Folge 49: Noch mehr Ansagen von oben? So erkennst Du gute Chefs in Krisenzeiten
Viele Menschen fühlen sich gerade erschöpft und verunsichert – um gegenzusteuern, wollen manche Führungskräfte noch mehr strukturieren und vorschreiben. Das ist der falsche Weg, sagt Personalexpertin Constanze Buchheim.
Team A: Wir diskutieren seit gut zwei Jahren über das New Normal. Doch so richtig spürbar werden die Veränderungen erst jetzt. In vielen Unternehmen steigt der Krankenstand, Teams fühlen sich erschöpft. Sind das Anpassungsschmerzen?
Das Interview ist ein Ausschnitt aus dem neuen Team A Podcast. Die ganze Folge hört ihr hier:
Constanze Buchheim: Ja. Die Unsicherheit, die wir gerade erleben, erfordert ein ständiges Umdenken und Anpassen. Wir sind gezwungen, unsere Gewohnheiten und Denkmuster zu verändern. Wir sind permanent gefordert. Das ist ultimativ anstrengend. Zugleich – und das ist die positive Seite – beginnt persönliche Entwicklung immer damit, die Komfortzone zu verlassen.
Was können Führungskräfte tun, um sich anzupassen und in diese neue Normalität hineinzuwachsen?
Buchheim: Wir sind durch die Pandemie, den Krieg in der Ukraine und durch die vielen Unsicherheiten, die wir erleben, in einer Situation, die Führungskräfte allein nicht mehr lösen können. Wir sind vielmehr darauf angewiesen, dass jeder und jede Einzelne sich selbst führt – mit einem sehr hohen Maß an Eigenverantwortung. Das erfordert eine völlig neue Haltung, nicht nur von den Führungskräften, sondern von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in allen Positionen.
Das bedeutet, eine starke Frau oder einen starken Mann, die vorangehen und Lösungen bieten, kann es gar nicht mehr geben?
Buchheim: Genau. Bei diesen enormen Veränderungen müssen alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Verantwortung übernehmen. In vielen Unternehmen wird als Erstes nach Schuldigen gesucht – eine Anweisung der Chefin war unklar oder der Kollege hat vergessen, eine Information weiterzugeben. Doch damit schieben wir Verantwortung ab, und das ist der falsche Ansatz. Verantwortung heißt, selbst die Initiative zu übernehmen und zur Lösung beizutragen. Die entscheidende Frage, um sich anzupassen, lautet: Was kann ich gestalten? Selbst wenn mir mein eigener Spielraum zunächst gering erscheint.
Nun ist Eigenverantwortung nicht gerade das, was wir in Deutschland im Schulsystem und in der Arbeitswelt erlernt haben.
Buchheim: Das stimmt. Wir lernen Eigenverantwortung nicht in der Schule – und auch nicht in den Unternehmen. Daher beobachten wir im Moment viele Organisationen, die regelrecht ersticken: Sie versuchen, alles zu strukturieren und vorzuschreiben, um die Kontrolle aufrechtzuerhalten. Das kann nur scheitern. Auf der anderen Seite sehen wir Führungsansätze, die ausschließlich auf Autonomie beruhen, zum Beispiel in Start-ups oder anderen schnell wachsenden Organisationen. Und diese Autonomie wird dann von Menschen verlangt, die in unserem Bildungssystem gar nicht zu selbstständigem Denken erzogen worden sind.
Wie gehen Führungskräfte am besten damit um?
Buchheim: Wichtig ist, nicht von einem Extrem ins andere zu kippen. Führungskräfte müssen ihren Teammitgliedern beibringen, wie sie mit dieser Autonomie umgehen, Schritt für Schritt. Konkret bedeutet das zum Beispiel, nicht auf jede Frage eine Antwort parat zu haben, sondern auch mal mit einer Gegenfrage zu reagieren. Und so im Alltag immer wieder zu signalisieren: »Du kennst die Antwort selbst!«
Was ist, wenn das Team genervt ist von den ständigen Veränderungen? Wie können Chefs und Chefinnen einen positiven Ausblick geben?
Buchheim: Zwei Gedanken dazu: Zum einen reden wir uns als Gesellschaft heute ein, dass jeder glücklich sein muss – und zwar den ganzen Tag. Das führt zum Beispiel dazu, dass Eltern die Liebe für ihre Kinder damit verwechseln, alle negativen Emotionen von ihnen wegzuhalten. Aber Unglück und Trauer gehören zum Leben und zu jeder Entwicklung dazu. Wir müssen nicht immer glücklich sein, wir müssen gestalten. Wir sollten unseren Kindern beibringen, Neues auszuprobieren, Rückschläge auszuhalten und den eigenen Spielraum auszuloten. Später im Job sind diese Qualitäten dann genauso wichtig.
