Exklusiv-Umfrage: Diese sieben Grafiken zeigen, wie es Beschäftigten im Homeoffice wirklich geht
Drei Jahre lang hat Hannes Zacher Beschäftigte zum Homeoffice befragt. Seine Daten zeigen: Arbeitnehmer sind daheim kreativ und schöpfen Kraft. Nur das Verhalten mancher Führungskräfte wird zum Problem.
Hannes Zacher ist erleichtert. Drei Jahre lang befragte Zacher, Arbeitspsychologe am Wilhelm-Wundt-Institut für Psychologie der Universität Leipzig, Beschäftigte in Deutschland zu ihren Erfahrungen mit dem Homeoffice: Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Woche von zu Hause aus? Wie häufig haben Sie Kontakt mit Kolleginnen und Chefs? Und können Sie im Homeoffice kreativ sein – oder fällt es Ihnen schwer, sich zu konzentrieren?
Sein Datensatz, deren Erhebung und Erforschung die Volkswagenstiftung finanziell fördert, ist ein einzigartiger Gradmesser für das Befinden der Arbeitnehmer in den heimischen vier Wänden. Und er gibt Anlass zur Hoffnung, für Forscher Zacher, aber auch für viele Führungskräfte. Die Daten liegen der WirtschaftsWoche exklusiv vor.
Seit die Belegschaften mit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 gewissermaßen zwangsversetzt wurden an den heimischen Schreib- oder wahlweise Küchentisch, stellen sich viele die Frage: Ist dieses Homeoffice, gegen das sich ach so viele Unternehmen vor der Pandemie noch sträubten, eigentlich Fluch oder Segen? Wie ergeht es den Arbeitnehmern damit?
Die Daten von Zacher offenbaren zuallererst: Die Verbreitung von Homeoffice nimmt seit Frühjahr 2022 deutlich ab. Im November und Dezember verbrachten die Befragten, die zumindest teilweise im Homeoffice arbeiteten, nur noch etwas mehr als die Hälfte ihrer Arbeitswoche (50,1 Prozent) daheim. Niedriger war dieser Wert nur im Dezember 2019 – also vor dem Ausbruch der Pandemie.
Im Februar 2022 verbrachten die Beschäftigten noch knapp 60 Prozent der Arbeitswoche daheim, im März 2021 waren es in der Spitze mehr als 64 Prozent. „Die Forschung zeigt, dass Zufriedenheit und Produktivität bei zwei Homeofficetagen pro Woche am höchsten sind“, sagt Zacher, der davon ausgeht, dass Beschäftigte langfristig rund 40 Prozent der Arbeitswoche daheim verbringen werden. Auch die Universität Leipzig hat ihren Beschäftigten eine solche Empfehlung ausgesprochen – auf Anraten Zachers.
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Angaben der Befragten zur Homeofficenutzung ihrer direkten Kollegen. Im November 2022 arbeiteten laut den Befragten 50,5 Prozent ihrer Teammitglieder von zu Hause aus – der niedrigste Wert seit Beginn der Erhebung. Während sich in den beiden Vorjahren noch zeigte, dass die Beschäftigten ab den ersten Wintermonaten wieder verstärkt ins Homeoffice wechselten, bleibt dieser Effekt bislang aus. Zwar stieg der Anteil der Arbeitszeit im Homeoffice im Dezember 2022 im Vergleich zum November leicht an. Allerdings auf einem erheblich niedrigeren Niveau als noch 2020 und 2021.
„Es gibt“, so sagt Zacher, „in diesem Jahr weniger Bedenken, ins Büro zu gehen. Das zeichnet sich auch in den Daten ab.“ Zwar habe die Weltgesundheitsorganisation die Coronapandemie noch nicht für beendet erklärt. „Doch in den meisten Unternehmen ist wieder Normalität eingekehrt.“ Sie seien nun im „hybriden Zeitalter“ angekommen.
Als Zacher im Januar 2022 mit der WirtschaftsWoche über die damals noch laufende Befragung sprach, verunsicherte ihn besonders eine Entwicklung: Die Beschäftigten fühlten sich im Homeoffice häufig isoliert. Der Wert, der dieses Empfinden in der Befragung ausdrückt, lag im Sommer 2021 bei über 2,3 - auf einer Skala von eins bis fünf. Zacher beobachtete, dass sich die Situation vieler Beschäftigter „offenbar nicht bessert“, sagte er damals.
