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Emotionen am Arbeitsplatz: Verpönt oder gewollt?

Zwar wird häufig von der Humanisierung der Wirtschaft und der Arbeitswelt gesprochen und dass emotionale und „authentische“ Unternehmenskulturen entstehen – doch damit sind meistens positive Emotionen gemeint, die helfen sollen, die Produktivität zu steigern. Emotionen wie Melancholie oder Traurigkeit werden kaum berücksichtigt. Ein menschliches Unternehmen widmet sich aber nicht nur glücklichen Menschen, sondern erlaubt ihnen auch, nachdenklich oder traurig zu sein. Leider gilt es häufig noch immer als schwach, Gefühle zu zeigen. „Wenn Menschlichkeit und Empathie im Privaten so essenziell sind, sollten wir nicht auch mehr davon in den Berufsalltag Einzug halten lassen?“, fragt der Unternehmer und Personalexperte Werner Neumüller. Menschen haben viele Gefühle, die sich nicht abstellen lassen. Sie werden auch an den Arbeitsplatz mitgebracht. Wer sie zeigt, gilt oft als Sensibelchen, und wer sie unterdrückt als Gefühlsrohling.

„Wenn wir unser Bauchgefühl zugunsten der Rationalität aufgeben, geben wir auch ein Stück weit das Menschsein auf“, so Neumüller. Es ist für ihn logisch, dem Bauchgefühl auch in Unternehmen eine Daseinsberechtigung zu geben, auch wenn – wirtschaftlich betrachtet – „gewisse unangenehme Entscheidungen manchmal einfach rein rational gefällt werden müssen.“ Ein Controller wird in seinem Unternehmen umso mehr geschätzt, je rationaler er agiert. „Wenn er beispielsweise nach Durchsicht aller Zahlen zu dem Ergebnis kommt, dass die eine oder andere Stelle besser wegrationalisiert werden sollte, erwarten seine Vorgesetzten kein emotionales Plädoyer, sondern eine nüchterne Notiz.“ Doch wenn dieser Controller im Privatleben anfangen würde, „mithilfe von Excel-Tabellen seine Kinder zu erziehen und ihnen zur Erfolgsmaximierung beispielsweise Spielzeug wegrationalisieren würde, wäre das an Herzlosigkeit und Gefühlskälte kaum zu überbieten.“ Er täte nach Neumüller gut daran, „sein Controller-Denken im Privaten unter Umständen etwas zurückzunehmen und seinem Bauchgefühl mehr Raum zu geben.“ Genau dieser Spagat ist nach Ansicht des Personalexperten eine große Herausforderung unserer Zeit. Dabei hilft es seiner Meinung nach, die Stärke der Resilienz mit der Kraft der Sensibilität zu verbinden.

Leider haben viele Menschen verlernt, darauf zu hören, oder sie trauen sich nicht, weil Fakten oder die Unternehmenskultur dagegensprechen. Wenn in einem Meeting ein Mitarbeiter sagt „Das fühlt sich nicht richtig an“, sollte das ernst genommen und auch diskutiert werden, bemerkt auch Mimi Sawalski, Geschäftsführerin von Avocadostore, Deutschlands größtem, grünen Online-Marktplatz. Das bestätigt auch Robert Nehring. In seinem Verlag, dem Berliner PRIMA VIER Nehring Verlag, geht es vor allem darum, wie sich Büroarbeit besser gestalten lässt. Es geht es um Gesundheit, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, New Work, Design etc. „Mitfühlen und Wohlfühlen werden immer wichtiger. Bei Wissensarbeitern liegen heute zum Beispiel Empathie, Feel-Good-Management und wohnlich gestaltete Büroumgebungen als wahre Wohlfühloasen sehr im Trend. All dies gehört zu einer Entwicklung, die den Menschen mit seinen Bedürfnissen zunehmend in den Mittelpunkt der Arbeitswelt stellt.“

