verdeutlicht. Denn diese Ebene, nicht der Vorstand, versperrt Frauen den Weg nach oben. Aber ich glaube nicht, dass viele Unternehmen so an die Sache gehen.

Genügt es, wenn Führungskräfte die Daten haben? Braucht es nicht auch Anreize wie etwa Boni, damit sie die richtigen Schlüsse daraus ziehen?
Finanzielle Anreize sind wichtig. Als eines von vielen Instrumenten. Ich war dabei, als die australische Bank Westpac ihr selbst gestecktes Ziel von 50 Prozent Frauen in Führungspositionen erreicht hat. Die haben auch auf Boni gesetzt, auf Daten, auf Schulungen. Aber es hat zehn Jahre gedauert. Es braucht also auch Geduld.

Verstehe.
Wissen Sie, eine Sache, die wir gerade lernen: Wir müssen wachsam bleiben. Die Dinge ändern sich – und auf einmal ist Vielfalt eben nicht mehr so wichtig. Ein Unternehmen ist nur so gut wie der aktuelle Chef.

Immerhin, Sie haben noch nicht hingeschmissen. Anfang Juli organisieren Sie in Berlin den Global Summit of Women, der als Davos der Frauen gilt. Woher nehmen Sie die Energie dafür?
Aktivisten sind im Grunde ihres Herzens Optimisten. Sie würden nicht weiterkämpfen, wenn sie nicht glauben würden, dass es eine bessere Zukunft gibt. Ich bin jetzt 76 Jahre alt. Keine junge Frau mehr, die auf der Straße marschiert. Also versuche ich, andere Wege zu finden, um mich zu wehren. Aber wissen Sie, ich bin irgendwie dankbar, dass ich mein Leben für diese Sache gegeben habe.

Der geht davon aus, dass einige Regionen vor einem Bevölkerungskollaps stehen – und damit auch vor dem Verlust wirtschaftlicher Stabilität.
Elon Musk ist einer ihrer Anhänger und hat deshalb 14 Kinder von drei Partnerinnen. Und kürzlich hat Donald Trump angekündigt, dass er vielleicht einen 5000-Dollar-Bonus für jedes neu geborene Baby einführt. So wie in Polen…

…wo die konservative PiS-Regierung seit 2015 das Kindergeld deutlich erhöhte – und auch mit anderen Maßnahmen Müttern die Kinderbetreuung zu Hause schmackhaft zu machen versuchte.
Je mehr Kinder eine Frau hatte, desto mehr Geld bekam sie. Manchmal war das mehr als das, was sie bei der Arbeit verdient hätte. Und das war der eigentliche Zweck. Vielleicht ist der aktuelle Roll-back so stark, weil wir so viel erreicht haben. Vielleicht sind Frauen eine zu große Bedrohung geworden, zumindest die neue, die moderne Frau?

Warum?
Es ist erfüllend. Ich glaube daran: Frauen sind beharrlich genug, um diesen Roll-back einzudämmen. Es gibt jetzt einfach mehr von uns, mehr Gebildete, mehr Akademikerinnen. Mehr Berufserfahrung. Mehr Ehrgeiz. Und deshalb denke ich, dass es schwieriger sein wird, die Uhr zurückzudrehen.

Erwartet nicht, dass sich irgendwer für eure 
Anliegen ein­setzen wird, nur weil ihr es wollt

Hat es Sie überrascht, wie schnell manche Firmen nach dem Gepoltere von US-Präsident Donald Trump ­ihre Diversity-Programme gekappt haben?
Eigentlich fing es schon eher an. Nachdem der Oberste Gerichtshof der USA im Juni 2023 die positive Diskriminierung an Universitäten als unzulässig eingestuft hatte, konnte man die Ethnie nicht mehr für die Zulassung heranziehen. Und schon damals dachten sich einige Unternehmen, oh, wir sind die Nächsten, und zogen zurück. Trumps Verbot von Initiativen zur Förderung von Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion hat das nur noch beschleunigt. Der Präsident will keine Vielfalt in seiner Verwaltung – und hat den Unternehmen, die Aufträge der US-Regierung erhalten wollen, einen Deal vorgeschlagen: Nur wenn ihr euch an meine Anordnung haltet! So haben die Firmen, die nie wirklich von den Programmen zur Förderung von Minderheiten überzeugt waren oder sie einfach nur hatten, weil alle anderen sie hatten, diese gestrichen. Allen voran die Tech-Companys wie Amazon und Meta.

