Freundschaften im Job steigern die Produktivität
Freundschaften haben auf der Arbeit nichts zu suchen? Von wegen! Teams arbeiten deutlich erfolgreicher, wenn sich ihre Mitglieder gut verstehen. Das ist auch eine Sache der richtigen Führung.
Von Jon Clifton
Überall auf der Welt leiden Menschen unter Einsamkeit. Das Forschungsinstitut Gallup schätzt, dass rund 300 Millionen Männer und Frauen ohne Freunde auskommen müssen. Und gut 20 Prozent aller Menschen haben weder Familienangehörige noch Freunde, auf die sie sich verlassen könnten, wenn es hart auf hart käme.
Im Durchschnitt verbringen Erwachsene rund 81.396 Stunden ihres Lebens im Job. Das entspricht neun Jahren. Am Arbeitsplatz knüpfen Menschen häufiger Freundschaften als anderswo – in der Schule, der Nachbarschaft, in religiösen Gemeinschaften oder im Freundes- oder Bekanntenkreis –, hat zum Beispiel die Non-Profit-Organisation Survey Center on American Life für die USA festgestellt.
Und obgleich Unternehmen viel tun, um das Leben ihrer Angestellten zu erleichtern und ihre Zufriedenheit zu vergrößern: In das soziale Wohlergehen investieren sie am seltensten. Das belegt eine Studie, für die Gallup die Personalchefs globaler Konzerne befragt hat. Der blinde Fleck bleibt nicht ohne Folgen. Wie die Gallup-Forscher ebenfalls feststellten, geben nur drei von zehn befragten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an, im Kollegenkreis einen besten Freund oder eine beste Freundin zu haben.
Trotz der weitverbreiteten Behauptung, dass „unsere Mitarbeiter unser größtes Kapital sind“, sind viele Führungskräfte der Ansicht, dass Privates auf der Arbeit nichts zu suchen habe. Dabei zeigen die Gallup-Daten, dass sich gute Freundschaften am Arbeitsplatz positiv auf die Geschäftsergebnisse auswirken. Sie führen unter anderem zu einer höheren Rentabilität, mehr Arbeitssicherheit und einer stärkeren Mitarbeiterbindung.
Wissenschaftler der University of Pennsylvania und der University of Minnesota haben nicht nur bestätigt, dass enge Freundschaften die Produktivität am Arbeitsplatz erhöhen. Sie fanden auch heraus, warum dies so ist: Freunde sind engagierter, kommunizieren besser und ermutigen sich gegenseitig. Die weltweite Studie des International Social Survey Programme kommt zu dem Resultat: „Zwischenmenschliche [Arbeits-]Beziehungen haben einen beträchtlichen und signifikant positiven Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit eines durchschnittlichen Angestellten.“ Beziehungen seien sogar der wichtigste aller zwölf untersuchten Faktoren, die Unterschiede in der Arbeitszufriedenheit erklärten.
Seit Beginn der Covid-Pandemie ist der Stellenwert von Freundschaften am Arbeitsplatz noch gestiegen. Wie die Gallup-Forscher zeigen konnten, steigert ein bester Freund auf der Arbeit nicht nur die Zufriedenheit mit dem Job. Eine solche Beziehung erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass Arbeitnehmer ihren Arbeitgeber weiterempfehlen. Zudem verringert sie den Wunsch, das Unternehmen zu verlassen.
Durch den Anstieg von Tele- und Hybridarbeit sind die Freunde am Arbeitsplatz weit mehr als einfach nur besonders geschätzte Kolleginnen und Kollegen. Sie sind zu Lebenshelfern geworden, die Verbundenheit und Unterstützung in Zeiten des Wandels sicherstellen.
Mit der Pandemie hat sich das Gefühl der Einsamkeit rund um den Globus weiter verbreitet. Das ist auch deshalb geschehen, weil es schwieriger wurde, Freundschaften am Arbeitsplatz aufzubauen: Bei hybrid arbeitenden Teams ist die Zahl derer, die angeben, eine beste Freundin oder einen besten Freund im Job zu haben, seit 2019 um 5 Prozentpunkte zurückgegangen.