Unternehmerische Entscheidungen sollten seiner Meinung nach jedoch allerdings nicht nur aufgrund von Emotionen bzw. aus Launen heraus getroffen werden. „Ein Zuviel an Bauchgefühl kann auch verwirren und eine Führungskraft, die nur nach dem Bauch entscheidet, wird sicherlich auch selten eine erfolgreiche Führungskraft sein“, bestätigt auch Mimi Sewalski. Sie hat in der Vergangenheit gelernt, in wichtigen Sitzungen eher von Fakten als von Gefühlen zu sprechen, weil sie leider den Eindruck hatte, „dass nur dass, was auch belegbar ist, hier zählt. Ein Bauchgefühl kann auch subjektiv sein und täuschen, es ist für andere oft nicht nachvollziehbar. Momentan ist mein Eindruck noch so, dass jemand, der viel vom Bauchgefühl im Management spricht, eher als fachlich nicht qualifiziert wahrgenommen wird.“

Zuerst hört sie den Kopf und die Argumente, die beispielsweise bei Entscheidungen abgewogen werden müssen (Zahlen, Statistiken, schriftliche Empfehlungen). Doch gibt es auch immer wieder Situationen, wo Kopf und Bauch anderer Meinung sind. Gerade dann, wenn unter Unsicherheit entschieden werden muss, hört sie auf ihr Bauchgefühl. Die regelmäßigsten Entscheidungen, bei denen sie darauf vertraut, sind Personalentscheidungen. Dabei sind nicht nur Lebensläufe entscheidend, sondern auch der Blick auf den Menschen, der in das bestehende Team passen muss: „Es ist besonders wichtig abzuwägen, was das Team braucht, ob die Person mit der Unternehmenskultur zurechtkommt. Ein Bewerbungsgespräch hat einen begrenzten Zeitraum, nicht alles kann dort beantwortet werden, deswegen ist hier das Bauchgefühl am Ende entscheidend.“ Gute Personalauswahl bedeutet auch für Werner Neumüller, jene Bewerber:innen zu identifizieren, die die Anforderungen an eine Stelle erfüllen und die Werte der Organisation teilen sowie gut ins Team und zur Unternehmenskultur passen. „Viele Unternehmen nutzen dafür Interviews oder Probearbeitstage, es werden aber auch systematische Verfahren und Tools zur objektiven Überprüfung des Cultural Fit eingesetzt. Natürlich verlassen sich viele HR-Experten bei der Einstellung von Kandidaten auf ihr Bauchgefühl, allerdings arbeiten Unternehmen erwiesenermaßen noch erfolgreicher, wenn sie den Cultural Fit zusätzlich objektiv überprüfen“, so Neumüller.

Wann wird welche Kampagne gemacht, welche Art von Kommunikation funktioniert, welche Bildsprache ist passend? Wenn das Bauchgefühl mit einem Plan oder einer Entscheidung übereinstimmt, kann dies sehr motivieren. Sie hat dann das Gefühl, das Richtige zu tun und geht mit großer Zuversicht an die Sache. Ihr hilft das Bauchgefühl, vor wichtigen Entscheidungen innezuhalten und die Fakten noch einmal aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Es hat ihr auch in der Vergangenheit geholfen, schnell Entscheidungen zu treffen, weil das Bauchgefühl so positiv war, dass sie sich sehr souverän für oder gegen etwas entscheiden konnte, ohne weitere Fakten zu prüfen. Das erlaubt sie sich aber meistens nur in Bereichen, wo sie weiß, dass sie genug Erfahrung hat. Das gute Bauchgefühl lässt sie gut schlafen, es ist wie eine Bestätigung, ein „Ja“ und auch ein Gefühl, das ihr Sicherheit gibt. Das schlechte Bauchgefühl fühlt sich für sie meisten lauter und dunkler an. Es hält sie davon ab, Entscheidungen final zu treffen und äußert sich in längerem Grübeln.

1. Das Bauchgefühl regelmäßig aktiv befragen, sich Zeit dafür nehmen.

2. Unterscheiden, ob es sich um individuelle Muster, als Wünsche oder Ängste handelt, oder wirklich um Intuition.

3. Mutig sein und niemals gegen das Bauchgefühl handeln!

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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