„Es gibt Mitarbeitende, die muss man verloren geben“
Wenn Beschäftigte innerlich gekündigt haben, leiden nicht nur sie, sondern oft auch ihre Führungskräfte. Manager erzählen von ihrem Alltag mit demotivierten Mitarbeitenden.
Berlin. Bevor Lina Reuters* ehemalige Mitarbeiterin jede Motivation für ihren Job verlor, war sie die Hoffnungs- und Leistungsträgerin ihrer Chefin. Nach einem Streit mit der HR-Abteilung aber kippte alles: Während ihrer Elternzeit bekam Reuters Mitarbeiterin ihren Wunsch nach Gleitzeit nicht erfüllt. Die Beraterin verdiente dadurch netto wesentlich weniger Gehalt, Leistung lohnte sich für sie nicht mehr. Aus nachvollziehbaren Gründen entschied die einstige High Performerin, von nun an nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen.
Nicht nur für sie war diese Situation extrem frustrierend und führte schließlich zur Kündigung. Auch ihre damalige Chefin Reuter litt darunter. Sie konnte nichts am Unglück ihres Teammitglieds ändern, konnte nachvollziehen, dass die Frau keinen Sinn mehr darin sah, weiter Hochleistung zu bringen. Und sie musste damit umgehen, dass sie ein vielversprechendes Potenzial verloren hatte.
Die Zahl der Menschen, die sich innerlich von ihrem Job entfremdet haben, wird kontinuierlich größer – und damit auch das Problem für deren Führungskräfte. Fast ein Fünftel aller deutschen Angestellten gab an, keinerlei emotionale Bindung zum eigenen Arbeitgeber zu verspüren. 2020 lag der Anteil dieser „Quiet Quitter“ bei 15 Prozent. Das haben Marktforscher von Gallup in ihrem „Engagement Index“ ermittelt. Der Report ist repräsentativ für die deutsche Arbeitnehmerschaft.
In Lina Reuters Fall hatte sie als Managerin keine Handhabe, um ihre Mitarbeiterin wieder zu motivieren, die Macht dazu hätte nur die Personalabteilung gehabt. Doch es gibt andere Konstellationen, in denen Führungskräfte durchaus Möglichkeiten haben, frustrierte oder demotivierte Mitarbeitende wieder zu ermutigen und anzuspornen.
Quiet Quitting: Lassen sich Low Performer wieder motivieren?
Im Fall von Lina Reuter und ihrer Ex-Mitarbeiterin endete alles mit der Kündigung. „Nachdem klar war, dass HR ihr nicht helfen wird, sagte sie sich: ,Ihr verarscht mich, dann verarsche ich euch.‘“ Die Beraterin blieb zwar zunächst noch jahrelang im Unternehmen, nutzte ihre kurze Anfahrt und die Betriebskita. Als ihr Kind schließlich in den Kindergarten kam, sah sie keinen Nutzen mehr darin zu bleiben – und wechselte.
Maria Bergler coacht seit vielen Jahren Top-Führungskräfte, war vorher Unternehmensberaterin bei McKinsey. „Es gibt Mitarbeitende, die muss man verloren geben“, sagt sie. Aber: So weit muss es längst nicht immer kommen. Führungskräfte hätten verschiedene Möglichkeiten gegenzusteuern. „Nur sind viele Manager so mit sich selbst beschäftigt, dass sie gar nicht merken, wenn Mitarbeitende sich entfremden.“
Diesen Vorwurf macht sich auch Paul Stork*, Führungskraft in einem süddeutschen Medienkonzern. Vier Jahre trug Stork die direkte Personalverantwortung für einen damals Anfang 30-jährigen Marketingfachmann, bestens ausgebildet, aufstiegswillig.
Doch dem jungen Mann, der bereits als Teamleiter eingestellt worden war, ging es auf der internen Karriereleiter zu langsam voran. „Da hat sich Frust aufgebaut“, sagt sein damaliger Chef Stork. Der Nachwuchsmanager begann, ihm nur noch die nötigsten Informationen über den Stand seiner Kundenprojekte oder das Budget seines Teams zu geben. Auch an das vierköpfige Team des Mannes, das disziplinarisch Stork unterstand, kam dieser nicht mehr heran. „Mich hat das wahnsinnig gemacht“, sagt der Manager.
Später, nachdem der Mitarbeiter seine Kündigungsabsicht geäußert hatte, führte Stork mit ihm ein schonungslos offenes Gespräch. „Da sagte er mir dann, er habe das Gefühl gehabt, dass er sich nicht weiterentwickeln konnte.“ Stork fühlte sich vor den Kopf gestoßen. Er fand: Sein Ex-Mitarbeiter hätte sich damit früher an ihn wenden müssen.
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„Quiet Quitting“: Ein Angriff auf den Selbstwert der Chefs
Coach Maria Bergler ist da anderer Meinung. „Es ist zentrale Aufgabe einer Führungskraft, mit Mitarbeitenden ihre potenziellen Entwicklungswege zu besprechen”, sagt sie. Gerade dann, wenn offensichtlich sei, dass ein Mitarbeiter Aufstiegsambitionen habe – wie im Fall von Storks Teammitglied. „Geschieht das nicht, staut sich schnell Frust auf.“
Natürlich müssten Managerinnen und Manager nicht bedingungslos jede Beförderung oder Weiterbildung möglich machen. Es sei aber ihre Pflicht, Mitarbeiterwünsche mit der Realität abzugleichen, offenzulegen, welche Kompetenzen oder Erfahrungen dem Mitarbeiter für sein Karriereziel noch fehlen und was im Unternehmen zu welchen Rahmenbedingungen möglich sei.
