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Fehlende Klimastrategien und Expertise: Aufholbedarf im deutschen Mittelstand

Die Herausforderungen für den deutschen Mittelstand in Bezug auf den Klimaschutz sind offensichtlich: Die Unternehmen stehen unter Druck, ESG-konforme Management-Ansätze zu entwickeln, Prozesse anzupassen und Klimakonformität stärker intern zu verankern. Bislang waren viele von ihnen nicht berichtspflichtig und deshalb weniger von Regulatorik in diesem Bereich betroffen. „Die meisten KMU Kleinstunternehmen haben meist nicht das Kapital und die personellen Kapazitäten, die strategischen Schwachstellen im Unternehmen aufzudecken und Energie- und Ressourceneinsparpotenziale durch entsprechende Investitionen zu heben.“ Das ist ein enormes Hemmnis, „da für die kleinen Betriebe das Tagesgeschäft und die Einhaltung von Aufträgen hinreichend anspruchsvoll angesichts knapper Ressourcen ist“, bemerken Antonia Thiele und Yvonne Zwick von B.A.U.M. e.V., dem Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften. Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen hat FTI-Andersch in Zusammenarbeit mit Patrick Velte, Professor für Betriebswirtschaftslehre (insb. Accounting, Auditing und Corporate Governance an der Leuphana Universität Lüneburg) einen Fragebogen zum Thema „Klimabezogene Unternehmensführung (Climategovernance)“ entwickelt und zusammen mit dem forsa Institut Berlin 152 deutsche Unternehmen (250 bis 5.000 MitarbeiterInnen und einem Jahresumsatz von € 40 bis 1.000 Mio.) zum Status Quo befragt, darunter rund 50 Prozent aus dem produzierenden Gewerbe. Alle befragten Unternehmen fallen unter die Berichtspflicht der CSRD, die besagt, dass sämtliche Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, einer Bilanzsumme von mehr als 20 Mio. Euro und einem Umsatz von mehr als 40 Mio. Euro ab dem Geschäftsjahr 2025 berichtspflichtig sind. Die Ausweitung des Anwenderkreises durch die CSRD führt dazu, dass viele mittelständische Unternehmen erstmals verpflichtend einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen müssen.

Dabei ist sicher davon auszugehen, dass in mittlerer Frist alle Unternehmen einer relevanten Größe die regulatorischen Auflagen erhalten werden. Darauf sollten sich alle Branchen schon heute einstellen und die notwendigen Voraussetzungen in Prozessen und IT-Infrastruktur dafür schaffen. Vor allem die Kontrolle der Emissionen in der Lieferkette wird alle gleichermaßen vor große Herausforderungen stellen. „Warten, bis gesetzliche Verpflichtungen greifen, kann sich kein Unternehmen mehr leisten. Die Herausforderungen müssen hier und jetzt richtig gemeistert werden, denn später lassen sich diese Transformationen kaum mehr aufholen.“ (Böhm, Hildebrandt, Kästle) Es sollte deshalb sichergestellt werden, dass Daten verfügbar und vergleichbar gemacht werden, von Dritten validierbar sind und gem. der verpflichtenden Standards berichtet werden können. Über alle Branchen hinweg zeigt sich, dass alle befragten Unternehmen bereits eine oder mehrere Maßnahmen geplant oder ergriffen haben, um den Emissionsausstoß zu reduzieren und/oder Effizienzen zu steigern. Doch die Unterschiede zwischen den Branchen sind groß. So sind indirekte Emissionen derzeit noch nicht ausreichend in der Überwachung berücksichtigt, da sie vor allem bei Dienstleistern und im Handel anfallen.

  • 53 Prozent der befragten mittelständischen Unternehmen haben das Thema CO2 bisher nicht in ihre internen Kontroll-, Risiko- und Compliance-Management-Systeme integriert. 20 Prozent plant dies auch zukünftig nicht zu tun.

