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Erzählte Nachhaltigkeit

Eine nachhaltige Gesellschaft braucht nicht nur neue Technologien, Förderungen und Gesetze, sondern auch neue Kulturleistungen. Vor allem die Literatur bringt uns das eigentliche Prinzip des Kultivierens näher und damit auch die grundlegenden Fragen des Menschseins. Viele Werte im zwischenmenschlichen Bereich oder im Umgang mit der Natur werden heute vernichtet, was eine seelenlose Gesellschaft zur Folge hat. Sie ist geprägt ist durch den Zwang zu fortlaufender Geldvermehrung und Warenproduktion. Dieser wiederum ist untrennbar mit dem Pakt verbunden, nicht mehr Sinn und Nutzen in den Dingen zu sehen, sondern nur ihren Besitz und Tauschwert. In diesem Zusammenhang sei an die berühmte Geld- und Schattennovelle „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ erinnert, die 1814 veröffentlicht wurde und vom Naturforscher, Weltbürger und Dichter Adelbert von Chamisso (1781-1838) stammt:

Peter Schlemihl verkauft dem Grauen Mann, der Züge des Teufels trägt, seinen Schlagschatten für ein sich ständig füllendes Glückssäckel und zieht seitdem als Unbehauster durch die Welt. Für den 1962 erschienene Roman „Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen“ des Autors James Krüss war das Buch eine wichtige Vorlage. Aber auch im aktuellen Roman "Rombo“ (übersetzt: Dröhnen oder Rollen) der 1956 im Rheinland geborenen Autorin und Übersetzerin Esther Kinsky begegnet das Motiv: „Wenn man seinen Schatten verkauft hat, ist es so, als ginge man ohne Spur durch die Welt. Und wenn man sich an nichts mehr erinnert, ist es so, als hätte man von der Welt keine Spur mehr in sich.“

Esther Kinsky geht der Nachhaltigkeit auf den Grund und nimmt Maß aus einer zeitlichen Distanz heraus: Im Jahr 1976 ereignen sich im Norden Italiens zwei Erdbeben, im Mai und September. Sie erschüttern das Friaul, eine seit jeher von Erdstößen bedrohte Region. Fast eintausend Menschen verlieren dabei ihr Leben. In kurzen Sequenzen erinnern sich die Bewohner eines abgelegenen Bergdorfes, wie sie als Kinder das Erdbeben erlebt haben. Sie erzählen über eine Welt, die an einem einzigen Tag zu Bruch gegangen ist, und wie sie lernen mussten, sich der neuen Lage und „der veränderten Anordnung der Dinge“ anzupassen: „Neue Pfade wurden getrampelt, wie im beherzten Widerstand gegen die Verwischung des Vertrauten und die damit verbundene Verwirrung.“ Auch die aktuellen Ereignisse, wie wir sie gerade erleben, erscheinen wie ein Erdbeben, das das Haus unseres Lebens erschüttert. Auch wenn es wieder bewohnbar sein sollte, so bleiben doch feine Risse. Sie führen uns die Endlichkeit vor Augen und erinnern uns daran, wie dringlich es ist, verantwortungsbewusster, hingebungsvoller und mit größerem Weitblick zu handeln.

Esther Kinsky: Rombo. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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