Fehler machen

Niemand wird als Vollprofi geboren. Da war ich, frisch von der Uni und mit drei zarten Jahren Berufserfahrung, leider keine Ausnahme. Geschichten eines Lernprozesses.

Auf dem Weg zum Vollprofi müssen wir Fehler machen. Das ist wichtig und Teil unseres Lern- und Entwicklungsprozesses. Und so simpel es klingt: Auch zu dieser Erkenntnis musste ich erst einmal kommen – und eine Haltung zu Fehlern entwickeln. Dabei habe ich drei Phasen der Erkenntnis durchlaufen.

1. Stehe zu deinen Fehlern!

Als ich über Nacht in meine erste Geschäftsführerposition rutschte, war ich eine blutige Anfängerin. Allerdings hatte ich ein sehr klares Bild davon im Kopf, wie ich in der Position aufzutreten hätte. Ich dachte, ich müsse die toughe Unternehmerin sein: keine Fehler machen, keine Fragen stellen, bloß keine Schwäche zeigen. Mein Anspruch lag in gefühlt unerreichbaren Sphären – mein reales Können hingegen auf Kniehöhe.

Dieser Höhenunterschied war mir durchaus bewusst. Doch solange es niemandem auffiel, konnte ich ungestört mit meinem Hochstaplersyndrom durch die Unternehmenswelt tingeln. Mein Motto: „Fake it, ’till you make it“. Um möglichst fehlerfrei durch den Berufsalltag zu kommen und die Maske der unfehlbaren Unternehmerin aufrechtzuerhalten, lautete mein Ansatz wie ein Song von Rihanna: „Work, work, work, work, work.“ Arbeiten und noch mehr arbeiten.

Rückblickend muss ich sagen: Dieses Versteckspiel ging erstaunlich lange gut. Bis ich eines Sommertages heulend in der Gesellschafterversammlung zusammenbrach. Der Druck war einfach zu groß. Auslöser für diese emotionale Überreaktion war unter anderem, dass ich schlicht ein falsches Kennzahlenwerk zur Interpretation unserer Bilanzen angewandt hatte. Im übertragenen Sinne hatte ich versucht, mit einem Thermometer die Geschwindigkeit eines Autos zu messen. Der Zahlensalat, der dabei herauskam, ist wenig verwunderlich.

Rational betrachtet war es ein einfacher Fehler in der Bilanzanalyse. So sahen es auch die anderen Gesellschafter – und boten mir Unterstützung an. In diesem Moment durfte ich etwas Neues lernen: Niemand lachte mich aufgrund eines Fehlers aus. Niemand nimmt mich wegen eines Fehlers weniger ernst. Keine Apokalypse. Auch Geschäftsführerinnen und Führungskräfte dürfen Fehler machen. Wichtig ist nur, dazu zu stehen und Verantwortung dafür zu übernehmen.

2. Ein Fehler im Prozess ist kein Fehler an mir

Manche Unternehmer lieben es, Prozesse aufzusetzen. Zu dieser Spezies gehöre ich. Allerdings habe ich zu Beginn meiner Nachfolge noch vieles „irgendwie“ gemacht. Und wenn „irgendwie“ schiefging, gab es für mich nur eine Schuldige: mich selbst. Ich hatte einen Fehler begangen, ich war nicht gut genug, der Weltuntergang war nahe! Mit der Zeit stellte ich fest: Es gibt eine ganze Menge geschäftlicher Abläufe, die sich immer wiederholen. Jahresabschlüsse, Buchhaltungsprozesse und Strategieprozesse. Einen Großteil dieser Prozesse durchlaufe ich nur einmal im Jahr. Und mal ehrlich: Nach einem Jahr kann ich mich höchstens noch an 10 Prozent der Dinge erinnern, die dabei zu beachten sind.

Also beschloss ich, Checklisten und Prozessbeschreibungen anzulegen. Und wenn dann doch mal ein Fehler passierte, war der Grund klar: ein Fehler in der verdammten Checkliste! Die Lösung: Checkliste überarbeiten, Scherben zusammenkehren, kein Weltuntergang, einfach weitermachen. Durch dieses lapidare Aufschreiben meiner To-do-Listen habe ich unbewusst gelernt, zwischen meiner Person und den Prozessen zu unterscheiden. Ist es ärgerlich, wenn ein Prozess den Bach runtergeht? Natürlich! Macht es manchmal eine Menge Arbeit? Oh ja! Aber muss ich mir deswegen unzählige Vorwürfe machen? Nein.

3. Irren ist menschlich

Als meine Großmutter und Vorgängerin verstarb, musste ich mich mit Aufgaben und Fragen beschäftigen, mit denen ich mich zuvor noch nie befasst habe. Und das in einer emotionalen Ausnahmesituation, schließlich hatte ich gerade meine Oma verloren. Eine dieser Aufgaben bestand darin, die Todesanzeige aufzusetzen. Das gelang mir auch, alle Familienmitglieder waren damit zufrieden – und ich glaube, auch meiner Oma hätte sie gefallen. Nur leider hatte sich in der angegebenen Kontonummer für Spenden ein Zahlendreher eingeschlichen. Das stellte ich aber erst fest, als eine freundliche Sekretärin aus einer Rechtsanwaltskanzlei anrief und fragte, ob ich wüsste, warum so viele Beileidsspenden auf dem Konto der Kanzlei eingingen.

Das hätte definitiv nicht passieren dürfen. Normalerweise wäre das für mich der Startpunkt für eine endlose Spirale der Selbstvorwürfe gewesen. Aber in diesem Moment kam mir zum ersten Mal ein anderer Gedanke in den Sinn: Ich habe in einer schweren Situation mein Bestes gegeben, in der 100 Prozent einfach nicht für mich abrufbar waren. So etwas passiert eben. Wir besprachen, wie die Gelder korrekt überwiesen werden sollten – und damit war die Angelegenheit erledigt.

In diesem verheulten, müden und völlig überforderten Zustand entdeckte ich eine ganz neue Einstellung an mir. Sie lässt sich am besten mit einem Satz zusammenfassen: So ist es eben. Es gibt immer noch Fehler, über die ich mich wirklich ärgere und mir nachträglich große Vorwürfe mache. Aber es gibt auch diese neue Kategorie von Fehlern, die ich getrost in der „Shit happens“-Schublade verstaue.

Was sind eure Erkenntnisse zu Fehlern?

Irren ist menschlich, und Fehler passieren. Das Wichtige ist, aus ihnen zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Und ja: Auch heute noch gibt es Fehler, die mich wirklich wurmen.

Wie geht’s euch damit? An welchen Fehlern seid ihr gewachsen? Und gibt es Fehler, die euch bis heute ärgern? Ich freue mich auf eure Anekdoten, Learnings und Einblicke.

Johanna Schirmer schreibt über Job & Karriere, Wirtschaft & Management, Konsumgüter & Handel

»Johanna hat im Schleudergang gelernt, was es heißt ein Unternehmen zu führen.« Quelle: Harvard Business Manager, 08/2022

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