Wenn CEO sich auf einen Kaffee treffen, ist das heute eher möglich als früher. - Andrea Caprez
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Einen Kaffee trinken mit der Konkurrenz – so viel ist erlaubt

Der Konkurrent als Gegner – das war einmal. Heute kennen sich die CEO konkurrierender Firmen. Doch die Kontakte sollten nicht zu eng werden.

Der Chef des zweitgrössten Autoherstellers und sein schärfster Konkurrent schiessen zusammen ein Selfie? Die Automobilwelt staunte nicht schlecht, als Volkswagen-Chef Herbert Diess im September 2020 auf Twitter ein ganz besonderes Foto postete. Darauf zu sehen war der CEO selbst – zusammen mit Elon Musk, dem Chef von Tesla und Angstgegner der deutschen Autobauer. Das schreckte Diess jedoch nicht ab.

Überhaupt ging er sehr freundlich mit dem US-Autotitan um. «Danke, Elon, dass du immer über den Tellerrand hinausschaust», twitterte Diess zu anderer Gelegenheit. Diese Nettigkeiten könnten ihm zum Verhängnis geworden sein.

Als der Volkswagen-Chef im Juli überraschend entmachtet wurde, hiess es von Insidern, Diess habe mit seinem Kuschelkurs gegenüber Musk intern viele verärgert. Doch wie nett darf ein Topmanager zur Konkurrenz sein – und wann wird persönliche Nähe gefährlich?

Zeiten des aggressiven Gegeneinanders sind vorbei

Tendenziell lag VW-Chef Diess mit seinem Selfie richtig, denn die Zeiten des aggressiven Gegeneinanders im Management-Olymp sind vorbei. «Statt Krieg zu führen, stecken CEO heute lieber die Köpfe zusammen», beobachtet Stefan Vogler, Dozent und Studiengangsleiter an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich.

Der Berater war 23 Jahre lang im Marketing tätig, zuletzt als Chairman der Werbeagentur Grey Switzerland. «Alle Unternehmen wissen heute, dass sie die globalen Herausforderungen nicht mehr alleine lösen können», begründet Vogler.

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Ein weiterer Grund für mehr Freundlichkeit im Business ist die steigende Zahl von Allianzen und Kooperation. Viele Konzerne arbeiten heute zeitweise mit Konkurrenten zusammen – Ford und Volkswagen zum Beispiel haben zusammen versucht, ein selbstfahrendes Auto zu bauen. Diese Mischung aus Mit- und Gegeneinander, Coopetition genannt, ist typisch für die Wirtschaft im 21. Jahrhundert. Und wenn der Boss der anderen morgen schon Kooperationspartner sein kann, geht man natürlich auch freundlicher mit ihm um.

Macho-Kultur an der Spitze ist vorbei

Michel Grunder, Co-CEO der Kommunikationsagentur Farner Consulting, bestätigt den Wandel im Zeitgeist. «Die Macho-Kultur an der Spitze ist vorbei. Unternehmen sind diverser aufgestellt und es gibt mehr Frauen in Führungspositionen.» All das führe zu einer anderen Tonalität – auch gegenüber dem Wettbewerber.

«Im Zeitalter der Stakeholder-Ökonomie, die durch Social Media beschleunigt wird, müssen Unternehmen die Gesellschaft als Ganzes adressieren.» Das habe Einfluss auf die Inhalte – und der Ton werde freundlicher, so der Co-Chef der führenden Schweizer Kommunikationsberatung.

Das neue Miteinander lässt sich schon an der Wortwahl ablesen. Früher war es in vielen Firmen schlichtweg verboten, die Konkurrenz namentlich zu erwähnen – quasi wie in der Welt von «Harry Potter», wo der Name des Bösewichts Voldemort nicht genannt werden darf.

Generell dominierte eine kriegerische Rhetorik. Man sprach von der anderen Firma als «Gegner», den es zu besiegen galt. Dieser aggressive Ton hat nicht überlebt, beobachtet Businessveteran Vogler: «Die junge Generation holt das nicht ab.» Deshalb sprechen viele Kader heute lieber vom «Mitbewerber» als vom «Konkurrenten», in manchen Betrieben hat sich sogar die noch neutralere Bezeichnung «Marktbegleiter» eingebürgert.

Kitkat-Experiment zeigt: Der freundlichere Umgang gefällt auch Kundinnen und Kunden

Dieser softere Ton könnte sich auch beim Umsatz auszahlen. Denn Kundinnen und Kunden mögen Hersteller, die freundlich miteinander umgehen. Das konnte die US-Marketingprofessorin Keisha Cutright unlängst in einem Experiment nachweisen.

