Freelancer beschäftigen: Stresstest für Auftraggeber
Unternehmen würden gern mehr hoch qualifizierte Freelancer einsetzen. Doch gesetzliche Vorgaben machen die Sache unnötig kompliziert. Da hilft nur eine wasserdichte Compliance-Strategie.
Von Matthias Kossin
Paul Bauer (Name geändert) war wie vor den Kopf gestoßen: Mitten im laufenden Projekt erfuhr der IT-Freelancer von seinem Auftraggeber – einer Bank –, dass das Unternehmen ab sofort alle internen IT-Projekte auf das Risiko einer Scheinselbstständigkeit hin überprüfen würde. Der Vertrag des Spezialisten für Softwarearchitekturen war bis auf Weiteres ausgesetzt; sein wichtigstes IT-Projekt musste er binnen einer Woche beenden. Ein Albtraum für Auftraggeber wie Auftragnehmer.
Hintergrund dieser Hauruckaktion war eine Gesetzesnovelle zur Arbeitnehmerüberlassung, die im April 2017 in Kraft trat. Sie hatte Unternehmen die Möglichkeit genommen, Haftungsrisiken zumindest formal auf einen Personaldienstleister mit Arbeitnehmerüberlassungslizenz auszulagern. Nun hieß es: Verstößt ein Unternehmen gegen die – sehr strengen – Regelungen, dann drohen ihm nicht nur die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuern der vergangenen fünf Jahre. Führungskräften kann es auch strafrechtlich an den Kragen gehen, mit hohen Geld- oder sogar Freiheitsstrafen. Wer hoch qualifizierte Soloselbstständige wie Paul Bauer einsetzt, muss akribisch darauf achten, dass er dessen selbstständige Tätigkeiten von denen der eigenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abgrenzt.
Aber wie soll die Abgrenzung in der Praxis funktionieren? Im Fall von Paul Bauer ist das schon deshalb schwierig, weil Freelancer bei der Entwicklung von Softwarearchitekturen mit den Teams ihres Auftraggebers zusammenarbeiten müssen. Für Unternehmen, die auf externe Wissensarbeiter angewiesen sind, sind die gesetzlichen Regeln ein echter Stresstest. Es ist äußerst schwierig, die Arbeit von Freelancern ständig von der Arbeit der Festangestellten abzugrenzen, wenn sie – wie zum Beispiel im IT-Bereich – auf regelmäßige Projektabstimmungen angewiesen sind. Oft müssen sie auch auf die IT-Infrastruktur ihres Auftraggebers zugreifen, um ihre Aufgaben erledigen zu können. Als Arbeitsmaterial bringen sie ja keinen eigenen Maschinenpark mit, sondern ihr Wissen.
Das Dilemma der Unternehmen
Wer kann es Unternehmen da verübeln, wenn sie keine Soloselbstständigen mehr einsetzen wollen? 65 Prozent der befragten Personaldienstleister gaben in einer Studie des Beratungs- und Marktforschungsunternehmens Lünendonk an, Rechtssicherheit und Compliance seien für ihre Kunden das wichtigste Kriterium, wenn sie Freelancer beauftragen. Die Haftungsängste sind durchaus berechtigt. Erschwert wird die Situation dadurch, dass die rechtlichen Abgrenzungskriterien unklar sind und ständig neue Regulierungen hinzukommen.
So ist zum 1. April 2022 das Statusfeststellungsverfahren für Selbstständige bei der Deutschen Rentenversicherung reformiert worden. Damit sollten sich Freelancer und ihre Auftraggeber eigentlich Rechtssicherheit verschaffen, indem sie den Erwerbsstatus des Auftragnehmers gemeinsam von der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund überprüfen lassen. Doch die wenigsten Unternehmen nutzen das Verfahren, weil es auch nach der Reform keine zusätzliche Rechtssicherheit bringt. Es ist in mehreren Punkten unzulänglich:
Es ist rückwärtsgewandt. Wenn sich die Tätigkeit im Projekt ändert, gilt das Ergebnis streng genommen nicht mehr.
