Elon Musk und die Realität: Wie Versprechen und Fakten bei Tesla & Co. immer weiter auseinanderdriften
Elon Musk ist für Erfolge, aber auch für maßlose Übertreibungen und Täuschungsmanöver bekannt. Acht Grafiken zeigen, wie wenig man ihm noch trauen kann.
Es war am Nachmittag des 20. Juli 2017, als Tesla-Chef Elon Musk twitterte: „Ich habe gerade die mündliche Zusage der Regierung bekommen, dass die Boring Company einen unterirdischen Hyperloop für die Strecke New York-Philadelphia-Baltimore-Washington D.C. bauen kann.“
Die Boring Company ist eine von Musks Firmen. Das Unternehmen will unterirdische Hochgeschwindigkeitsbahnen bauen. Wenige Minuten nach dem ersten Tweet legte Musk nach: Neben der Strecke an der US-Ostküste werde er zeitgleich mehrere unterirdische Bahnen rund um Los Angeles und in Texas errichten. Schon in Kürze werde er nach der mündlichen Zusage auch die formale Zusage für die New Yorker Strecke bekommen. Zwei Stunden später schaltete sich der Sprecher des Bürgermeisters von New York ein und stellte klar: „Die Stadtverwaltung weiß davon nichts.“
Heute ist klar: Die angekündigten Projekte sind über die Ankündigungen von Musk selbst nicht hinausgekommen. Und die angebliche Zusage von Regierungsbehörden, sie war – nun ja – wohl irgendwie erfunden. Von den damals versprochenen Strecken gibt es bis heute keine. Bauarbeiten haben nie stattgefunden. Nur in Las Vegas gibt es eine kurze Teststrecke, in der aber kein Hochgeschwindigkeitszug verkehrt, sondern langsam fahrende, von Menschen gesteuerte Teslas.
Solche Fälle von völlig überverkauften Visionen, von Lügen, erfundenen Daten und getäuschten Kunden und Investoren sind – genauso wie große Errungenschaften – ein roter Faden in Elon Musks Leben. Die Diskrepanz zwischen dem, was Musk versprach, und dem, was er tatsächlich erreichte, war immer schon enorm. Weil er aber zugleich auch große Erfolge verbuchen konnte, sahen ihm dies viele Investoren nach. Das liegt wohl auch daran, dass Musk mehr als einmal gegen alle Widerstände und Wahrscheinlichkeiten an Dinge geglaubt hat, damit aber richtig lag – und danach als unfehlbar galt.
Musk entfernt sich immer weiter von der Realität
Doch wie lange trägt ihn dieses Heldenimage noch? Seit sich Musk politisch betätigt, damit das Image von Tesla beschädigt und zunehmend die angekündigten Ziele des Autobauers verfehlt, erreicht die Diskrepanz zwischen dem Versprochenen und dem Erreichten ein neues Level. Jüngstes Beispiel für seinen Realitätsverlust war eine Tesla-Verkaufsshow am Weißen Haus vor wenigen Wochen. Musk ließ Tesla-Autos vor dem Weißen Haus auffahren und pries sie zusammen mit US-Präsident Donald Trump vor der versammelten Weltpresse an. Dass Musk und Trump nicht die geeigneten Werbefiguren sind, dass vielmehr sie es sind, die der Marke gerade enorm schaden, schien Musk nicht in den Sinn zu kommen.
Wie klar erkennt Musk also noch die Lage bei Tesla? Er weiß zumindest, dass die Zeiten, in denen Tesla auf dem Markt für Elektroautos praktisch alleine agierte und die Fahrzeuge gar nicht so schnell bauen konnte, wie sie nachgefragt wurden, vorbei sind. Er weiß auch, dass insbesondere chinesische Konkurrenten so stark sind, dass Tesla gegen sie kaum noch eine Chance hat. Das hat er selbst gesagt.
Dennoch stellt er seinen Aktionären völlig entrückte Kursziele in Aussicht. Im Sommer 2024 verkündete er, dass Tesla durch den Verkauf von Robotern seinen Börsenwert um 25 Billionen Dollar steigern könnte. Allein dieser "Wert" der Roboter entspricht mehr als dem 30-fachen des heutigen, gesamten Tesla-Börsenwerts. Rein rechnerisch würden 25 Billionen Dollar einem Aktienkurs von 7788 Dollar entsprechen. Tatsächlich aber sank der Kurs der Tesla-Aktie seit der Wahl von Donald Trump um rund die Hälfte auf derzeit rund 240 Dollar.
Den Kapitalmarkt sollten solche irrwitzigen Versprechen Musks eigentlich nicht mehr in die Irre führen können, denn sie haben Tradition.
