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Fast ein Drittel aller Pensionskassen steckt in finanziellen Schwierigkeiten

Millionen Deutsche bangen um ihr Erspartes, allerdings ist die Absicherung etwas besser geworden. Die Branche hofft nun auf weitere Hilfe der Ampelkoalition.

Frankfurt, München. Das Aus der Steuerberater-Pensionskasse hat die prekäre finanzielle Lage etlicher Versorgungswerke erneut ins Blickfeld gerückt. Jahrelang hatte die Pensionskasse für Beschäftigte im steuerberatenden Beruf um den Fortbestand gerungen. Am Ende genügte den Aufsehern der Bafin der vorgelegte Finanzierungsplan, mit dem die Unterdeckung beseitigt werden sollte, aber nicht. Die kleine Pensionskasse mit ihren insgesamt rund 8000 Kunden befindet sich nun offiziell in Abwicklung.

Vor einem Jahr bereits machte die Finanzaufsicht Bafin die Kölner Pensionskasse und die Pensionskasse der Caritas dicht. Die beiden Versorgungswerke aus dem kirchlichen Bereich mussten ihre Arbeit einstellen, die bestehenden rund 55.000 Verträge laufen allerdings weiter.

Wie die Versicherer ächzen auch die 135 Versorgungswerke im Land unter den Dauer-Niedrigzinsen am Kapitalmarkt. Aktuell befinden sich rund 40 Versorgungswerke unter intensivierter Aufsicht der Bafin, nachdem es im Vorjahr noch 36 waren. Viele von ihnen haben den Kunden einst lebenslange Leistungsversprechen mit Zinsen von drei Prozent oder mehr pro Jahr gegeben, die jetzt kaum noch zu erfüllen sind.

Seit Jahren auf dem Radar

Die Dimensionen sind gewaltig: Fast zehn Millionen Deutsche haben ihre berufliche Altersvorsorge über eine Pensionskasse ihres Arbeitgebers abgeschlossen. Etwa 8,5 Millionen besparen als sogenannte Anwärter einen Vertrag, rund 1,4 Millionen erhalten als Rentner Auszahlungen.

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Vor vier Jahren sandte Frank Grund, der Chef der Versicherungsaufsicht, erstmals einen ungewöhnlichen Weckruf an die Öffentlichkeit. 45 der damals 136 Pensionskassen stünden wegen ihrer schwachen Kapitalausstattung unter „intensivierter Aufsicht“, mahnte er. Diesen Begriff hatte die Bafin 2016 eingeführt. Er bedeutet: Die Aufsicht hält mit Wirtschaftsprüfern und Aktuaren sehr engen Kontakt zu Kassen, bei denen sie an einer ausreichenden und dauerhaften Ausstattung mit Eigenmitteln zweifelt. Sachstandsberichte müssen regelmäßig geliefert werden, ebenso Maßnahmen, wie der finanzielle Engpass bewältigt werden kann.

Meist sind die Träger der Kassen – also große Unternehmen oder Gruppen von Firmen – gefragt, Geld nachzuschießen. Die Aufseher der Bafin halten auch zu ihnen engen Kontakt. „Obwohl sie rechtlich nicht dazu verpflichtet sind, haben eine ganze Reihe von Trägerunternehmen beziehungsweise Aktionären bereits Kapitalzuschüsse geleistet oder zumindest in Aussicht gestellt“, lobt Frank Grund im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Trotzdem ist die Zahl der Versorgungswerke unter intensivierter Aufsicht der Bafin inzwischen wieder auf rund 40 gestiegen. „Eine einstellige Zahl von Kassen haben wir dabei besonders im Blick, darunter die drei Kassen, die bereits Leistungskürzungen vornehmen mussten“, differenziert Grund. Wer die weiteren Namen neben den beiden kirchlichen Versorgungswerken und der Steuerberater-Kasse sind, dazu halten sich die Aufseher bedeckt.

Doppelter Boden für die Versicherten

Doch auch wenn eine Pensionskasse in Schieflage ist – Leistungskürzungen bedeutet dies nur auf den ersten Blick. Denn mittlerweile sind die Kunden doppelt abgesichert. Wenn eine Kasse die garantierten Verpflichtungen nicht mehr erfüllen kann, muss der Arbeitgeber die Differenz begleichen. Zudem springt seit Anfang Januar der Pensionssicherungsverein (PSV) auch für Pensionskassen ein, wenn der Arbeitgeber insolvent ist.

Entscheidend ist allerdings, wann der Sicherungsfall eingetreten ist. War dies bereits im vergangenen Jahr, dann zahlt der Sicherungsverein für Betriebsrenten von Unternehmen nur, wenn die Pensionskasse die vorgesehene Leistung um mehr als die Hälfte kürzt oder das Einkommen unter einen bestimmten Schwellenwert fällt.

Für Alleinlebende lag die Armutsschwelle zuletzt bei 1175 Euro im Monat. Sind die Probleme aber erstmals in diesem Jahr aufgetreten, dann kann die Aufsicht das Vermögen der Pensionskasse einschließlich der Verbindlichkeiten auch auf den PSV übertragen.

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Zinswende als Befreiung?

Die großen Notenbanken beginnen in diesem Jahr mit der Zinswende, in den USA noch früher als in Europa. Die Assekuranz hat diesen Schritt seit Jahren herbeigesehnt. Doch auch wenn die Rendite deutscher Staatsanleihen in Erwartung einer strafferen Geldpolitik unlängst kurz über der Nulllinie notierten, werden damit nicht alle Probleme sofort gelöst.