Egal, ob es sich um einen Präsenz-, Remote- oder hybriden Arbeitsplatz handelt – eine Kultur, die Freundschaften fördert, wirkt sich positiv auf Mitarbeiter und das gesamte Unternehmen aus. Wie können Führungskräfte also ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem Freundschaften gedeihen? Hier sind einige Maßnahmen, die Sie sofort ergreifen können:
Richten Sie ein Buddy-System ein. Jeder braucht einen Menschen, der ihm offen und wohlgesonnen begegnet. Vor allem als Neuling im Unternehmen. Wenn Sie neuen Mitarbeitenden erfahrene Kolleginnen und Kollegen zur Seite stellen, können Sie die Einarbeitung beschleunigen und die Produktivität steigern. Die erfahreneren Kollegen geben den neuen Mitarbeitern nicht nur praktische und handfeste Tipps. Sie weihen sie auch in die ungeschriebenen Regeln der Organisation ein. Darüber hinaus helfen sie ihnen, Kontakte zu knüpfen. Und einige dieser ersten Kontakte werden mit ziemlicher Sicherheit zu langfristigen Beziehungen führen.
Der Schlüssel zu einem effektiven Buddy-System ist die Häufigkeit der Interaktionen. Microsoft fand heraus: Von den neuen Mitarbeitern, die sich in den ersten 90 Tagen mehr als achtmal mit ihrem Buddy trafen, gaben 97 Prozent an, dieser Mensch habe ihnen geholfen, schnell produktiv zu werden. Bei jenen, die in dieser Zeit lediglich einmal mit ihrem Buddy zusammenkamen, waren es nur 56 Prozent.
Führen Sie mehr persönliche Gespräche. Vor der Pandemie war der Arbeitsplatz ein Ort, an dem sich Kollegen beim Kaffee trafen, gemeinsam zu Mittag aßen und spontane Gespräche auf dem Flur führten. Für jene, die 2020 Vollzeit aus dem Homeoffice arbeiteten, gehörte der plötzliche Verzicht auf all dies nach eigener Einschätzung zu den stärksten Veränderungen, die sie zu bewältigen hatten. Nicht wenige fühlten sich allein.
Um Freundschaften zu schließen, müssen wir mit Menschen sprechen, ihnen begegnen und Zeit mit ihnen verbringen. Der beste Weg, eine Beziehung aufzubauen, läuft über den Kontakt, und sei es per Zoom oder via Facetime. Mitarbeiter sollten mehr miteinander reden und weniger E-Mails schreiben, weil diese nie das persönliche Gespräch ersetzen können. Zudem bergen E-Mails ein großes Potenzial für Missverständnisse.
Führungskräfte müssen hier mit gutem Beispiel vorangehen: Kommunizieren Sie am besten persönlich und weniger per Mail oder Chatnachrichten. Fördern Sie persönliche Interaktionen, indem Sie neue kulturelle Normen definieren und Arbeit neu organisieren. Sorgen Sie beispielsweise dafür, dass Ihre Teammitglieder mit Kollegen aus anderen Abteilungen zusammenarbeiten oder sich bei Aufgaben abwechseln.
Planen Sie auch mehr Veranstaltungen vor Ort ein – unabhängig davon, ob es sich dabei um fachliche Treffen oder gemeinsame Mittagessen handelt. Denken Sie außerdem darüber nach, wie Sie die Arbeitsbereiche Ihrer Mitarbeiter näher zusammenbringen können. Wo sonst verbringen Menschen aus verschiedenen Lebensbereichen so viel Zeit miteinander, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen? Und wo sonst sind sie so von den Bemühungen der anderen abhängig?
