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Fairplay! Was der Videoschiedsrichter mit dem Transformationserfolg in Unternehmen zu tun hat

Der VAR (Video Assistant Referee) sollte den Fußball fairer machen. Tatsächlich sorgt er für viel Frust. Warum? Weil Menschen nicht nur das Ergebnis, sondern auch den Prozess bewerten. Was Unternehmen draus lernen können.

Was im Stadion passiert, erleben Unternehmen tagtäglich: Entscheidungen werden abgelehnt, nicht weil sie falsch sind, sondern weil sie unfair wirken. Willkommen beim Fair Process Effect.

🤔 Warum ist der VAR so verhasst?

Studien zeigen: Menschen akzeptieren negative Konsequenzen nur dann, wenn der Prozess dahinter als fair empfunden wird. Schaut Euch die Graphik aus Brockner (1996) an. Ich hab mal das Originalteil genommen, weil aus dem leicht angeranzten Bildchen das Alter dieser Erkenntnisse so schön hervorgeht: offensichtlich nicht mehr taufrisch. Neuere Evidenz gibt’s aber ebenfalls zuhauf. Der Kern der Erkenntnis geht jedenfalls so:

Die X-Achse zeigt Verlieren versus Gewinnen. Die Y-Achse zeigt die Akzeptanz des Ergebnisses und die beiden Linien zeigen eine geringe bzw. eine hohe prozedurale Fairness.

Brockner (1996)

Was fällt auf? Wer gewinnt, achtet nicht auf prozedurale Fairness. Kennt ihr ausm Fußball. Der Elfmeterpfiff zu eigenen Gunsten wird mitgenommen. Fair oder unfair ist egal (wenn man nicht gerade so sportlich und selbstlos wie Miro Klose ist).

Aber beim Elfmeterpfiff gegen sich schaut man sehr genau hin. War das fair? Falls ja, gibt es ’ne zähneknirschende Akzeptanz. Falls nicht: Heidewitzka, dann brennt die Hütte.

Die Wichtigkeit dieser Erkenntnis ist fundamental für jede Transformation. Denn eine Transformation ist definiert als das Erreichen eines Soll-Zustands. Dabei muss man Dinge verändern. Und wenn man etwas anders macht als vorher, geht’s erst mal schlechter.

Das Althergebrachte war bekannt, es war beliebt, es war geübt. Das Neue funktioniert nicht, erfordert mehr Anstrengung, man macht Fehler. Kurzum: Transformation fühlt sich erst mal an wie Verlieren. Irgendwann wird es hoffentlich zum Gewinn. Aber zunächst nicht.

Wir sind im obigen Bild also auf der X-Achse links. Autsch. Wenn die Wahrnehmung eines fairen Verfahrens positiv ausfällt, dann gehen die Leute mit. Sonst lehnen sie die Veränderung ab.

Die entscheidende Frage im Fußball wie in Unternehmen folgt direkt daraus: Die Wahrnehmung von Verfahrensfairness ist entscheidend, aber auch total subjektiv. Gibt es da generelle Tipps, worauf man achten muss? Die klare Antwort lautet: JA, absolut.

🔬 Was sagt die Wissenschaft zur Wahrnehmung von Fairness?

Die Bewertung der Fairness eines Prozesses ruht vor allem auf drei Säulen:

1️⃣ Erklärung – Entscheidungen brauchen eine klare Begründung.

2️⃣ Erwartungsklarheit – Jeder muss wissen, was ihn erwartet.

3️⃣ Engagement – Betroffene müssen in den Prozess einbezogen werden.

Passiert das nicht? Dann hagelt es Widerstand. Oder wie die Forschung es nennt: Stealing in the name of justice.

Das Problem des VAR besteht in einer Reduktion aller drei Komponenten der Wahrnehmung von Fairness.

  • Geringe Transparenz: Wir sehen und hören nur ziemlich abstrakt „VAR-Check läuft“. Aber was genau geprüft wird? Unklar. 📵

  • Hohe Inkonsistenz: Gleiche Szene, unterschiedliche Bewertungen – Vertrauen? Fehlanzeige. 🔄

  • Kaum Einbindung: Alle Beteiligten stehen ratlos da – ohne Erklärung, ohne Mitsprache. Die Verantwortlichen sitzen auf einmal auch im Kölner Keller und es gibt keine Möglichkeit der direkten Kontaktaufnahme❌

Ergebnis: Fehlendes Vertrauen, wachsende Wut und womöglich mehr Frust als ohne VAR.

🛠️ Was müsste man ändern?

💡 Zur Verbesserung der Verfahrensfairness des VAR.

  • Erklärung: Das wurde mittlerweile nachgeholt. Seit diesem Wochenende kommunizieren die Schiris die Entscheidungen des VAR live und direkt. Hut ab an die Schiris übrigens, dass das so gut klappt. Ich kann mir vorstellen, dass derlei Ansagen an ein ausverkauftes, hoch emotionalisiertes Stadion durchaus gewöhnungsbedürftig, ein bisschen einschüchternd und sicher nicht für alle Schiris vergnügungssteuerpflichtig sind.

  • Erwartungsklarheit: Puh. Unendliche Geschichte. Gerade bei Handspielen. Da sehe ich noch keine Besserung am Horizont. Aber man sieht ja bei Abseitsentscheidungen, wie gut und reibungslos das funktionieren kann. Die Entscheidung ist objektiv, die Konsistenz entsprechend hoch, das erzeugt Akzeptanz. 🔄

  • Engagement: Das ist sicher der nächste logische Schritt. In vielen anderen Sportarten gibt es die Möglichkeit des aktiven Einspruchs. Beim Tennis, im American Football oder beim Hockey kommen sogar komplett unterschiedliche Systeme zum Einsatz. Freie Auswahl. Das erhöht aber die Wahrnehmung von Situationskontrolle insbesondere bei den Coaches, baut Stress ab und wäre mit Sicherheit eine sinnvolle Einrichtung. Gleichwohl bedeutet das für die Schiris auch: eigene Macht und Gestaltungsmöglichkeiten aufgeben. Argh.

Ralf Lanwehr schreibt über Führung & Transformation

Ralf beschäftigt sich mit harten Fakten zu weichen Themen aus dem Dreieck Psychologie-BWL-Mathe. Er berät DAX-Vorstände, trainert Führungskräfte und coacht Bundesligatrainer. Die eigene Karriere als Kicker blieb trotz seiner Zeit als Stürmer in der 3. mosambikanischen Liga verdientermaßen aus.

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