Ihr Team zeigte Probanden einen (fiktiven) Tweet von Kitkat, in dem der Schokoriegelhersteller den Wettbewerber Twix lobt: «Glückwunsch zum 54. Jubiläum. Sogar wir können zugeben, dass Twix köstlich ist.» Eine Kontrollgruppe sah dagegen einen reinen Werbe-Tweet von Kitkat mit dem Wortlaut «Starten Sie in den Tag mit einer leckeren Köstlichkeit».

Nach elf Tagen befragte die Forscherin die Testpersonen zu ihren Einkäufen. Alle, die den freundlichen Gruss von Kitkat an den Wettbewerber gesehen hatten, griffen mit einer 34 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit zu einem Riegel des Herstellers, berichtet Cutright in einem Beitrag für den «Harvard Business Review».

«Siegen, ohne zu triumphieren»

Der neue, versöhnliche Stil will geübt sein. Das Unternehmen darf die Konkurrenz nicht mehr verunglimpfen und muss stattdessen wie ein guter Kumpel agieren. Passé sind zum Beispiel «Wir gegen die»-Kampagnen – man denke an die epischen Werbeschlachten vergangener Tage wie die von Coca-Cola gegen Pepsi oder von Microsoft gegen Apple. Gleichzeitig muss man der Kundschaft klarmachen, warum sie eben doch nicht bei der Konkurrenz kaufen soll. Erfolge zu feiern, wird ebenfalls schwieriger.

CEO müssten lernen, «zu siegen, ohne zu triumphieren», meint Markenexperte Vogler. Anderseits darf der Umgang nicht zu freundlich werden. Biedert sich ein CEO regelrecht bei einem Vertreter der Konkurrenz an, könne das seine Glaubwürdigkeit beschädigen, warnt Verwaltungsrat Vogler. «Das ist eine Gratwanderung.»

Alte PR-Regeln gelten nach wie vor

Natürlich haben sich – trotz aller Nettigkeit – die alten Regeln guter PR nicht überlebt. «Es ist sinnvoller, primär über sich selbst zu sprechen», betont Farner-Chef Grunder. Das gelte vor allem in der offiziellen Unternehmenskommunikation.

Im privaten Social-Media-Auftritt dagegen könnten sich Führungskräfte oder Verwaltungsräte offener gegenüber Wettbewerbern zeigen. Wer von einem Event ein Foto postet, auf dem der Konkurrent zu sehen ist, habe kein Problem, so Grunder. Von einem Selfie mit einem scharfen Konkurrenten würde er dennoch «eher abraten».

Besonders problematisch wird es, wenn die CEO konkurrierender Firmen auch persönlich befreundet sind. Dann sollten sie ihre Gesprächsthemen besser vorsichtig wählen. «Der Mitarbeitende hat eine Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber und darf keine Betriebsgeheimnisse verraten», betont Michèle Stutz, Fachanwältin SAV Arbeitsrecht bei MME Legal/Tax/Compliance, Zürich. Namen von Kunden im Gespräch fallen zu lassen, wäre zum Beispiel ein klarer Verstoss gegen die Geheimhaltungspflicht – vorausgesetzt, die Information ist nicht öffentlich verfügbar.

Ebenfalls Tabu sind personelle Interna oder Details zu technischen Abläufen. Wer dem befreundeten Wettbewerber mehr verrät, als er dürfte, kann strafrechtlich belangt werden. Bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe sind möglich. In den meisten Fällen, die vor Gericht gehen, sind die Täterinnen und Täter übrigens schon aus dem Betrieb ausgeschieden. «Viele vergessen, dass die Geheimhaltungspflicht zeitlich unbegrenzt gilt», so Juristin Stutz.

Interessenkonflikte bei persönlichen Kontakten

Pflegt eine CEO zu enge Kontakte zu einer Konkurrentin, kann sie zudem in einen Interessenkonflikt geraten. Der droht zum Beispiel, wenn sich Topmanagerinnen gegenseitig Geld leihen. Ab welchem Betrag das problematisch wird, lässt sich pauschal nicht sagen, aber Anwältin Stutz rät generell zur Vorsicht: «Je höher die Funktion, desto grösser ist die Gefahr eines Interessenkonflikts.»

Zu Prozessen kommt es auch immer wieder, wenn ein Kader einen massgeblichen Anteil an der Konkurrenz erwirbt. Das kann eine fristlose Kündigung nach sich ziehen – vor allem, wenn der oder die Betroffene das Engagement verschweigt. Ausserdem kann der Arbeitgeber Schadenersatz fordern (wobei die Beweisführung hier in der Praxis schwierig ist).

In vielen Arbeitsverträgen wird mittlerweile eine Höchstgrenze für Beteiligungen an der Konkurrenz festgelegt, zum Beispiel 3 Prozent. «Öfter sieht man auch, dass gleich Vertragsstrafen für Verstösse vereinbart werden, zum Beispiel von einem Monatslohn», berichtet Stutz. Auch juristisch gilt also: Wer auf Nummer sicher gehen will, hält eine freundliche Distanz zum Mitbewerber.

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