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Im Verlauf des Jahres 2022 aber ist es nun noch doch besser geworden: Im Herbst dieses Jahres lag der Wert nur noch knapp oberhalb der Zwei-Punkte-Marke, der besagt, dass sich Beschäftigte selten allein fühlten. Zacher betont: „In einer Studie mit mehreren Hundert Teilnehmern sind bereits Veränderungen im Nachkommabereich von 0,1 oder 0,2 Punkten statistisch signifikant und bedeutend.“ Außerdem, so der Psychologe, würden bei einer Skala von eins bis fünf die äußeren Antworten im Schnitt deutlich seltener gewählt als die inneren – weshalb die Skala in der Praxis also kaum voll ausgeschöpft werde. Aufgrund dieser eingeschränkten Verteilung seien auch relativ kleine Veränderungen im Nachkommabereich praktisch bedeutsam. „Es geht in die richtige Richtung“, sagt Zacher. „Jede Antwort, die oberhalb der zwei Punkte liegt, ist bedenklich. Das bedeutet nämlich, dass sich die Beschäftigten ab und zu, häufig oder sogar ständig isoliert fühlen.“
Mit regelmäßigem Austausch und auch mal inoffiziellen Gesprächen könnten Führungskräfte dieser Isolation entgegenwirken. „Wenn Vorgesetzte ihre Mitarbeiter unterstützen, steigert das deren Wohlbefinden und die Arbeitsleistung – zeigt die Forschung“, sagt Zacher. Allerdings: Die Befragten hatten mit ihrer Führungskraft und den Kollegen zuletzt deutlich weniger Kontakt als zu Beginn der Pandemie, als der Bedarf nach Unterstützung gewiss am höchsten war. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Häufigkeit des Austausches kaum verändert. Beschäftigte haben zudem deutlich seltener mit den Führungskräften Kontakt als mit den Kollegen. „Ich hätte mir gewünscht, dass die wahrgenommene Unterstützung durch Führungskräfte und Kollegen noch höher wäre“, sagt Zacher.
Und so sieht Zacher jetzt vor allem die Vorgesetzten in der Pflicht. Für sie gelte die sogenannte „ABC-Regel“: Sie sollten die Autonomie (A) der Belegschaft stärken, die Beziehungen (B) zu den Mitarbeitern aufrechterhalten – und dafür sorgen, dass die Kolleginnen und Kollegen selbst im Homeoffice so kompetent (C für den englischen Begriff comepetence) und effektiv arbeiten können wie im Büro. „Diese Kernregeln sollten Führungskräfte unbedingt beachten.“ Die Vorgesetzten, so sagt Zacher, sollten ihre Mitarbeiter keinesfalls zu viel und zu kleinteilig kontrollieren. „Das frustriert Beschäftigte sehr schnell.“ Gleichzeitig müssen sie jedoch dafür sorgen, dass „niemand im Homeoffice verloren geht“, betont Zacher. Drei Forscher aus Italien konnten bereits 2021 in einer Studie feststellen, dass Autonomie und Selbstführung bei Arbeitnehmern im Homeoffice zu mehr Engagement und Produktivität führen.
Dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst als kompetent wahrnehmen, ließe sich etwa mit Lob und Anerkennung erreichen. „Führungskräfte sollten Beschäftigten auch Aufgaben geben, welche diese gut von zu Hause aus erledigen können“, betont Zacher. Sein Beispiel: das Anfertigen eines Projektberichts. Eine Tätigkeit also, die Konzentration und Ruhe erfordert. Für kreative Aufgaben wie Brainstorming bietet es sich hingegen an, dass die Beschäftigten tatsächlich wieder im Büro zusammenkommen.
Die gute Nachricht: Beschäftigte nehmen das Homeoffice durchaus als Ort wahr, an dem sie kreativ arbeiten können. Mit 3,51 Punkten war dieser Wert im Dezember 2022 so hoch wie zu keinem anderen Zeitpunkt der Datenerhebung. Und anders als in den Vorjahren gaben deutlich mehr Befragte in den vergangenen Monaten an, im Homeoffice Kraft sammeln und klare Gedanken fassen zu können.
