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Führt die Corona-Pandemie dazu, dass noch mehr Menschen spielsüchtig werden?

Wie zeigt sich Spielsucht, welche Therapiemöglichkeiten gibt es und wie hoch sind die Zahlen der Betroffenen wirklich? Interview mit Thomas Patzelt, der selber spielsüchtig war.

Glücksspielsucht ist eine Krankheit, meine Krankheit. Ich werde sie ein Leben lang haben. Ich habe gelernt, mit der Krankheit umzugehen, sie zu verstehen, was sie mit mir machen kann. Ich habe sie akzeptiert und respektiere sie. Aus dem Ganzen sind in den letzten Jahren der Landesverband spielfrei24 e.V. und mein Unternehmen „Denk in Lösungen entstanden“. Das was ich heute mache, lebe ich Tag für Tag. Ohne die Glücksspielsucht wäre ich heute nicht da, wo ich bin.

Nimmt man noch die Dunkelziffer hinzu, sind es mindestens eine Million Betroffene. „Glücksspielsucht ist ein Thema, das uns alle betrifft.“ Unter diesem Motto hat der Landesverband spielfrei24 e.V. in den letzten Jahren Projekte ins Leben gerufen, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Das Glücksspiel allein macht nicht süchtig. Ich kenne niemanden, der durch einmaliges Glücksspiel, egal in welcher Form, sofort krank geworden ist. Jedoch ist der eine oder andere irgendwann angefixt und kommt ohne Hilfe nicht mehr davon los. Das Fatale an dieser Krankheit ist wohl, dass es eine geheime Sucht ist. Beim Alkohol riecht man es irgendwann, bei den Drogen sieht man es irgendwann. Glückspielsucht wird vom Betroffenen über Jahre, Jahrzehnte ausgelebt. Sie besteht aus drei Phasen: Gewinn,- Verlust und Verdrängungsphase. In der letzten geht es irgendwann nur noch darum, wie man es schafft, dass niemand hinter das eigene Geheimnis kommt und wie man an Geld kommt, um die eigene Sucht zu finanzieren. Die Glücksspielsucht ist nur die Spitze des Eisberges.

Ja, aber leider wird sie zum größten Teil nur als Charakterschwäche angesehen. Man weiß noch viel zu wenig über die Auswirkungen. Prävention wird zu wenig und nicht professionell betrieben. Die Automatenindustrie und Lobby tut alles dafür, um die Zahl der wirklich Betroffenen möglichst gering zu halten. In allen Bereichen und Berufsbranchen wird Glücksspiel betrieben. Wenn man bedenkt, dass ein Betroffener im Schnitt zehn Opfer mit in sein Boot zieht, bei mindestens einer Million Betroffener, ist das enorm. Glücksspielsucht ist bei uns in Deutschland immer noch ein Tabuthema.

Ich denke ja. Einsamkeit, Langeweile, Angst, Wut, Hass, Leid, Bequemlichkeit, Kurzarbeit und Verlust des Arbeitsplatzes sind Faktoren für eine (Glücksspiel-)Suchtkarriere.

Da ich zu meiner „aktiven Zeit“ nur Automaten gespielt habe, habe ich von dieser Form des Glücksspiels keine Erfahrung gemacht. Was ich aber von vielen Gesprächen mit Betroffen weiß, ist, dass beim Onlinespiel höhere Gewinne möglich sind - so wird es einem suggeriert. Damit werden auch die Einsätze immer höher, man ist viel schneller in der Verdrängungsphase, und was die Einsätze angeht, gibt es nach oben hin keine Grenzen. Man kann in kurzer Zeit sehr viel Geld verspielen. Ich kenne einen Fall, da wurden in zwei Jahren 1 Million Euro durch das Onlinespiel verzockt. Das Onlinespiel ist 24 Stunden verfügbar. Ich kann das „Spiel“ überall betreiben.

Mitunter der Staat, aber auch viele andere Bereiche. Es geht um sehr viel Geld. Die Umsätze haben sich in den letzten Jahren verdoppelt. Viel Geld ist verloren gegangen, weil die Anbieter größtenteils noch im Ausland sitzen. Also machen wir es legal, damit wir noch mehr davon haben bzw. haben werden.

Aussagen wie „Es betrifft uns nicht.“ stehen in diesem Bereich an der Tagesordnung. Dabei ist die Zahl der Betroffenen sehr hoch. Es macht kein gutes Bild. Außerdem kann es negative Konsequenzen für den Sportler haben. Wettmanipulation ist ein weiteres Thema.