Widersprüche dauern oft Monate, Gerichtsverfahren unter Umständen Jahre – das Ergebnis ist offen.
Der Ausgang hängt von einzelnen Sachbearbeitenden ab.
Doch um innovativ und wettbewerbsfähig zu bleiben, brauchen Unternehmen flexibel einsatzfähige Externe. Das zeigt Tesla: Der Automobilhersteller konnte nur durch den Zukauf von Know-how und durch Kooperationen mit anderen Unternehmen so schnell so groß werden. Konzerne wie Tesla haben eine Organisation, die schnelle und agile Projektstrukturen aufbauen und flexibel steuern kann. Externe Experten sind dabei unverzichtbar. Sie bringen Know-how und Projekterfahrung ins Unternehmen und geben Impulse für Innovationen.
Letztlich musste die Bank, für die Paul Bauer gearbeitet hatte, das gesamte IT-Projekt um fast zwei Jahre verschieben. Der Grund waren fehlende interne Strukturen, um Externe rechtskonform einsetzen zu können. Das zeigt: Führungskräfte wissen zwar, wie wichtig selbstständige Wissensarbeiterinnen und -arbeiter für ihr Unternehmen sind. Doch häufig haben sie keine Möglichkeit, diese dauerhaft legal einzusetzen. Solange die Politik keine praktikable Lösung findet, die Arbeits- und Sozialschutz mit der notwendigen Flexibilität zusammenbringt, bewegen sich viele Unternehmen auf einem rechtlich schmalen Grat.
Die gute Nachricht: In der Managementpraxis gibt es bereits erprobte Konzepte, die das Risiko für Unternehmen und ihre Führungskräfte reduzieren. Sie brauchen dafür gut durchdachte Compliance-Regelungen für das operative Geschäft.
Wie eine Compliance-Strategie entsteht
Wenn Unternehmen Freelancer beauftragen, schließen sie mit ihnen meist Dienst- oder Werkverträge ab. Der Unterschied: Beim Dienstvertrag zahlt das Unternehmen für die Arbeitsleistung, beim Werkvertrag für ein definiertes Arbeitsergebnis. In beiden Fällen muss der Auftragnehmer die Leistung rechtlich gesehen selbstständig erbringen, um nicht als scheinselbstständig zu gelten.
Ebenso wichtig ist neben der Frage nach der schriftlichen Vertragsgestaltung, wie Auftraggeber und Auftragnehmer das Projekt konkret durchführen. Viele Unternehmen setzen Freelancer regelmäßig ein; größere Konzerne beschäftigen teilweise mehrere Hundert Freelancer in Projekten. Da ist es kaum noch möglich, die Beauftragungsverhältnisse individuell zu steuern – es wäre zu teuer und zu komplex. Daher ist es sinnvoll, einen systematischen Compliance-Prozess für den Umgang mit Freelancern einzuführen.
In vielen Unternehmen sind bereits jetzt gute Compliance-Prozesse etabliert, zu so unterschiedlichen Themen wie Datenschutz, Verhaltenskodex oder Sicherheit am Arbeitsplatz. Das reduziert Haftungsrisiken für die Geschäftsführung, für Aufsichtsorgane oder leitende Angestellte. Zwar kann eine Compliance-Systematik nicht jeden kritischen Einzelfall vollständig ausschließen. Doch sie sorgt dafür, dass die Prozesse im Unternehmen glatter ablaufen.
Bevor ein Unternehmen Aufträge an externe Wissensarbeiter vergibt, muss die Führungsebene einige Voraussetzungen schaffen.
Unterstützung sichern. Der erste Anstoß sollte vom Management jener Abteilung oder jenes Bereichs kommen, der regelmäßig Wissensarbeiter einsetzt. Das kann die Geschäftsführung selbst sein, aber auch die Gesamtverantwortliche eines Geschäftsbereichs, in dem das Thema eine besondere Rolle spielt – etwa in der Forschung und Entwicklung. Impulse für den Einsatz von Freelancern kommen regelmäßig auch aus dem strategischen Einkauf, der Rechts- und Compliance-Abteilung, in Einzelfällen auch aus der Personalabteilung. Entscheidend ist, dass das Topmanagement dem Thema rechtzeitig seine Aufmerksamkeit schenkt und Unterstützung zusichert.
