Exzessiv und zwanghaft: Zehn Prozent sind süchtig nach Arbeit
Wie du erkennst, ob du schon süchtig nach Arbeit bist, welche Folgen es haben kann und was vor Arbeitssucht schützen kann ...
Viel zu arbeiten ist in unserer digitalisierten Welt wohl für die meisten von uns phasenweise normal. Das muss sich zum Glück nicht schlecht anfühlen. Aber es gibt eben auch ein Arbeiten, das exzessiv und zwanghaft ist. Zu dieser Art des Arbeitens gibt es nicht viele Untersuchungen. Die erste große Studie zum Thema Arbeitssucht wurde 2023 von der Hans-Böckler-Stiftung vorgelegt. Ihr zufolge arbeiten rund zehn Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland suchthaft. Überproportional häufig sind Führungskräfte betroffen.
Bin ich schon süchtig nach Arbeit?
„Ist Arbeiten für mich schon eine Sucht?“ Das werden sich jetzt viele Mitarbeiter und Führungskräfte fragen. Und wir alle erleben ja tatsächlich täglich, wie sehr sich unsere Arbeitswelt vom Privaten entgrenzt. Wie sehr sich unsere „Möglichkeitshorizonte“ (Soziologe Prof. Hartmut Rosa) permanent erweitern – wir haben digitalen Zugriff auf gefühlt alles von überall aus. Die Arbeit begleitet uns also nicht nur in Gedanken. Mehr Arbeiten geht immer.
Wann also wird Arbeit zur Sucht? Bei dieser Frage orientierten sich die Wissenschaftler des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und der Technischen Universität Braunschweig an zwei Aspekten, deren gemeinsames Auftreten entscheidend ist: exzessives und zwanghaftes Arbeiten. Und zwar auch dann, wenn es keinen Spaß macht.
Wie sieht suchthaftes Arbeiten konkret aus?
Kriterien für Arbeitssucht
Sehr langes und intensives Arbeiten,
dauerhaftes Bedürfnis zu arbeiten – man kann nicht aufhören,
man übernimmt ständig zusätzliche Aufgaben,
schnell, parallel an unterschiedlichen Aufgaben arbeiten,
schlechtes Gewissen, wenn man sich frei nimmt oder krank wird.
Diese Form des Arbeitens, auch das ist ein Ergebnis der Studie, steht in Verbindung mit einer schlechteren Gesundheit. Dies gelte für die Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes der Befragten ebenso wie für die tatsächliche Zahl der berichteten psychosomatischen und körperlichen Beschwerden.
Einige mögliche Folgen von Arbeitssucht
Betroffe können nicht mehr abschalten und regenerieren,
Schlafstörungen,
soziale Bindungen – Familie, Partner, Freunde – leiden,
Depressionen,
schlechtere Emotionssteuerung und Impulskontrolle, z.B. erhöhte Reizbarkeit,
private Interessen, Bewegung, gesunde Ernährung werden vernachlässigt,
vegetative Störungen.
Ein Schlüsselkriterium für Burn-out
Suchthaftes Arbeiten und Burn-out können in einem engen Zusammenhang stehen. So läuft jeder fünfte Mitarbeiter, der sich in einem ungesunden Maß für seine Arbeit engagiert, Gefahr, in einen Burn-out zu schlittern. Denn: Sich nicht ausreichend vom Job distanzieren zu können gehört zu den Schlüsselkriterien für einen Burn-out. All dies schlägt sich in den entsprechenden Statistiken nieder: Jahr für Jahr sind psychische Störungen die häufigste Erkrankungsgruppe im Hinblick auf Krankschreibungen (Gesundheitsreport 2022 der Techniker Krankenkasse).
Was die gesundheitlichen Folgen dieses exzessiven und zwanghaften Arbeitens noch schlimmer macht: Die suchthaft Arbeitenden kümmern sich laut der Studie nicht angemessen um eine ärztliche Behandlung und ihre Gesundung. Sie gehen beispielsweise erst viel zu spät zu einem Arzt, lassen den Sport nach der Arbeit vor Erschöpfung und gefühltem Zeitmangel oft wegfallen und treffen sich aus denselben Gründen abends auch nicht mehr mit Freunden, achten nicht mehr genug auf ausreichende Pausen und eine halbwegs gesunde Ernährung. Ein Teufelskreis.
