Fast jeder zweite angeblich nachhaltige Fonds ist es nicht
ESG-Fonds suggerieren Umweltschutz, aber viele investieren in Kohle oder Öl. Das zeigt eine europaweite Recherche, an der das Handelsblatt mitgearbeitet hat. Nun reagiert die Finanzaufsicht.
Berlin. Europaweit haben Anleger über 525 Milliarden Euro in sogenannte ESG-Fonds investiert. ESG steht für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, und diese als nachhaltig und „sauber“ anklingende Form der Geldanlage ist der Wachstumsmarkt für die Finanzwirtschaft. Bereits 60 Prozent aller Fonds sortieren sich in die Kategorie nachhaltige Geldanlage ein, wie eine Auswertung des Datenanbieters Morningstar zeigt.
Wenn aber die Branche – Anbieter wie zum Beispiel die Deutsche-Bank-Tochter DWS, Blackrock oder Union Investment – diese Anlageform bewirbt, verschleiert sie ein dunkle Seite des Geschäfts. Ein erheblicher Teil ihrer Fonds hat in Unternehmen aus der Kohle-, Öl- oder Gasindustrie investiert.
Etwa 40 Prozent der etwa 1300 in Europa als sauber deklarierten Fonds hatten ihr Geld zum vergangenen Jahreswechsel in Firmen gesteckt, die Kohlenstoffdioxid produzieren und damit das Klima schädigen.
Morningstar-Daten zeigen das Greenwashing
In Deutschland ist die Quote unter den 693 angebotenen Fonds sogar noch höher: 46,6 Prozent von ihnen haben fossile Investments getätigt. Das hat eine Analyse von Morningstar ergeben.
Das Handelsblatt hat die Morningstar-Daten im Rahmen des internationalen Medienprojekts „Great Green Investment Investigation“ ausgewertet, gemeinsam mit den niederländischen Plattformen Follow the Money und Investico sowie acht europäischen Medienhäusern die Anbieter sowie Aufsichtsbehörden mit den Ergebnissen konfrontiert. Beteiligt waren unter anderem „Le Monde“, „Der Standard“, „Luxemburger Wort“ und „Börsen“ aus Dänemark.
Die klimaschädigenden Investments sind der Analyse zufolge breit gestreut. So befinden sich unter ihnen beispielsweise der Versorger RWE sowie die Ölkonzerne Conoco Phillips und OMV. Das Geld der europäischen Anlegerinnen und Anleger floss auch in Energiefirmen aus China sowie aus dem russischen Energiesektor.
Die Beteiligungen in Industriezweige, die CO2 ausstoßen, sind für die Fondsanbieter aus Sicht von Verbraucherschutzorganisationen irreführend – von den Aufsichtsbehörden drohen aber keine Sanktionen. Zumindest bisher nicht.
Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (Esma) will nun das Regelwerk verschärfen. So sollen in Zukunft Worte wie „nachhaltig“, „sauber“ oder „ESG“ (Environmental, Social, Governance) nicht mehr für Fonds verwendet werden dürften, die in CO2-intensive Industrien investiert sind. Das geht aus einem Schreiben an andere Aufsichtsbehörden hervor, das dem Rechercheverbund vorliegt.
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Kontrollaufsicht Esma plant neue Regeln
Nach bisherigem Stand sollen die neuen Regeln ab der ersten Hälfte des kommenden Jahres gelten. Ein Sprecher der Esma äußerte sich auf Anfrage nicht zum Zeitplan. Er sagte aber: „Fonds mit einem nachhaltigen Begriff im Namen, die in fossile Brennstoffe investieren, führen ihre Verbraucher in die Irre.“
Die Regulierungsbehörde erwartet, dass nationale Behörden „alle Anstrengungen“ unternehmen, um sicherzustellen, dass Fondsmanager beginnen, die neuen Richtlinien einzuhalten.
Die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) teilte dazu mit: „Die Bafin hat diese Entwicklungen im Blick und achtet darauf, dass Marktteilnehmer die geltenden Regeln befolgen.“
Die meisten Fondsanbieter bemühen sich, ihre Investments in „saubere“ Unternehmen zu steuern. Einige Vertreter aus der Finanzwirtschaft sagten aber, dass sie mit dem Geld der Anlegerinnen und Anleger auch die grüne Transformation unterstützen wollten.
Als ein Beispiel nannten sie RWE. Der Essener Versorger rüstet seine primäre Energieproduktion von Kohle auf Wind- und Solarkraftwerke um. Da die Investitionszyklen sehr lang sind, läuft dieser Prozess über mehrere Jahre.
Der Begriff „nachhaltig“ soll geschärft werden
In Brüssel hat sich die Sicht durchgesetzt, dass dies nicht im Sinne der Anlegerinnen und Anleger ist. Sie wollten ihr Geld explizit in Firmen investiert sehen, die die Umwelt nicht belasten. Daher soll auch die Titulierung der Fonds besser geklärt werden.
Treten die Pläne der Esma in Kraft, dürfte es in den Fonds deutscher Anbieter einiges bewegen. Wie aus der Auswertung hervorgeht, sind bei der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) sechs Fonds betroffen, bei Union Investment elf und bei der Deka 13. Der deutsche Marktführer DWS führt die Liste indes mit 22 Fonds an, die zwar als sauber deklariert sind, aber zum Beispiel am amerikanischen Ölkonzern Schlumberger oder Exxon Mobile beteiligt sind.
Union Investment, Heleba und Deka erklärten, dass die Gesellschaften sich den Pariser Klimazielen verpflichtet sehen und mit den Beteiligungen auch die Transformation der Wirtschaft unterstützen wollen. Ein Sprecher von Union Investment sagte: „Wer Unternehmen, die auf ihrem Weg zur Nachhaltigkeit noch nicht so weit sind, unterschiedslos ausschließt, ignoriert glaubwürdige Klimastrategien.“
Die von der Esma geplanten neuen Richtlinien, nur nachhaltige Fonds klar zu benennen, stießen auf Wohlwollen bei den Investmentanbietern. Die Helaba begrüße grundsätzlich jede weitere regulatorische Maßnahme, die zu einer Klarstellung führe und damit für mehr Transparenz sorge, sagte ein Sprecher. Union Investment und Deka äußerten sich ähnlich.
Die DWS bestätigte, dass sie in ihren Fonds an Kohleproduzenten beteiligt ist. Die Investments seien aber im Jahresverlauf „deutlich reduziert“ worden, sagte ein Sprecher. Der in Deutschland stark vertretene Weltmarktführer Blackrock (Marke: Ishares) äußerte sich auf Anfrage nicht.
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