Interessen klären. Im nächsten Schritt sollten sich die unterschiedlichen Stakeholdergruppen im Unternehmen austauschen. Ziel ist es, die unterschiedlichen Interessen transparent zu machen, zu priorisieren und sie in klare Leitlinien zu übersetzen. Dabei sollten die Fachbereiche aufzählen, in welchen Projekten sie gern mit Externen zusammenarbeiten möchten, welche konkreten Aufgaben sie extern vergeben wollen und wie dies in ihre Projektplanung passt.
Dem Einkauf kommt dabei eine zentrale Rolle zu: Er muss die Beauftragung solcher Dienstleistungen sauber in seinen Prozessen abbilden. Die Personalabteilung wiederum muss den Einsatz von Freelancern mit der Personalstrategie abgleichen. Die Rechtsabteilung vertritt die rechtliche Risikolinie; die Geschäftsführung gibt die Gesamtstrategie vor. Dieses Vorgehen mag ambitioniert klingen. Es ist aber der beste Weg zu einer gemeinsamen Strategie, wie die Beteiligten im Unternehmen mit dem Thema Wissensarbeit umgehen wollen.
Taskforce gründen. Besteht Klarheit über die internen Interessen, bietet sich die Gründung einer Projektgruppe oder Taskforce an, die das weitere Vorgehen steuert. In ihr sollten Vertreterinnen und Vertreter der unterschiedlichen Stakeholdergruppen sitzen, die oft ziemlich gegensätzliche Perspektiven auf das Thema haben. Hier kann der Fachbereichsleiter seinen Projektdruck kommunizieren, die Rechtskollegin klare No-Gos aufzeigen und der Einkäufer darauf hinweisen, dass seine Vertragsprozesse weiterhin steuerbar bleiben müssen.
Eine Compliance-Strategie für externe Wissensarbeiter muss sich nach den Bedürfnissen des jeweiligen Unternehmens richten. Dennoch gibt es Elemente, die nie fehlen dürfen.
Vergabeleitlinien entwickeln. Viele Unternehmen haben in ihrer Einkaufsabteilung einen eigenen Clearingbereich. Er beschäftigt sich mit der Vergabefähigkeit einzelner Tätigkeiten und prüft, ob die Arbeiten, die der Fachbereich an Externe vergeben möchte, wirklich als selbstständige Tätigkeit gelten. Idealerweise erarbeitet der Einkauf diese Leitlinien nicht allein, sondern zieht Kolleginnen und Kollegen aus der Rechtsabteilung zurate. Das Ziel besteht darin, Projekttypen zu identifizieren, die dienst- oder werkvertragtauglich sind.
Ein wesentliches Element des Dienstvertrags ist die sogenannte dienstvertragliche Leistungsbeschreibung, beim Werkvertrag sind es die sogenannten Lasten- und Pflichtenhefte. Sie sind wesentliche Indikatoren dafür, ob der Selbstständige die Leistung wirklich selbstständig erbringen kann (siehe Abschnitt „Das ist wichtig beim Vertrag“ unten). Einerseits müssen sie konkret genug sein, damit er hieraus ableiten kann, wie er seinen Auftrag weisungsfrei erbringt. Andererseits sollten sie auch nicht so detailverliebt formuliert sein, dass der Freelancer keinen weisungsfreien Handlungsraum mehr hat. Je früher Unternehmen hier eine Schnittstelle aufbauen, desto strukturierter wird die Beauftragung von Freelancern später ablaufen. Es gibt Einkaufsbereiche, die sich zu echten Beratungsstellen für das Thema entwickelt haben und so gewährleisten, dass das Unternehmen die Compliance-Regeln einhält.
Orientierungshilfe geben. Neben den Formulierungen in den Verträgen sollten Managerinnen und Manager auch genau auf die Abläufe in ihren Projekten achten. Alle Unternehmensbereiche müssen für die Frage sensibilisiert werden: Was geht und was geht nicht?