Suchthaft Arbeitende unterschätzen ihre Müdigkeit.Studie „Suchthaftes Arbeiten und Gesundheit“, Reihe: Study, Hans-Böckler-Stiftung, April 2023
Übrigens steht suchthaftes Verhalten auch in Verbindung mit dem Thema Schlaf. Denn Schlafdauer und -qualität sinken bei Stress und Problemen. „Häufig unterschätzen suchthaft Arbeitende ihre Müdigkeit“, heißt es in der Studie.
Für viele Teilnehmer meiner Trainings zu Stressmanagement und Resilienz sind sechs Stunden Schlaf „normal“, während wir laut Schlafforschern durchschnittlich zwischen sieben bis neun Stunden brauchen. Die Folgen von dauerhaft zu wenig Schlaf reichen von schlechten Entscheidungen, wie Neurowissenschaftler warnen, bis zu vegetativen Störungen.
Was können Auslöser für Arbeitssucht sein?
Weitere Auslöser für suchthaftes Arbeiten können zum Beispiel mit der eigenen Arbeitsmoral zusammenhängen. Typisch ist ein Perfektionismus, mit dem an zu viele Aufgaben herangegangen wird, anstatt öfter mal pragmatisch vorzugehen. Auch das Abgeben von Aufgaben und Verantwortung kann sehr schwerfallen. Ein weiterer Klassiker als Auslöser von Arbeitssucht ist eine überhöhte Identifikation mit der eigenen Rolle und den dazugehörigen Aufgaben im Unternehmen. Gerade dies sind drei Themen, die in meinen Trainings für Stressmanagement und resilienzorientiertes Führen Teilnehmer regelmäßig besonders nachdenklich machen, wie entsprechende Diskussionen in den Gruppen zeigen. All dies lässt sich zum Glück verändern, wenn man entsprechende Techniken erlernt, trainiert und sie als Routinen in den persönlichen Arbeitsalltag integriert.
Empfehlung: Betriebsvereinbarungen als Instrument einsetzen.
Natürlich können auch betriebliche Rahmenbedingungen ein exzessives Arbeiten von Mitarbeitern und Führungskräften begünstigen. Manchmal würde schon eine gesündere E-Mail-Hygiene im Unternehmen die Arbeit erleichtern. Und so nennen die Autoren der Studie natürlich Betriebsvereinbarungen als ein wichtiges Instrument gegen exzessives und zwanghaftes Arbeiten.
Gelassenheit hilft – und sie lässt sich trainieren.
Zum Schluss noch eine gute Nachricht: Laut der Studie arbeiten die meisten Erwerbstätigen, rund 55 Prozent, mit Gelassenheit. Auch die kann man regelrecht trainieren, nämlich mit Achtsamkeitstechniken, die weg vom automatischen und hin zum bewussten Handeln führen. Dazu können zum Beispiel Wege für eine stärkere Selbstfürsorge gehören. Und genau dies – Achtsamkeit und Gelassenheit – können wirksame Mittel gegen exzessives und zwanghaftes Arbeiten sein. Ein Grund, weshalb Achtsamkeit ein Resilienzfaktor – also eine die seelische Widerstandskraft stärkende Strategie – ist.
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**Du möchtest mehr zu Themen wie diesem erfahren? Dann sei dabei in meinem nächsten offenen Training für mehr seelische Widerstandskraft (Resilienz) für Mitarbeiter und Führungskräfte vom 14.10.2024 – 15.10.2024 im Beach Motel St. Peter Ording. Für Infos zu diesem und weiteren Trainings zu den Themen „Stressmanagement“, „Resilienzorientierte Führung“ oder „Mehr Gelassenheit entwickeln“**sende mir gern hier eine Nachricht oder eine Mail an drkaikaufmann@icloud.com oder besuche meine Homepage.