„Eine Bundesanleihe von nun minimal über null ist noch kein Trend, der Pensionskassen mit 2,5 bis 3 Prozent Renditebedarf weiterhilft“, meint Rafael Krönung, Pensionsexperte beim Beratungshaus WTW in Deutschland. Stefan Oecking, Partner der Unternehmensberatung Mercer in Deutschland, macht noch auf einen weiteren Punkt aufmerksam: Bestehende Anleihen im Portfolio erleiden weiter Kursverluste, nur neue Papiere werden besser verzinst.

Außerdem stöhnen viele Pensionsmanager über immer mehr Regulierung, sagt der Berater. Neue Richtlinien der EU, deren Umsetzung in deutsches Recht die Bafin überwacht, sorgen für mehr Aufwand bei Dokumentation, Informationspflichten und für das Risikomanagement. Vor allem kleinere Pensionskassen kämpften damit.

Viele Pensionskassen und ihre Arbeitgeber hätten in den vergangenen Jahren aber auch schon ihre Hausaufgaben gemacht, um stabiler zu werden, sagt Krönung: Die Kassen versuchten, mit ihrem Kapital effektiver zurechtzukommen, indem sie ihre Überschüsse in die Kapitalbasis investierten. Für neue Versicherungen gebe es geringe Garantien oder die Leistungen würden abgesenkt. Dies hat zuletzt eine der großen Pensionskassen, der BVV, gemacht.

Solche internen Sanierungsschritte sind ein Weg, um aus der Klemme zu kommen. Eine externe Lösung wäre der Übertrag auf eine Abwicklungsgesellschaft. Diese Variante ist bisher vor allem bei Altbeständen von Lebensversicherern bekannt, kam in der Vergangenheit aber auch bei Pensionskassen schon zum Einsatz. So übernahm im Jahr 2018 die Frankfurter Leben, die heute als FL-Gruppe firmiert, rund 50.000 Verträge der Prudentia Pensionskasse von der Schweizer Familienholding Cofra sowie 260 000 Verträge der Pro bAV aus der Axa-Gruppe.

Bernd Neumann, Vorstand der FL-Gruppe, sieht beide Bestände heute besser aufgestellt als zur Zeit des Übergangs. „Durch das gesunkene Zinsniveau haben wir die Zinszusatzreserve kräftig gestärkt und die Kapitalanlagen renditeträchtiger ausgerichtet“. Auch bei sehr vorsichtigen Prognoserechnungen zeige sich, dass alle Leistungen für die Kunden erbracht werden können.

Mittel- bis langfristig erwartet Neumann eine weitere Konzentration sowohl bei Lebensversicherern als auch bei Pensionskassen. Das fehlende Geld müsse schließlich irgendwo herkommen. „Für die Stabilisierung braucht es zusätzliches Kapital, das auch durch einen Verkauf mobilisiert werden kann“, stimmt Claudius Vievers, Sprecher vom Wettbewerber Athora Deutschland, zu.

Neuer Weg: Teilsanierung

Es gibt aber noch einen ganz neuen Ansatz: die Teilsanierung. Im vergangenen Jahr hat der Gesetzgeber erlaubt, dass Pensionskassen mit mehreren Arbeitgebern für einen Teil der Versicherten eine Sanierung durchführen, wenn eine Mehrheit der Arbeitgeber bereit ist, Kapital nachzuschießen.

Bisher konnte eine Kasse nur als Gesamtheit gestärkt werden – wenn einzelne Arbeitgeber nicht mitmachten, wurden deren Arbeitnehmer von den anderen mit gestützt. Jetzt müssen zahlungsunwillige Unternehmer selbst sehen, wie sie eine eventuelle Lücke der Pensionskasse schließen, indem sie Geld an die Kasse nachschießen oder direkt an den Arbeitnehmer zahlen.

Eine Teilsanierung sei grundsätzlich bei rund 100 Kassen möglich, sagt Berater Krönung. Der Praxistest steht aber noch aus: Die große Frage sei, wie streng die Bafin solche Kassen dann unter die Lupe nehme.

Für die Zukunft könnten den gebeutelten Kassen auch vorsichtige regulatorische Lockerungen helfen, sagen Experten: So müssen die Zusagen der Kassen im Moment jederzeit vollständig mit Kapital gedeckt sein, auch wenn sie erst in Jahrzehnten fällig werden. Damit sei eine Pensionskasse bei deutlichen Schwankungen an den Märkten sofort unterfinanziert.

Wenn das Aufsichtsrecht aber Kassen, hinter denen ein Arbeitgeber stehe, auch mal eine Unterdeckung von 15 Prozent erlauben würde, könnten diese bei der Kapitalanlage mehr Risiko aushalten und in ertragreichere Papiere investieren, meint Berater Oecking. Dafür sei jedoch eine Gesetzesänderung nötig.

Als Vorbild können sich die Berater die weniger streng regulierten Pensionsfonds vorstellen. Ihnen erlaubt der Gesetzgeber eine Unterdeckung von fünf bis zehn Prozent. Die Hoffnung der Branche ruht nun auf der FDP. Die Liberalen haben in der Ampelkoalition dafür gesorgt, dass bei der geplanten Reform der Altersvorsorge auch in der betrieblichen Vorsorge Anlagen mit höheren Renditechancen berücksichtigt werden sollen.

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