Selbstständige arbeiten grundsätzlich weisungsfrei. Sie können also selbst entscheiden, wann, wie und wo sie tätig sind und mit welchen Methoden sie arbeiten. Doch diese Freiheiten sind in der Praxis meist begrenzt. Dazu einige Beispiele: Wenn die selbstständige Ingenieurin die Produktionsanlage ihres Kunden auf Fehler hin analysiert, wird sie die Anlage nicht abbauen und in ihrem Arbeitszimmer wieder aufbauen. Wenn der externe IT-Experte an einer hochsensiblen Kundendatenbank arbeitet, wird sein Auftraggeber ihm aus Datenschutzgründen vielleicht keinen Fernzugriff erlauben. Und wenn eine Software in der Programmiersprache Java entwickelt wird und bestimmte Sicherheitsanforderungen hat, kann der externe Entwickler seinen Programmteil nicht in einer anderen Sprache schreiben oder die Sicherheitsanforderungen ignorieren.
Auch die zeitliche Weisungsfreiheit findet Grenzen, wo Projekte gegen Deadlines laufen und Arbeitspakete rechtzeitig abgegeben werden müssen. Aber wo genau liegen die Grenzen zwischen methodischer Vorgabe, um die Qualität einzuhalten, und einer arbeitsrechtlichen Weisung des Projektleiters, der den Spezialisten nicht zur Projektabsprache einlädt, sondern ihn zum „Report zitiert“?
Wie schwierig eine klare Abgrenzung sein kann, zeigt sich besonders deutlich bei agilen Projektmethoden wie Scrum. Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRVB) bewertet diese Methode, bei der die Teilnehmenden in kurzen Zyklen (sogenannten Sprints) weisungsfrei, aber sehr interaktiv arbeiten, oft als kritisch – vor allem wenn Teams aus Mitarbeitern und Externen gemischt werden. So entschieden in einem jüngeren Fall sowohl die DRVB (im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens) als auch das Sozialgericht in Karlsruhe zunächst auf eine abhängige Beschäftigung. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg kam beim Revisionsverfahren aber zu dem Schluss, dass es sich um eine selbstständige Tätigkeit handelte.
Wer Projektabläufe frühzeitig in Zusammenarbeit mit der Rechts- und Compliance-Abteilung oder dem betreffenden Fachbereich überprüft, ist klar im Vorteil. Unternehmen müssen herausfinden, wo mögliche Weisungsrisiken versteckt sind und wo Integrationsrisiken aus einer Nähe zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer entstehen können.
Viele Gefahren für die Compliance entstehen da, wo methodische Vorgaben aus Bequemlichkeit immer häufiger missachtet werden. Dahinter steckt nicht etwa der Unwille, regelkonform zu arbeiten.
Das größte Problem sind mangelnde Sensibilisierung und eine schleichende, unbewusste Integration selbstständig tätiger Personen in die Unternehmensorganisation. Wer beim ersten Auftrag noch „der externe Berater“ war, wird irgendwann doch für mehr Themen angefragt, als im Vertrag definiert sind. Selten steckt böse Absicht dahinter, dennoch ist das Risiko real.
Compliance-Beauftragte können dem mit klaren Transparenzmaßnahmen vorbeugen. Das geht bereits im Kleinen los: Der Hausausweis externer Mitarbeiter bekommt eine klare farbliche Kennzeichnung. E-Mail-Signaturen machen klar: Hier schreibt ein externer Dienstleister. Und so bedauerlich es für Freelancer auch ist: An der Kantinenkasse steht ihnen nicht der reduzierte Mitarbeiterpreis zu (siehe Abschnitt „Dos und Don’ts bei Freelancern“ unten).
Unternehmen müssen Leitlinien definieren, mit denen sie den Compliance-Prozess steuern. Im Einkauf – also der Beauftragung der Wissensarbeiter – hat sich ein Mix aus Standards und Einzelprüfungen bewährt. Denn wer allein auf Individualprüfung setzt, profitiert nicht von der Skalierung eines Compliance-Systems. Wer hingegen nur auf einfache Standards setzt, wird automatisch auf Gestaltungsoptionen verzichten oder Risiken übersehen, weil sie durch den Standard nicht abgedeckt sind. Folgende Leitlinien sind unverzichtbar:
Prozessvorgaben. Diese erläutern den Fachbereichen, wie sie konkret mit externen Projektmitarbeiterinnen und -arbeitern umgehen sollten.