Veranstalten Sie Jamsessions. Wenn Menschen ein gemeinsames Ziel haben und große Dinge erreichen, entsteht zwischen ihnen eine Verbindung. Bringen Sie Ihre Teammitglieder also in Workshops zusammen, um miteinander neue Ideen zu entwickeln – veranstalten Sie Jamsessions, wie Musiker es tun. Die Wirtschaftszeitung „The Economist“ beschreibt dies am Beispiel der Beatles, einem Hochleistungsteam: „Die Beatles liebten das, was sie beruflich taten. Wenn sie nicht gerade Musik machten, redeten sie darüber oder dachten darüber nach. Sie machten Aufnahme um Aufnahme ihrer eigenen Songs, und sie jammten ständig.“
Wenn Sie jemals an einer gemeinsamen Jamsession teilgenommen haben, kennen Sie das Gefühl. Ihre Mitarbeiter wollen das auch spüren – die Zufriedenheit und den Stolz darauf, etwas Großartiges zu schaffen und dabei Spaß zu haben. Beste Freunde vertrauen, akzeptieren und verzeihen sich gegenseitig. Gallup-Untersuchungen haben gezeigt, dass sie bei der Zusammenarbeit im Job Kunden und interne Partner besser motivieren, mehr in kürzerer Zeit erledigen, den Arbeitsplatz sicherer machen, innovativer sind, Ideen austauschen und außerdem mehr Freude im Job haben.
Erzwingen Sie es nicht. Dank der Pandemie liegen die Tage der fast obligatorischen Happy Hours und „Kindergartenbüros“ voller Spiele und bunter Spielsachen, die die Arbeitnehmer dazu ermutigen sollen, für lustige teambildende Aktivitäten länger zu bleiben, hinter uns. Laut Paul Lopushinsky, dem Gründer des in Vancouver ansässigen Beratungsunternehmens Playficient, „geht es bei dieser Kultur nicht wirklich um Spaß, sondern darum, dass die Leute länger im Büro bleiben“.
Sie können Richtlinien, Schulungen oder Zeiterfassungsbögen vorschreiben, aber Sie können Menschen nicht dazu zwingen, Freunde zu werden. Sie wollen doch nicht, dass Ihre Mitarbeiter anfangen, schon den Gedanken an Betriebsfeiern zu hassen.
Wenn Ihr Unternehmen trotz der erwiesenen Vorteile für das Geschäft immer noch von Freundschaften am Arbeitsplatz abrät, sollten Sie sich an diese einfache Prämisse erinnern: Wer Freundschaften ignoriert, ignoriert die menschliche Natur. Im Kampf zwischen Unternehmenspolitik und menschlicher Natur gewinnt die menschliche Natur immer. Es ist erwiesen, dass Menschen ihre sozialen Bedürfnisse befriedigen werden, unabhängig davon, was vorgeschrieben ist. Unternehmen tun weitaus besser daran, die Kraft dieses sozialen Kapitals zu nutzen, als es zu bekämpfen.
Wer Freundschaften ignoriert, ignoriert die menschliche Natur.
Wie ich in meinem neuen Buch „Blind Spot: The Global Rise of Unhappiness and How Leaders Missed It“ ausführe, ist Einsamkeit weitverbreitet. In den USA verbringen zwei von zehn Arbeitnehmern einen Großteil des Tages mit dem Gefühl, allein zu sein. Ein trauriger Arbeitsplatz ist einer, an dem die Mitarbeiter niemanden haben, auf den sie zählen können. Ihr Leben ist dann womöglich schlimmer, als wenn sie überhaupt keine Arbeit hätten.
Unternehmen sollten sich um das soziale Wohlbefinden ihrer Beschäftigten kümmern. Sie sollten ihnen die Möglichkeit geben, am Arbeitsplatz Freundschaften zu schließen. Das würde die Epidemie der Einsamkeit bekämpfen, von der viel zu viele Menschen betroffen sind. © HBP 2023
Autor
Jon Cliftonist Chief Executive Officer von Gallup, einem globalen Analyse- und Beratungsunternehmen mit Sitz in Washington, D. C.
Dieser Beitrag erschien erstmals in der Februar-Ausgabe 2023 des Harvard Business managers.
