Freude am Denken: Wie sich Menschen zur Übernahme von Verantwortung für künftige Generationen bewegen lassen
Aus dem WerteCodex der Mader GmbH & Co. KG
Um in einer aus den Fugen geratenen Welt emotional nicht "überzulaufen", braucht es innere Stabilitätsanker, die dazu beitragen, sich zu sich selbst und der Welt ins Verhältnis zu setzen, um bestimmte Situationen besser zu meistern. Statt sich von der äußeren Welt zu distanzieren, sollten wir uns auf das konzentrieren, was in unserer Macht steht (was wir beeinflussen und verändern können). Unser Geist befähigt uns, die Welt aktiv und nachhaltig zu gestalten. Dies verpflichtet uns aber auch dazu, Verantwortung zu übernehmen. Im Kern bedeutet das, bereit zu sein, anderen gegenüber „Rede und Antwort“ für das eigene Verhalten zu stehen. Der Begriff Verantwortung stammt aus dem Rechtswesen und wurde im Sinne von „be-antworten“ (der Angeklagten) verwendet. Verantworten bedeutete, „sich vor Gericht verteidigen“ (und vor Gott). Hannah Arendt sieht unter Rückbezug auf Aristoteles das wesentliche Charakteristikum des Menschen in der Befähigung zum Handeln als Anfangen-Können. Politische Teilhabe, das Einbringen in die Welt, ist wie eine zweite Geburt, „in der wir die nackte Tatsache des Geborenseins bestätigen, gleichsam die Verantwortung dafür auf uns nehmen“. Im Gegensatz zur traditionellen Philosophie steht für sie die Vielfalt im Fokus:
Mit-Sein und Miteinander-Handeln seien unabdingbar. Leider wird der Begriff Verantwortung heute genauso inflationär verwendet wie Nachhaltigkeit. Das führt mitunter dazu, dass sich Verantwortung in ihr Gegenteil verkehrt wie Nicht-Nachhaltigkeit. Doch was ist mit Verantwortung konkret gemeint? Wer trägt wofür Verantwortung - und warum? Vor wem sind wir verantwortlich? Ist unser Wille frei? Und wenn nicht, wie können wir dann für unsere Taten verantwortlich gemacht werden? Ist das eigene Gewissen, die Maximen und Schlussfolgerungen der Vernunft, die letzte Instanz, vor der wir Rechenschaft ablegen müssen? Oder sind es die Institutionen der Gemeinschaften, in denen wir leben, oder gar jenseitige Mächte? "Verantwortung ist die sehr moderne Entscheidung, was für ein Mensch man sein will", schreibt Dr. Siegfried Reusch, Chefredakteur des Journal für Philosophie "der blaue reiter". Er verweist auch auf Verantwortung als einen ethischen Begriff, der vier an sich unabhängige Elemente zueinander in Beziehung setzt:
das Subjekt der Verantwortung (den Handelnden)
das Objekt der Verantwortung (die Handlungsfolgen)
die Instanz, vor der man sich verantwortet
das System von Bewertungsmaßstäben, anhand dessen Verantwortung bemessen wird.
"Nur wer frei entscheiden kann, welche Handlungen er ausführt, wer auch anders hätte handeln können, kann verantwortlich gemacht werden", so Reusch. Das Journal für Philosophie widmet sich in seiner aktuellen Ausgabe dieser hochaktuellen Thematik. Zu den Autor:innen gehören Stefan Baur, Valentin Beck, Fabian Bernhardt, Martin Booms, Friedrich Dieckmann, Lea Mara Eßer, Jörg H. Hardy, Jutta Heinz, Jochen Hörisch, Bernd Irlenborn, Nicolas Koj, Catrin Misselhorn, Jürgen Nielsen-Sikora, Otto-Peter Obermeier, Stefan Reusch, Christina Schües, Paul Stephan, René Weiland und Thomas Zoglauer. Jürgen Nielsen-Sikora beschäftigt sich mit dem Buch "Das Prinzip Verantwortung" (1979) des Philosophen Hans Jonas. Der wichtigste Satz lautet hier: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Damit versuchte Jonas, die Menschen zur Übernahme ihrer Verantwortung für künftige Generationen zu bewegen.