Rückfragekanal. Sollten im Verlauf des Projekts Risiken auftauchen, hilft ein fester Ansprechpartner. Dieser sollte verschiedene Handlungsoptionen kennen und mit der Fachabteilung erörtern.
Checks. Manager sollten regelmäßig im Projektverlauf überprüfen, ob Aufträge so umgesetzt werden, wie es angedacht war. An diesen Checks sollten die Fachbereiche, gegebenenfalls auch der Freelancer, teilnehmen. Möglich sind Checklisten, die zeigen, was bei bestimmten Risiken zu tun ist, oder auch persönliche Gespräche, um die einzelnen Punkte durchzugehen. Auf den Prüfstand kommen die gelebte Arbeitspraxis, der jeweilige Kenntnisstand und möglicher Schulungsbedarf im Haus.
Sensibilisierung. Das Unternehmen macht die Fachbereiche und die Freelancer selbst immer wieder durch Checklisten, FAQ- und Best-Practice-Dokumente, Videos und Schulungen auf das Thema aufmerksam.
Weiterentwicklung. Die Verantwortlichen im Unternehmen müssen ihre Compliance-Systeme regelmäßig überprüfen und weiterentwickeln. Funktionieren die Risikoprozesse bei der Beschaffung? Weiß der Fachbereich wirklich, wie er mit externen Projektmitarbeitenden umgehen sollte? Sind auch die Auftragnehmer ausreichend sensibilisiert? Lassen sich Leistungsbeschreibungen anpassen, wenn sich Aufgaben ändern?
Nicht immer ist es sinnvoll, von Anfang an ein hochkomplexes System zu entwickeln. Und nicht immer muss das gesamte Unternehmen eingebunden werden. In solchen Fällen bietet es sich an, mit einem Pilotprojekt zu starten und ein typisches Projekt operativ durch den kompletten Prozess zu begleiten. Das erlaubt einen schnellen, praxisnahen Einblick in die Probleme und Fragen, die sich dabei ergeben, und sollte in einen offenen Dialog mit den Beteiligten münden.
Paul Bauer, der IT-Freelancer vom Anfang dieses Artikels, hat inzwischen einiges über das Thema Scheinselbstständigkeit gelernt. Einige seiner Auftraggeber hat er mittlerweile verloren, weil sie keinen tragfähigen Compliance-Prozess aufsetzen konnten, obwohl sie sein Know-how dringend gebraucht hätten. Andere beauftragen ihn mittlerweile nur noch nach umfangreichen Prüfungen.
Ein Kunde hat sich aus Angst vor rechtlichen Folgen sogar entschieden, ihn ausschließlich remote arbeiten zu lassen. Bauer darf das Firmengebäude nicht mehr betreten. Das empfindet er als „Placebo-Pflaster“, muss sich dem Prozess aber beugen. Seine Projektbesprechungen werden dadurch kompliziert und unproduktiv. Insgesamt ist das Thema Scheinselbstständigkeit für ihn zu einem Kosten- und Planungsmonster geworden. Deutlich lieber wäre es ihm, sich statt mit Administration und Formalitäten mit neuen Projekten zu beschäftigen.
Unternehmen sind gut beraten, solche Szenarien zu verhindern. Moderne Projekte funktionieren nicht mehr ohne externe Expertinnen und Experten. Ihr Einsatz bringt Wettbewerbsvorteile, die sich Unternehmen mit der richtigen Compliance-Strategie sichern sollten. Mit den richtigen Maßnahmen können sie sich vor rechtlichen Schäden schützen, ohne die begehrten Wissensarbeiter durch allzu große Bürokratie abzuschrecken. © HBm 2022
Autor
Matthias Kossinist Senior Abteilungsleiter Compliant Sourcing beim Personal- und Projektdienstleister Hays. Er ist Experte für die regelkonforme Ausgestaltung flexibler Arbeitsformen im Dienstvertrag, im Werkvertrag und in der Arbeitnehmerüberlassung.
