Eine gute Employer-Brand ist NICHT Everybody’s Darling …
Eine Employer-Brand ist ein Instrument zur Verbesserung der SELBTSELEKTION. Branding dient nicht dem Zweck, möglichst viele Bewerber anzuziehen. Sie dient dem Zweck, die RICHTIGEN anzuziehen.
Das klassische Employer-Branding ist tot!Stefan Scheller
So titelte vor ein paar Jahren der geschätzte Persoblogger Stefan Scheller. Sinngemäß übersetzt meinte er damit, dass vieles von dem, was einem heute unter dem Label Employer-Branding aufgetischt wird, weder den Namen verdient hat noch geeignet ist, bei der Personalgewinnung zu helfen.
Und er hat durchaus recht …
Um das vielleicht dem einen oder der anderen mal zu erklären oder in Erinnerung zu rufen: Der Begriff Branding leitet sich in der Tat vom Brandzeichen ab. Rancher „markieren“ mit einem solchen Brandzeichen ihren Viehbestand, damit sie ihre Tiere, die teilweise frei im Gelände unterwegs sind, von den Tieren ihres Nachbarn unterscheiden können, auch wenn sich die Herden möglicherweise mischen.
Es geht beim Branding also um Unterscheidbarkeit!Jo Diercks
Wie die „Club der Gleichen“-Untersuchungen von Manfred Böcker und Sascha Theisen eindrucksvoll bestätigt haben, ist das allermeiste von dem, was Unternehmen heute als Employer-Branding praktizieren aber das genaue Gegenteil von Unterscheidbarkeit …
Alle sind „leidenschaftlich“, alle bieten „spannende Herausforderungen“ und „attraktive Aufgaben“, natürlich „kollegiale Atmosphäre“ und setzen auf „das Team“, sind erfolgreich usw.
Die Arbeitgebermarken tragen also alle das gleiche Brandzeichen, die gleiche „Markierung“. Dadurch sind es ex definitione auch keine Marken mehr, und die Schlussfolgerung lautet eben: Employer-Branding ist tot …
Und dabei wäre es eigentlich wichtiger denn je, durch eben jenes Branding Unterschiede sichtbar werden zu lassen und Unterscheidbarkeit zu erzeugen. Warum? Nee, keine Angst, ich fange nicht mit „War for Talents“ und „Fachkräftemangel“ an. Nein, der Grund ist viel einfacher. Es hat was mit Selbstselektion zu tun.
Ganz einfach: Je besser die Selbstselektion, desto besser das Recruiting.Jo Diercks
Das klingt nach einer Binse und ist seit etlichen Jahrzehnten nicht nur bekannt, sondern statistisch bewiesen. Aber ich werde den Eindruck nicht los, dass diesen ganz simplen Zusammenhang einfach viele immer noch nicht begriffen haben, auch wenn dies jüngst gerade wieder Talentsconnect-CEO Robin Sudermann in seiner Kolumne „Human Resources“ im „Manager Magazin“ sehr schön auf den Punkt brachte:
Es mag paradox klingen, aber die beste Stellenausschreibung ist eine, die abschreckt – und zwar die unpassenden Bewerbenden – und im Umkehrschluss nur die richtigen Talente anzieht.Robin Sudermann
Deshalb habe ich mir einmal die Mühe gemacht, den Zusammenhang mit einem ganz einfachen Zahlenbeispiel zu erklären:
Ein fiktives Unternehmen erhält 100 Bewerbungen und wählt davon 50 Personen aus (50% Selektionsquote). 50% der Bewerber sind auch tatsächlich „geeignet“ (50% Grundquote). Bei einer angenommenen prognostischen Validität der eingesetzten Auswahlinstrumente von 0,6 (das entspricht laut der Meta-Studie von Schmidt und Hunter aus dem Jahr 1998 etwa der Kombination aus einem Intelligenztest und der Analyse biografischer Merkmale des Bewerbers, also dem Lesen des Lebenslaufs), führt dieser Auswahlprozess zu einer Trefferquote von 70%.
Das heißt: Von den letztlich ausgewählten 50 Personen sind 35 auch tatsächlich geeignet – 15 aber nicht. Nicht so toll …
Wie lässt sich Qualität der Personalauswahl nun verbessern?
Klar, mag sich der eine oder andere sagen, „bessere“ Auswahlinstrumente müssen her!
Stimmt natürlich. Wenn man diese verbessert (also zum Beispiel noch einen Test mehr, noch ein weiteres Interview, noch ein Assessment-Center), dann wird es wahrscheinlich besser (in der obigen Grafik würde die grüne Ellipse noch „schmaler“ werden). Aber das Problem ist: Eine Verbesserung über den hier angenommenen Wert von 0,6 bei der prognostischen Validität ist gar nicht so einfach. Teilweise klären zusätzliche Auswahlinstrumente nämlich gar nicht Zusätzliches auf (inkrementelle Validität = null), teilweise nur sehr wenig. Aber jedes weitere Instrument macht den Auswahlprozess länger, komplexer, teurer und möglicherweise auch aus Sicht der Kandidaten unattraktiver …
Wo sich allerdings richtig was gewinnen lässt, ist bei der Verbesserung der Selbstauswahl!