Auch Paul Stork ist heute der Meinung, dass er damals etwas falsch gemacht hat. „Ich war irgendwann so angegriffen in meinem Selbstverständnis als Chef, dass ich gedachte habe: ,Ich helfe dir jetzt nicht mehr, da musst du schon von selbst kommen.‘“
Der 48-Jährige glaubt sogar, dass er den Mann im Unternehmen hätte halten können, wäre er früher auf ihn zugegangen. „Wenn ich ihn gefragt hätte: ,Hey, was ist wirklich das Problem?‘, dann hätten wir auch über eine passendere Position in einer anderen Abteilung nachdenken können.“
Die hoffnungslosen Fälle unter den „Quiet Quittern“
„Quiet Quitter“ können zu einem ausgewachsenen wirtschaftlichen Problem werden – gerade dann, wenn ihre Unlust ganze Teams oder Abteilungen „ansteckt“. Diese Erfahrung machte auch Lina Reuter. „Es kommt der Punkt, an dem alle sagen: ,Dann mogle ich mich ab jetzt eben auch durch.‘“ Um trotzdem die Teamperformance aufrechtzuerhalten, brauche es ständige Motivationsreden und Einzelgespräche. „Das ist ein Kraftakt“, sagt Reuter.
Coach Bergler rät: Betroffene Führungskräfte sollten den Fokus darauf legen, die Leistungsträger im Team explizit zu belohnen. „Sie dürfen Top-Performer nicht genauso behandeln wie jemanden, der nie eine Extrameile geht.“ Wie diese Belohnung idealerweise aussehe, hänge von der jeweiligen Person ab. Die eine wünsche sich mehr strategische Verantwortung, die andere eine Fortbildung.
Hoffnungslose Fälle gebe es unter den „Quiet Quittern“ auch, meint Bergler – also Menschen, die sich schlicht nicht mehr motivieren lassen. Hier rät Bergler dazu, nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen Chef und Mitarbeiter zu suchen. „Der letzte Schritt ist zu fragen: ,Warum bist du überhaupt noch hier?’”
Führungskräfte sollten zwei Möglichkeiten aufzeigen: Entweder sie suchen gemeinsam mit dem Mitarbeiter nach internen oder externen Wechselmöglichkeiten. Oder der Mitarbeiter äußert verbindlich, dass er im Unternehmen bleiben will – und die Führungskraft gibt vor, welche Rahmenbedingungen und Regeln dann gelten.
Viele Führungskräfte hätten Angst vor solch einer Konfrontation. Zu Unrecht, sagt Bergler, denn die meisten Menschen ließen sich am Ende doch auf einen Kompromiss ein, um in der Gunst des Chefs nicht völlig abzurutschen. „Kein Mensch ist gerne ein Problem.”
Die Chefin machte Low Performer zu ihrem Projekt
Genau wie ihre frustrierte Ex-Mitarbeiterin wechselte auch Lina Reuter schließlich das Unternehmen. Bei ihrem neuen Arbeitgeber ließ der nächste „Quiet Quitter“ nicht lange auf sich warten: Reuter bekam einen Datenexperten ins Team, der damals schon seit 14 Jahren im Unternehmen war. Trotz seiner langen Betriebszugehörigkeit war er weitgehend unsichtbar, das frustrierte ihn.
Seine vorige Chefin hatte viele seiner Ideen im Keim erstickt, erzählt Reuter. Wenn seine Vorschläge doch einmal umgesetzt wurden, wusste im Management niemand, dass sie von ihm stammten. „Niemand im oberen Management kannte ihn, weil er kommunikativ so schwach war.“
Reuter machte den Mann zu ihrem Projekt, schob Überstunde um Überstunde, um ihn wieder zu motivieren. Sie traf ihn zweimal die Woche zum Jour fixe, widmete ihm doppelt so viel Zeit wie ihren anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie versuchte, ihn sichtbarer zu machen.
„Einmal ließ ich ihn eine Präsentation beim Vorstand übernehmen“, erzählt sie. Die Vorbereitung wurde zur Katastrophe. „Er war zu der Zeit so emotional, dass er immer geweint hat.“ Wieder und wieder habe der Mann betont, dass seine Leistung sowieso nicht gesehen werde, dass all der Aufwand umsonst sei. „Das war Arbeitsverweigerung.“
Am Ende schaffte es der Mann nur vor den Vorstand, weil sie selbst „extrem viel Aufwand und Nachtschichten“ investiert habe. „Wir haben sogar Trockenläufe gemacht, in denen ich das Management gespielt habe.“ Gereicht hat all das trotzdem nicht, er zog sich danach wieder in seine Negativität zurück. Im Konzernmanagement kann sich auch heute niemand an seinen Namen erinnern.
Doch sollten Manager ihren Minderleistern wirklich die Arbeit abnehmen? Maria Bergler meint: nein. Denn dadurch fühlten sich demotivierte Mitarbeitende am Ende noch weniger verantwortlich für das, was sie abliefern. Lieber sollten Chefinnen und Chefs wichtige Aufgaben nur noch verlässlichen Teammitgliedern zuteilen – und mit „Quiet Quittern“ einen neuen Zuständigkeitsbereich festlegen, in dem sie zwar weniger leisten, aber auch weniger Schaden anrichten können.
Lina Reuter rechnet damit, dass sie es im Lauf ihres Lebens immer wieder mit „Quiet Quittern“ zu tun haben wird. Um das verlorene Potenzial der jungen Beraterin, die sie schließlich aufgeben musste, tut es ihr heute noch leid. Mit dem Fall des frustrierten IT-Spezialisten hat sie dagegen ihren Frieden gemacht. Sie sagt: Sie kann niemandem helfen, der seit mehr als einem Jahrzehnt in seinem Unglück verharrt.
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