Dieter Birnbacher beschäftigt sich im Magazin mit der Krise der Verantwortung und mit Friedrich Nietzsche und Max Stirner. Beide werden als Befürworter der Rücksichtslosigkeit beschrieben. Was bei Stirner zutrifft, ist bei Nietzsche allerdings nicht so einfach zu behaupten. Mit dem Satz „Mir geht nichts über Mich“ (auch Motto seiner Philosophie) endet der Prolog von Stirners Werk "Der Einzige und sein Eigentum". Wesenheiten wie „die Geschichte“, „die Vernunft“, „der Andere“ oder „Gaia“ sind aus seiner Sicht bloße „Gespenster“. Für Verantwortung gibt es in seiner Welt keinen Platz. Seine Haltung der universellen Verantwortungslosigkeit: „Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt.“ Das gilt auch für ihn selbst - den „Einzigen“, der sich selbst gegenüber ebenso wenig rücksichtsvoll ist. Er folgt einfach seinen jeweiligen Launen, Leidenschaften und Bedürfnissen.
Der Satz, dass nichts wahr, aber alles erlaubt ist, findet sich wörtlich auch bei Nietzsche, dem zuweilen nachgesagt wird, Stirners Hauptwerk plagiiert zu haben. Allerdings wird nachgewiesen, dass "die Stirner’sche Rücksichtslosigkeit für Nietzsche nur ein Durchgangsstadium" ist (ein „Übergang“). Bei der völligen Unverantwortlichkeit, der „Philosophie der Gleichgültigkeit“ will es Nietzsche nicht belassen: "Es bleibt bei ihm doch jemand, dem gegenüber man verantwortlich bleibt: sich selbst gegenüber. Dies ist der Kernaspekt seiner berühmten Lehre von der 'ewigen Wiederkunft'. Ich muss mir bei all meinen Entscheidungen stets die Frage stellen: Kann ich diese Entscheidung mir gegenüber verantworten?" Gezeigt wird, dass der Wille „zur Selbstverantwortlichkeit“ für ihn die Voraussetzung echter Freiheit ist. Nietzsche setzt im Gegensatz zu Stirner auf den den kategorischen Imperativ Immanuel Kants:
Der „innere Gerichtshof der Vernunft“ (Kant), das Gewissen, wird für Nietzsche jedoch zur Privatsache. Für den Aufklärer Kant, der mit seiner Philosophie unser Welt- und Menschenbild bis heute prägte, war Vernunft keine Selbstverständlichkeit, sondern eine herausfordernde Erinnerung an unsere Selbstachtung, unseren Mut zum Selberdenken und das Bewusstsein darüber, was richtig und falsch ist. An die Stelle etablierter Institutionen setzte er die Autorität der Vernunft – das geistige Vermögen, Zusammenhänge zu erkennen, zu beurteilen und sich sinnvoll und zweckmäßig zu verhalten. Im Zentrum seiner Philosophie steht die Emanzipation des Denkens: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.“
Um den Kurs in eine nachhaltige Zukunft abzustecken, müssen sich Vernunft und gründliches Nachdenken verbinden und immer wieder rückgekoppelt werden. Deshalb ist ein Magazin wie "der blaue reiter so wichtig: Es unterstützt uns mit seinen interdisziplinären Ansätzen darin und macht zugleich Freude am Denken. Darauf beruht auch die Entstehung des Magazins: Philosophen (Studierende der Universitäten Ulm und Stuttgart) wollten ihre Begeisterung für ihr Fach auch an eine interessierte Leserschaft außerhalb der Universität weitergeben und gründeten 1995 ein Journal für Philosophie. Da sie keinen Verlag fanden, der eine verständliche Zeitschrift drucken und verlegen wollte, gründeten sie den „Verlag der blaue reiter“ (damals unter dem Namen „omega verlag“). Anliegen des Buchverlags, in dem Publikationen im Grenzbereich von Philosophie und Literatur, Philosophie und Naturwissenschaften sowie Philosophie und Kunst erscheinen, und des Journal für Philosophie "der blaue reiter" ist es, die Freude am Denken an Interessierte weiterzugeben.