Bei Meta-Chef Mark Zuckerberg, dessen Idee zu Facebookdarauf ­basierte, das Aussehen seiner Kommilitoninnen in Harvard zu bewerten, überrascht dies vielleicht nicht. Aber Jeff Bezos hätten die meisten Menschen doch einen anderen moralischen Kompass zugetraut.
Weil er die Washington Post gekauft hat?

Ja, auch. War das naiv? 
Nun, vergessen Sie nicht, dass Amazon ein riesiges Unternehmen ist, das gute Geschäfte mit der US-Regierung macht. Am Ende geht es immer ums Geld.

Deprimierend.
Es gibt auch Unternehmen, die da nicht mitmachen. Der CEO von Marriott hat deutlich gemacht, dass Vielfalt zu den Unternehmenswerten gehört – und er sich davon nicht verabschieden wird. Jamie Dimon von JP Morgan hat das Gleiche gesagt. Diese Manager haben durchaus einen Einfluss. Und vor ein paar Wochen habe ich Aurore Bergé getroffen.

… die französische Ministerin für die Gleichstellung von Frauen und Männern, die es sich verbeten hatte, dass die US-Botschaft französische Niederlassungen von US-Unternehmen aufgefordert hat, ihre Diversity-Programme zu überdenken …
Ich habe ihr gesagt: Diese Tochtergesellschaften unterliegen französischen Gesetzen – und die sind viel strenger als US-amerikanische. Ebenso wie die deutsche Gesetzgebung zum Schutz vor Diskriminierung. Sie haben alle möglichen Gesetze: bezahlten Elternurlaub; eine Vorschrift, die Unternehmen verpflichtet, jedes Jahr zu berichten, wie es um die Lohngleichheit bestellt ist; Quoten für Frauen in den Aufsichtsgremien. Sie haben starke Gesetze. Und die sind immer noch in Kraft.

Männer, die Frauen kleinhalten, sind das eine. Frauen, die ihren Platz nicht vehement genug einfordern, das andere. Sind wir Frauen manchmal nicht auch zu zurück­haltend?
Vor allem in Deutschland fällt mir auf, dass Frauen nicht so laut sind. Und ich frage mich, woran das wohl liegt. In Westeuropa war Deutschland das letzte Land, das eine Quote für Frauen in Aufsichtsräten eingeführt hat. Also ja: Ihr müsst euch organisieren! Wissen Sie, Anfang der 2000er-Jahre, da saß ich bei einer Konferenz auf diesem Podium. Danach kamen all diese Frauen auf mich zu: Warum tut die Regierung nicht dies? Warum tun Unternehmen nicht das? Und ich sagte ihnen, man müsse bei sich selbst anfangen. Man kann nicht immer nur von der Wirtschaft und der Regierung erwarten, dass sie die Dinge in Ordnung bringen. Der Drang nach Veränderung muss von den Frauen selbst kommen, sie müssen die Energie dazu aufbringen. Erwartet nicht, dass sich irgendwer für eure Anliegen einsetzen wird, nur weil ihr es wollt!

Es hat sich seither einiges getan. Aber das birgt auch die Gefahr, dass wir das Erreichte für gegeben erachten. Oder nicht?
Im Moment ist es ziemlich ruhig. Die Auswirkungen dessen, was in den USA gerade geschieht, sind noch nicht vollständig zu spüren. Deshalb ist es wichtig, dass die weiblichen Führungskräfte sich zu Wort melden – und klarmachen: Wir sind hier, und wir beobachten euch.

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