Es gibt kein Leben ohne Emotionen
Im Alltag treffen wir eine Vielzahl von Entscheidungen: berufliche Entscheidungen, Kaufentscheidungen oder die Wahl des Partners. Dabei fallen die meisten von ihnen unbewusst und sind emotional. Das bestätigt auch der Psychologe und Neuro-Marketingspezialist Hans-Georg Häusel: In der Vergangenheit ging man in der Hirnforschung davon aus, dass der Mensch seine Entscheidungen bewusst und vernünftig trifft. Entsprechend stellte man sich den Aufbau des Gehirns vor: Oben ist die Vernunft, danach kommen die Emotionen und unten im Gehirn die niederen Instinkte. Die moderne Hirnforschung belegt allerdings, dass ohne Emotionen keine Entscheidung möglich ist. Häusel verweist auf die wissenschaftliche Erkenntnis, die aus der Mitte der 90er-Jahrestammt: „Alle unsere Entscheidungen sind emotional“.
„Wenn Menschlichkeit und Empathie im Privaten so essenziell sind, sollten wir nicht auch mehr davon in den Berufsalltag Einzug halten lassen?“, fragt der Unternehmer Werner Neumüller. Menschliche Gefühle lassen sich nicht einfach abstellen. Sie werden auch an den Arbeitsplatz mitgebracht. Wer sie zeigt, gilt häufig als Sensibelchen, und wer sie unterdrückt als Gefühlsrohling. In seinen Publikationen zeigt Neumüller mögliche Wege auf, wie sich Emotionen nutzen lassen, um ein besseres Unternehmen zu werden. „Wenn wir unser Bauchgefühl zugunsten der Rationalität aufgeben, geben wir auch ein Stück weit das Menschsein auf“, so der Unternehmer. Es ist für ihn logisch, dem Bauchgefühl auch in Unternehmen eine Daseinsberechtigung zu geben. Das Leben funktioniert nicht nur nach rationalen Gesichtspunkten - es ist auch „geprägt von Wünschen und Ängsten“, bemerkt auch Prof. Wolfgang Salewski in seinem Buch „Die Kunst des Verhandelns“ (2008). Konflikte seien nur durch Diskussion über die unterschiedlichen Emotionen zu lösen, so sein Fazit damals. Das Buch von Häusel ist als Ergänzung zu lesen.
Es reagiert sekundenschnell auf Situationen und schickt die entsprechenden Botenstoffe los, die uns zum Handeln bringen. Zum limbischen System gehören auch Teile des vorderen Großhirns. Es macht unsere Persönlichkeit aus (das Unbewusste etwa 90 bis 95 Prozent). 50 Prozent davon sind angeboren, 20 bis 30 Prozent werden in der frühesten Kindheit (vor dem vierten Lebensjahr) geprägt. An 80 Prozent unserer Persönlichkeit sind bereits fertig, bevor wir uns unserer selbst überhaupt bewusst werden. Nur 20 Prozent können bewusst geformt werden – dieser Freiheitsgrad wird von einigen Menschen allerdings nicht ausreichend genutzt. Sie lassen sich lieber von anderen an die Hand nehmen. Stärken oder Schwächen des jeweiligen Emotionssystems sind bei allen Menschen anders ausgeprägt. Der individuelle Mix in Bezug auf das Stimulanzsystem, das Dominanzsystem und das Balancesystem ist nach Häusel jeweils das „Fundament unserer Persönlichkeit“ - und zugleich der jeweils individuelle Life Code, der als emotionales Programm im Laufe der Evolution entstanden ist. Intensive oder schwache menschliche Neigungen begünstigen ein bestimmtes Verhalten, legen einen Menschen allerdings nicht fest. „Der einsichtige Mensch akzeptiert, dass er nicht so frei in seinen Entscheidungen ist, wie er glaubt. Er akzeptiert, dass hinter allem, was er tut, ein emotionales Programm, der Life Code steckt“.
Er bestimmt die eigene Weltsicht und unterstützt uns darin, die Welt mit neuen Augen zu sehen
Er trägt dazu bei, dass wir ein besseres Verständnis von uns und anderen erhalten
Er unterstützt uns darin, selbstbestimmt und erfolgreich zu handeln
Das Konzept liefert einen Zugang in die Gefühlswelt des anderen.
Sehen wir beispielsweise einen unbekannten Menschen, erwacht sofort unser archaischer Instinkt - auch wenn unser Urteil nicht immer genau ist. Wir verlassen uns dabei auch auf Klischees und Vorurteile: So wird sympathischen Menschen häufig gleich Kompetenz zugeschrieben, schöne Frauen werden oft für dumm gehalten, schmale Lippen werden mit Verbissenheit assoziiert, dicke Lippen mit Sinnlichkeit. Woran liegt es, dass sich alte Vorurteile hartnäckig halten? Das menschliche Gehirn, das Ergebnis von ungefähr 500 Millionen Jahren Evolution, ist permanent mit Steuerungsprozessen beschäftigt, in denen es immer nur um Überleben und Vermehrung geht. Auch fragt das Gehirn: Freund oder Feind? Eigentlich arbeitet unser unbewusstes System zuverlässig. Das bestreitet auch der Kognitionspsychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman nicht. Seine Forschungsergebnisse belegen allerdings auch, dass die Intuition häufig in kognitive Fallen tappt und zu Denkverzerrungen führen kann. Wie der Hirnforscher Gerd Gigerenzer geht er von anderen Heuristiken aus, die der Intuition zugrunde liegen. Nach Kahneman würden die für die Lösung einer Aufgabe relevanten Informationen durch irrelevante Informationen ersetzt, nämlich durch eine Information, die im Gedächtnis besonders leicht zugänglich ist. Es kann passieren, dass das bewusste System in seiner Kontrollfunktion versagt und auch dazu neigt, den Entscheidungen unseres unbewussten Systems im Nachgang einen rationalen Anstrich zu geben.
Die Macht der Intuition: Wie Denkverzerrungen in Bewerbungsgesprächen verhindert werden können
Fehleranalyse statt Wahrnehmungsverzerrung: Ein Lehrstück nach der Pandemie
Richtig entscheiden: Warum Erfahrungswissen unverzichtbar ist
Hans-Georg Häusel: Life Code: Was dich und die Welt antreibt. Haufe Verlag, Freiburg, München und Stuttgart 2020.
Daniel Kahneman, Olivier Sibony und Cass R. Sunstein: Noise – Was unsere Entscheidungen verzerrt und wie wir sie verbessern können“. Siedler Verlag, München 2021.
Werner Neumüller: Die Grenzen der Rationalität. In: Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.