Gelänge es in unserem kleinen fiktiven Zahlenbeispiel, etwa den Anteil „geeigneter“ Kandidaten unter den Bewerbern von 50% auf 70% zu erhöhen, so würde allein dies zu einer Steigerung der Trefferquote von 70% auf 88% führen. Und das selbst dann, wenn alles andere gleich bliebe, sich also am eigentlichen Auswahlprozess gar nichts änderte.
Von den 50 eingestellten Personen wären jetzt 44 tatsächlich auch geeignete Mitarbeiter!
Wie erhöht man denn nun aus Unternehmenssicht den Anteil der „geeigneten“, die Grundquote. Wie bewegt man diejenigen, die man haben will, dazu, sich zu bewerben, und hält diejenigen, die man nicht haben will, davon ab?
Es erscheint einleuchtend, dass man das nur schwerlich durch Auswahlinstrumente im klassischen Sinne beeinflussen kann. Die Entscheidung, sich zu bewerben, trifft der Kandidat ja vorher.
Darauf kann das Unternehmen allenthalben mit kommunikativen Maßnahmen im Personalmarketing und einer klar umrissenen und distinkten Arbeitgeberpositionierung und -marke Einfluss nehmen.
Damit die Selbstselektion gut gelingt, muss das Employer-Branding gut sein, und damit meine ich, eine „echte Unterscheidbarkeit“ zu ermöglichen. Arbeitgeber müssen sich maximal transparent machen (vielleicht auch über neue Technologien wie Recruiting-Games oder Metaverse-Applikationen).
Unternehmen müssen endlich klarmachen, wer oder was sie sind. UND wer oder was nicht!Jo Diercks
Es geht um (An)Locken (der „Richtigen“) und Abschrecken (der „Falschen“). Es geht um weniger Bewerber und mehr Treffer. Mehr Signal, weniger Noise … wem hier das Wörtchen „Orientierung“ in den Sinn kommt, der liegt sicher nicht ganz falsch. Womit wir beim Matching wären, doch dazu gibt es in meinem Blog reichlich weitere Artikel, das vertiefe ich jetzt mal nicht weiter …
Und natürlich sind wir mal wieder bei der Forderung nach Authentizität und Mut.
Eine gute Employer-Brand ist NICHT Everybody’s Darling!Jo Diercks
Wobei man das Wörtchen „gut“ hier auch weglassen kann, denn in dem Moment, wo die Arbeitgebermarke nicht mehr jedem gefällt, sondern nur noch denjenigen, die auch passen, ist die Employer Brand „gut“.
Die Bedeutung der Selbstselektion ist heute schon hoch, wird aber über die nächsten Jahre noch mal dramatisch zunehmen. Denn: Die Bedeutung der Eignung, also Fertigkeiten, die für die Ausübung einer Tätigkeit erforderlich sind, wird aufgrund der sich immer schneller verändernden fachlichen Anforderungen sicherlich abnehmen. Die Bedeutung des Potenzials, also der Fähigkeiten (unter anderem derer, neue Fertigkeiten zu erlernen) und vor allem die Bedeutung der Passung werden hingegen steigen. Und mit Passung ist eine hinreichende Übereinstimmung von Unternehmen und Tätigkeit auf der einen Seite und Mitarbeiter auf der anderen in Bezug auf Unternehmenskultur und -werte, Interessen und Persönlichkeit genauso gemeint wie Vereinbarkeit der Tätigkeit und ihrer Organisation mit dem aktuellen Lebensmodell.
Damit dem Wirkungshebel der Selbstselektion in der Personalgewinnung auch der nötige Nachdruck verliehen wird, ist es außerdem nur konsequent, zu fordern, dass auch die in vielen Unternehmen noch vorhandene organisatorische Trennung von Recruiting auf der einen Seite und Employer-Branding auf der anderen überwunden wird. Beides nimmt direkten Einfluss auf die Qualität der Personalgewinnung und ist nicht trennbar.
Das bedeutet wiederum, dass der vielzitierte „Recruiter4.0“ auch Vertriebler und Marketer sein muss.
Will sagen: Das Employer-Branding ist NICHT tot!
Es wäre nur mal an der Zeit, dass die Unternehmen anfangen, Unterscheidbarkeit zu erzeugen und wirkliches Employer-Branding zu betreiben …
Übrigens, wer hier tiefer einsteigen mag: Um diese Zusammenhänge und die zentrale Bedeutung der Selbstselektion geht es auch in unserem jüngst erschienenen Buch "Recrutainment - Gamification in Employer Branding, Personalmarketing und Personalauswahl", das seit Kurzem bei SpringerGabler erhältlich ist...
PS: Dieser Artikel erschien übrigens nahezu identisch erstmals im Sommer 2017 im Recrutainment Blog. Er hat nichts von seiner Aktualität verloren...