Dazu trägt auch die aktuelle Ausgabe des Philosophie-Magazins zum Thema Verantwortung bei: Neben den genannten Beiträgen widmen sich andere Autoren u.a. der Neutralität wissenschaftlicher Erkenntnisse, der Verantwortung in der Literatur sowie aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen wie Armut und dem Umgang mit Straftätern. Jochen Hörisch analysiert das Spannungsfeld zwischen Zwängen und Verantwortung, Christina Schües stellt Hannah Arendts Philosophie der zwischenmenschlichen Verantwortung vor, Catrin Misselhorn beleuchtet die Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf unser Selbstverständnis. Gezeigt wird auch, dass Immanuel Kant vordergründig mit künstlicher Intelligenz wenig zu tun hat - dennoch gibt es einen tieferen Zusammenhang. Neben Fachbeiträgen finden sich im Journal eine Umfrage zur historischen Verantwortung Deutschlands, ein Portrait des Philosophen Hans Jonas, das philosophische Lexikon.
Es muss klar sein, wem gegenüber wir für wen oder was Verantwortung tragen und wie weit sich die Grenzen dieser Verantwortlichkeit erstrecken. In Unternehmenspublikationen wie Nachhaltigkeitsberichten heißt es oft: „Wir fühlen uns verantwortlich für die künftigen Generationen.“ Doch es fehlt häufig das Präzise. Anders ist es beim Druckluftspezialisten Mader aus Leinfelden-Echterdingen: Das zehnjährige Bestehen des WerteCodex im Jahr 2017 nahm dort eine interne Projektgruppe zum Anlass, verschiedene Aktionen passend zu den acht Werten des Unternehmens zu veranstalten. Am Ende der Veranstaltungsreihe hatten alle Mitarbeitenden die Möglichkeit, an einer Befragung zu den Werten teilzunehmen und deren Aktualität zu bewerten. Auf Basis der Befragungsergebnisse erarbeitete die Projektgruppe Vorschläge zur Aktualisierung des WerteCodex, der den ethischen Rahmen für das tägliche Handeln der Führungskräfte und Mitarbeiter gibt. Ergebnis der Befragung war die inhaltliche Anpassung einiger Werte, beispielsweise die Umbenennung des Wertes „Willenskraft“ in „Entschlossenheit“ sowie die Aufnahme zweier neuer Werte: Gelassenheit & Ruhe - Begeisterung & Optimismus - Offenheit & Ehrlichkeit – Zuverlässigkeit - Verantwortung & Vertrauen – Wertschätzung – Nachhaltigkeit – Entschlossenheit.
Seit 2019 gehören auch die Werte „Nachhaltigkeit“ und „Wertschätzung“ dazu. Das bedeutet für das Unternehmen, auch das bisher Geleistete zu würdigen und zu erkennen, dass einiges auch ein reicher Nährboden für künftige Herausforderungen sein kann. Im neuen Firmengebäude sind die Besprechungsräume nach den Unternehmenswerten benannt, zudem rücken beleuchtete Bildinstallationen im Treppenhaus des Firmengebäudes die Werte in den Fokus. Dieser Ansatz deckt sich mit dem Zitat des Philosophen Karl Jaspers: „Verantwortung ist immer konkret. Sie hat einen Namen, eine Adresse und eine Hausnummer.“
Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.
Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. In: Wilhelm Weischedel: Werksausgabe in 12 Bänden. Band VII. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1977.