  • 36 Prozent der Unternehmen überprüft die eigenen Emissionen nicht regelmäßig. Wer dies macht, misst vor allem die direkten, unmittelbar selbst verursachten Emissionen (82 Prozent). Indirekte Emissionen (43 Prozent) und die Emissionen der gesamten Wertschöpfungskette (22 Prozent) überwachen nur eine Minderheit der befragten Unternehmen.

  • Zur Bereitstellung der benötigten Ressourcen ist die Einbeziehung und Unterstützung der Geschäftsleitung unabdingbar: 63 Prozent der befragten Unternehmen haben eine Stabstelle zum Thema „klimabezogene Unternehmensführung“ auf Ebene der Geschäftsleitung etabliert. Im Aufsichtsgremium ist bei 19 Prozent ein Nachhaltigkeitsausschuss etabliert.

  • 52 Prozent schätzt die eigene Klimaexpertise als ausreichend ein. Viele Unternehmen planen (noch) nicht, sich mit der EU-Taxonomie-Verordnung oder der ab dem Geschäftsjahr 2024 gestaffelt verpflichtend anzuwendenden Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) auseinanderzusetzen.

  • Klimaneutralität haben nur 28 Prozent als Ziel definiert.

  • Die strategische Relevanz des Themas wurde überwiegend erkannt, gleichzeitig zielt die Klimastrategie überwiegend (72 Prozent) lediglich auf eine CO2-Reduktion anstelle einer CO2 -Neutralität ab. Für 11 Prozent der Unternehmen ist die Klimastrategie von untergeordneter oder fehlender Bedeutung. 56 Prozent der Unternehmen sehen ihre Klimastrategie als wichtigen Bestandteil der Unternehmensstrategie. Jedes vierte Unternehmen überwacht die eigenen Emissionen nur unregelmäßig – selbst dann, wenn bereits eine Strategie vorliegt.

  • 60 Prozent verfügen bisher über keine Nachhaltigkeitsberichterstattung. 38 Prozent verfassen bereits einen Nachhaltigkeitsbericht und nutzen interne Leitfaden zur Erstellung. 35 Prozent dagegen nutzen keine Rahmenwerke oder Leitfäden, 27 Prozent orientieren sich an externen Leitfäden. 22 Prozent planen keinen Nachhaltigkeitsbericht. Im jährlichen Lagebericht zur wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens haben 54 Prozent der Unternehmen keinen eigenen Abschnitt für einen Nachhaltigkeitsbericht vorgesehen. 20 Prozent planen dies, unter anderem mit Blick auf die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD).

  • Von der Prüfung durch Dritte machen nur 34 Prozent der befragten Unternehmen Gebrauch, 28 Prozent planen dies nicht einzuführen.

  • Mit den strategischen Anpassungen an den Klimawandel gehen in 96 Prozent der Unternehmen Transformationen einher (mit deutlichen Unterschieden im Umfang). Auch wenn klimabedingte Anpassungen im unternehmerischen Kontext häufig mit Risiken in Verbindung gebracht werden, sehen nur 3 Prozent der Unternehmen keine Vorteile im Rahmen des Klima-Transformationsprozesses.

  • 95 Prozent haben Strukturen klimabezogener Unternehmensführung etabliert – 63 Prozent eine Stelle auf oberster Führungsebene geschaffen.

  • 7 Prozent haben bereits eine klimabezogene Vergütungsstruktur in der Geschäftsführung etabliert.

  • ESG, Chancengleichheit, Kommunikation: Viele Familienunternehmen vernachlässigen dringliche Zukunftsthemen

  • Antonia Thiele und Yvonne Zwick: Mittelstand auf dem Weg. Wie KMU zum Erreichen der deutschen Klimaschutzziele beitragen.

  • Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt und Stefanie Kästle: Der Weg zur Klimaneutralität als gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

  • Beide in: Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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