Als Tesla noch in den Kinderschuhen steckte, im Februar 2012, sagte Musk, sein Unternehmen brauche kein weiteres Kapital von Investoren, die Geldreserven seien ausreichend. Tatsächlich aber folgten 14 weitere Finanzierungsrunden.
Musk führte seine Aktionäre auch in die Irre, indem er 2018 ankündigte, er wolle Tesla von der Börse nehmen und behauptete, dafür stünden Investoren bereit. Wie sich später herausstellte, war das in etwa so zutreffend, wie die Baugenehmigung für die unterirdische Schnellbahn in New York.
2022 verlor die Tesla-Aktie stark an Wert und Musk versuchte, die Anleger zu beruhigen, indem er ihnen im April zusicherte, er plane keine weiteren Verkäufe von Tesla-Aktien. Tatsächlich aber verkaufte er im selben Jahr noch Aktien im Wert von über 14 Milliarden Dollar.
Musks riskanteste Übertreibung betrifft wohl die autonomen Fahrkünste seiner Autos.
Der Unternehmer hat selbst mehrfach eingeräumt, dass der hohe Börsenwert von Tesla nicht dadurch zu rechtfertigen sei, dass das Unternehmen gute Elektroautos herstellt. Das können heutzutage viele Unternehmen. Der Wert ergibt sich laut Musk aus den einzigartigen Fähigkeiten des Unternehmens, autonom fahrende Autos und Robotaxis herzustellen. So richtig diese Analyse sein mag: Erfüllt hat sein Unternehmen diese Hoffnung bislang nicht im Ansatz.
Geht es nach Musks Ankündigungen, müssten schon seit Jahren Millionen von vollautomatischen Tesla-Robotaxis auf den Straßen unterwegs sein. Tatsächlich gibt es bis heute nicht ein einziges funktionierendes Robotaxi von Tesla.
Dass Tesla – anders als das Google-Schwesterunternehmen Waymo oder mehrere chinesische Hersteller – noch keine Robotaxis anbieten kann, liegt daran, dass das Unternehmen bislang nicht in der Lage ist, autonome Fahrzeuge zu bauen. Das sind Fahrzeuge des Autonom-Levels 4 oder 5.
Während Waymo schon seit Jahren Robotaxis betreibt, die ganz ohne Fahrer auskommen oder nur einen Sicherheitsfahrer hinter dem Steuer haben, der im Notfall eingreifen kann, haben Teslas nur Assistenzfunktionen des Autonom-Levels 2+. Statt sich hier weiterzuentwickeln, macht Musk nur immer neue Versprechungen, die er nicht halten kann.
So versprach er am 8. April 2024, am 8. August des Jahres werde Tesla autonome Autos vorstellen. Bis heute ist daraus nichts geworden.
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Auch bei einer der wichtigsten Eigenschaften von Elektroautos, der Reichweite, versprach Musk das Blaue vom Himmel. 2015 schon kündigte er 1000 Kilometer Reichweite beim Model S für das darauffolgende Jahr an.
Bis heute kann er dieses Ziel nicht erreichen. Vielmehr bauten chinesische Hersteller Autos mit über 1000 Kilometer Reichweite. Auch der Schnellladerekord (5 Minuten) liegt bei einem chinesischen Hersteller: dem Weltmarktführer BYD. Teslas benötigen mindestens 20 Minuten.
Weil die Teslas technisch nicht mehr zu dem Besten gehören, was es am Markt gibt, und Musk mit seinen politischen Umtrieben die Marke beschädigt, sind die Restwerte von gebrauchten Teslas im Sinkflug. 2019 aber versprach Musk noch das Gegenteil: Wer einen Tesla kaufe, sagte er, könne mit einem Wertzuwachs rechnen.
Nun müssen die Kunden feststellen: Nach vier Jahren sind Teslas meistens nur noch die Hälfte wert.
Wie irrational der nach wie vor vorhandene Glaube vieler Investoren an Musks Versprechungen ist, zeigt sich besonders deutlich an den Absatzzahlen des Konzerns.
Noch im April 2023 kündigte Musk an, der Tesla-Absatz werde sich bis Ende der Dekade mehr als verzehnfachen. Weltweit würde dann fast jedes dritte verkaufte Auto aus einer Tesla-Fabrik kommen.
Doch statt dieser Absatzexplosion erleben Tesla-Aktionäre gerade eine Schrumpfkur. Die Verkaufszahlen sinken immer schneller, im zurückliegenden Quartal um 13 Prozent. Experten sehen Tesla Ende der Dekade bei rund zwei Millionen jährlich verkaufter Fahrzeuge – also 90 Prozent weniger, als von Elon Musk vorhergesagt.
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