Kompakt
Das Problem Viele Unternehmen sind darauf angewiesen, Freelancer flexibel in Projekten einzusetzen – vor allem im IT-Bereich. Größere Konzerne beschäftigen mittlerweile mehrere Hundert Freelancer. Doch der Gesetzgeber macht es ihnen nicht leicht, Selbstständige gesetzeskonform zu beauftragen.
Die Vorbereitung Deshalb führt kein Weg an einer Compliance-Strategie vorbei. Bevor einzelne Abteilungen Freelancer beauftragen, sollten sie sich die Unterstützung des Topmanagements sichern, sich mit Einkauf, HR- und Rechtsabteilung austauschen und idealerweise eine Taskforce gründen.
Die Umsetzung Ein Unternehmen muss in allen Aspekten darauf achten, dass Freelancer weisungsfrei arbeiten. Niemals sollten die Grenzen zwischen ihnen und Festangestellten verschwimmen. Dazu braucht es klare Leitlinien für die Auftragsvergabe, rechtssicher formulierte Dienst- oder Werkverträge und eine für das Problem sensibilisierte Belegschaft.
Das ist wichtig beim Vertrag
Wer Werk- oder Dienstverträge mit selbstständigen Wissensarbeitern abschließen möchte, sollte auf die folgenden Punkte achten.
Projekt- oder Leistungsbeschreibung. In der Regel werden Freelancer auf Projektbasis eingesetzt. Auftraggeber sollten das Projekt, um das es geht, genau beschreiben und die notwendigen Arbeiten konkretisieren, die der Freelancer übernehmen soll. Gleichzeitig sollte dieser genügend Raum bekommen, seine Leistungen weisungsfrei zu erbringen.
Tools und methodische Vorgaben. Sind bestimmte Tools, Programmiersprachen, Methoden, Normen, Verfahren oder Qualitätsstandards notwendig, um die Leistung zu erbringen, dann sollten diese ebenfalls in der Leistungsbeschreibung stehen.
Aktualität. Bei einer Vertragsverlängerung oder bei größeren Veränderungen im Projektablauf sollte das Unternehmen die Leistungsbeschreibung rechtzeitig aktualisieren. In diesem als Change Request bekannten Verfahren erklärt der Auftraggeber dem Auftragnehmer schriftlich, wie sich die Anforderungen im Projekt verändert haben. Dem Auftragnehmer steht es frei, die Änderungen anzunehmen oder abzulehnen.
Dos and Don'ts bei Freelancern
Auftraggeber sollten vermeiden, Freelancern arbeitsrechtliche Weisungen zu erteilen oder diese versehentlich in die eigene Arbeitsorganisation zu integrieren. Dazu müssen sie ihre Festangestellten immer wieder für diese Problematik sensibilisieren. Folgende Punkte sind bei externen Wissensarbeitern im Unternehmen zu beachten:
Keine Aufnahme ins Organigramm
Eigene E-Mail-Adresse oder – wenn durch das Projekt erforderlich – E-Mail-Adresse mit Hinweis auf Externen-Status, zum Beispiel Nennung des Freelancer-Unternehmens
Unterschiedliche Zugriffsrechte/Mailverteiler für Interne und Freelancer (für Letzere nur mit Projektbezug)
Umgang mit Tools zur Zusammenarbeit wie Microsoft Teams oder Webex klären
Keine Aufnahme ins Telefonverzeichnis – oder wenn, dann nur mit Hinweis auf Externen-Status
Nutzung unternehmenseigener Arbeitsmittel nur mit klarem Sachgrund wie Datenschutz oder Arbeitssicherheit
Keine Teilnahme an Meetings, die Themen ohne Projektbezug betreffen
Kein Urlaubsantrag
Kein Attest im Krankheitsfall
Keine Teilnahme an Firmenfeiern oder Betriebsratswahlen
Keine Mitarbeitervergünstigungen
Dieser Beitrag erschien erstmals in der November-Ausgabe 2022 des Harvard Business managers.