Und der zweite Gedanke?
Buchheim: Zum anderen brauchen Menschen in unsicheren Zeiten Stabilität, Klarheit und Wahrheit. Da erleben wir in der Politik gerade einen Wechsel, zum Beispiel in der Art, wie Vizekanzler Robert Habeck kommuniziert. Er sagt genau, wo die Probleme liegen und wie er sie angehen möchte. Er macht aber auch deutlich, wo er Angst hat, dass es nicht funktionieren wird. Diese Transparenz schafft Vertrauen. Und in Zeiten von Unsicherheit wird Vertrauen zum Schlüsselelement.
Emotionen aushalten, die Wahrheit ehrlich aussprechen – was ist noch wichtig, um Menschen dabei zu unterstützen, sich an Veränderungen anzupassen?
Buchheim: Mit Klarheit meine ich auch Klarheit über Möglichkeiten und Grenzen. Da bin ich wieder bei der Eigenverantwortung. Chefs und Chefinnen können nicht rund um die Uhr da sein und alles im Griff haben. Das ist eine Illusion. Letztendlich ist die Aufgabe von Führung heutzutage, Alignment zu schaffen. Die Führungskraft muss erklären: Was sind unsere Ziele? Was ist unser Beitrag? Wie lässt sich das erreichen? Was ist unsere Identität als Organisation, als Gruppe, als Team? Innerhalb dieses gesteckten Rahmens kann sie dann ihren Teammitgliedern Autonomie geben.
Auf dem Weg zu mehr Autonomie müssen Führungskräfte Fehler aushalten. In einer Studie hat der Wirtschaftspsychologe Martin Puppatz die Kompetenzen von 5000 Führungskräften analysiert. Er fand unter anderem heraus, dass die Mehrheit der deutschen Managerinnen und Manager enorm gewissenhaft ist – in einem solchen Maße, dass diese Eigenschaft mit einem hohen Kontrollbedürfnis und einer geringen Fehlertoleranz einhergeht. Kein Wunder, dass es in vielen Unternehmen knirscht.
Buchheim: Diese Debatte müssen wir dringend führen: Wer wird eigentlich Führungskraft? Und wann passiert das? Gerade in Deutschland beobachte ich eine starke Tendenz, Fachwissen extrem überzugewichten. Das Motto von Personalentwicklung war jahrzehntelang: Wer fachlich am kompetentesten ist, wird befördert. Aber Fachwissen sagt nichts über die Führungsqualität aus. Dafür ist Reife meiner Meinung nach das entscheidende Kriterium. Starke und reife Führung hat mit Persönlichkeitsentwicklung zu tun. Unternehmen bilden dies weder bei der Auswahl noch in den Weiterbildungen für Führungskräfte richtig ab.
Sie würden also sagen: Anpassungsfähige Führungskräfte sind reife Führungskräfte?
Buchheim: Ja, ich bin eine große Anhängerin des Konzepts der Mature Leadership. Wer Verantwortung für andere Menschen und Organisationen und damit eben auch für die Gestaltung unserer Welt übernimmt, sollte eine hohe persönliche Reife haben und seine Verantwortung auch spüren. Menschen sollten keine Führungsposition anstreben, weil sie das Ego streichelt und mit Anerkennung, Status und Macht verbunden ist. Die Motivation sollte Verantwortungsübernahme sein.
Das Interview führte Antonia Götsch. Ihr könnt es in ganzer Länge im Podcast hier hören:
Zur Person:
Constanze Buchheim, Jahrgang 1981, ist Gründerin der Personal- und Organisationsberatung i-Potentials, die sie heute mit Geschäftspartnerin Martina van Hettinga führt. Sie ist wie kaum eine andere Headhunterin vernetzt in der Digitalwirtschaft und versorgt diese mit Fach- und Führungskräften für die Transformation. Zu ihren Kunden zählen nach wie vor viele Start-ups wie Mister Spex und Delivery Hero, zunehmend aber auch Dax-Konzerne und Familienunternehmen wie Deichmann.
</div>
</div>
Woran machst Du in der Krise einen guten Chef oder eine gute Chefin aus? Diskutiere mit uns in den Kommentaren