„Das Homeoffice wird als positiver Ort wahrgenommen. Als Ort, an dem man wieder Energie für die Arbeit schöpft. An dem man die Akkus wieder auflädt. Das hätte ich so nicht gedacht“, sagt Zacher. Er erkennt in den Daten weit mehr als nur einen Gewöhnungseffekt. „Ich interpretiere sie so, dass es Beschäftigten wie Unternehmen zunehmend gelingt, die Potenziale des Homeoffice zu erkennen und zu nutzen.“
Die Befragten mussten in den vergangenen Monaten auch stets die Frage beantworten, ob sie alles in allem zufrieden mit dem Homeoffice sind. Zacher hält die Fragen zur Kreativität und Entspannung allerdings für aussagekräftiger: „Zufriedenheit ist ein sehr komplexes Konstrukt“, sagt er. „Sie können im Job auch resigniert und zufrieden zugleich sein, wenn Sie sich mit dem Status quo arrangiert haben und nicht mehr den Anspruch verfolgen, besser zu werden.“ Die Aussagen der Befragten zur Entspannung und Kreativität deuten für Zacher darauf hin, „dass es keine resignative Zufriedenheit ist – und das Homeoffice doch sehr positiv wahrgenommen wird“.
Auch andere Befragungen legten bereits nahe, dass Beschäftigte, die im Homeoffice arbeiten, zufriedener sind als jene, die keinen Bürojob haben: Mitarbeiter in der Fabrik, Verkäufer im Supermarkt, Kuriere und Bauarbeiter etwa. 53 Prozent dieser „schreibtischlosen“ Mitarbeiter, wie sie das Beratungshaus Boston Consulting Group in einer Studie Mitte Dezember nannte, gaben dort an, dass sie sich bei der Arbeit „ausgebrannt“ fühlen. Und 43 Prozent schauen sich nach einem neuen Job um. Beschäftigte zwischen 18 und 24 Jahren sind noch mal deutlich „ausgebrannter“ (63 Prozent) als Arbeitnehmer über 25 Jahren (52 Prozent).
Die Befragten in Zachers Studie kommen aus verschiedenen Branchen, waren zum Zeitpunkt der Befragung, die sich neben dem Homeoffice auch anderen Themen widmet, in Vollzeit tätig. Zu Beginn starteten Zacher und seine Kollegen mit 1500 Befragten, in den vergangenen Monaten nahmen noch 900 Menschen teil. Eine Vergleichbarkeit zwischen Führungskräften und Mitarbeitern sowie verschiedenen Branchen bietet der Datensatz nicht. Doch Umfragen des ifo Instituts zeigen, wie unterschiedlich die Unternehmen in verschiedenen Branchen vom Homeoffice Gebrauch machen. Wenig verwunderlich: Homeoffice ist im Dienstleistungssektor verbreiteter als im verarbeitenden Gewerbe. Innerhalb des Dienstleistungssektors bestehen allerdings große Unterschiede: So arbeiten Unternehmensberater (72,5 Prozent) und Entwickler (71,7 Prozent) am häufigsten zumindest teilweise im Homeoffice. Und während auch Werber und Freiberufler viel Arbeitszeit in den eigenen vier Wänden verbringen, können dies nur wenige Lageristen (13 Prozent), Kuriere (12,3) oder Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen (5,8).
Zacher, der inzwischen auch ein Buch zum Homeoffice veröffentlicht hat, traut sich nach den drei Jahren der Forschung auf die Frage, ob Homeoffice nun Fluch oder Segen ist, nur eine differenzierte Antwort zu: „Homeoffice muss man gestalten, damit es funktioniert“. Ohne diese Gestaltung, sagt Zacher, „ist es eher ein Fluch“. Wenn Mitarbeiter und Führungskräfte Regeln für das Homeoffice aufstellen und dafür sorgen, dass der soziale Zusammenhalt der Teams nicht unter der räumlichen Distanz leidet, „kann das Homeoffice ein Segen sein“.
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