Neben den Krankenkassen die Rentenversicherung. Es gibt auch die Möglichkeit, als Selbstzahler aufzutreten.

Generell ist dies ok, wenn über die Folgen und Konsequenzen mehr und professioneller aufgeklärt wird. Leider ist dies noch nicht der Fall und wird wohl auch nicht so schnell in die Tat umgesetzt. Wie gesagt, die Lobby tut alles dafür, damit das Thema in einem guten Licht steht. Die Politik wird und wurde, so denke ich, bei der Änderung des neuen Glücksspielstaatvertrages beeinflusst. Schließlich geht es aber um sehr viel Geld und das in vielen Bereichen.

Meine Suchtkarriere begann noch zu DM-Zeiten. Zum damaligen Zeitpunkt war ich ein Mensch, der es jedem recht machen wollte, der nicht nein sagen konnte, keine Wertschätzung für sich hatte, zu wenig Selbstverantwortungs-Wertgefühl-Disziplin-Reflexion-Erkenntnis hatte. Ich dachte auch, dass mich Geld glücklich macht. Außerdem war ich mit mir unglücklich. Als ich exzessiv mit dem Automatenspielen angefangen habe, hat der erste Gewinn bei mir ein Glücksgefühl ausgelöst. Ich war angefixt. Das wollte ich von nun an immer öfter haben. Ich konnte es mir zum damaligen Zeitpunkt noch nicht selbst geben. Lügengeschichten standen ab sofort an der Tagesordnung. Angst und Scham nahmen immer mehr zu.

Nein, ich habe damals alles mit mir selbst ausgemacht. Ich habe es vier Jahre geschafft, ausgehalten usw., dass niemand hinter mein Geheimnis kam. Ich war ein Meister der Manipulation. Ich habe den Bezug zum Geld verloren. An manchen Tagen habe ich bis zu 1.500,- € verzockt. Im Ganzen waren es in den vier Jahren 100.000,- €. Ich habe es bis zur Beschaffungskriminalität geschafft. Im Nachgang an die Suchtkarriere war ich vorbestraft, hatte wegen der Insolvenz ein Berufsverbot, die Ehe ging zu Bruch, Freunde und Bekannte haben sich von mir getrennt, letztendlich habe ich in allen Bereichen, die es in meinem Leben gibt, wieder von vorne angefangen. Ich hatte eine große Last auf mir sitzen, hatte viele Baustellen, vor denen ich nur weggelaufen bin. Die Spielothek war mein Ventil, war mein Zufluchtsort. Hier hatte ich Ruhe, konnte mich von allem ablenken, konnte vergessen. Bis zu 13 Stunden habe ich da verbracht. Nachdem ich mich geoutet hatte, begab ich mich in professionelle Hände. Mitte 2004 habe ich eine achtwöchige Therapie gemacht. Seit Oktober 2007 bin ich spielfrei.

Dieser setzt sich u.a. für Betroffene und Angehörige ein. Außerdem geht es um Aufklärung, Prävention, Sensibilisierung, Enttabuisierung, Entstigmatisierung usw. Die Glücksspielsucht soll politisch anerkannt werden. Wir engagieren uns u.a. für den Dialog zwischen Suchtberater, Jobcenter, Richtern, politischer Ansprechpartner, Hausarzt, Fachklinik, Kostenträger, Schule, Lehrer Rechtsanwälten, Betroffenen, Angehörigen, Staatsanwaltschaft, Justiz, letztendlich mit allen, die mit der Thematik zu tun haben. Selbsthilfegruppen für Betroffene und Angehörige werden ins Leben gerufen, damit diese die Möglichkeit haben, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Derzeit gibt es 30 Selbsthilfegruppen. Ziel soll es sein, irgendwann wieder spielfreie Zeit zu haben. Offenheit und Ehrlichkeit stehen dabei im Vordergrund. Ist bei den meisten erstmal nicht vorhanden, weil man es lange nicht mehr gemacht hat. Gehört aber letztendlich zum Lernprozess mit dazu.

Damit verdiene ich heute u.a. meinen Lebensunterhalt. Ich biete sowohl Einzelcoachings als auch Seminare, Workshops und Vorträge an. Bei mir geht es um eine Lösung. Ich begleite, berate und unterstütze den Menschen auf dem Weg dorthin. Ich biete Präventionsveranstaltungen an. Zudem begleite und unterstütze ich Unternehmen, wenn diese einen Raum für Betroffene zur Verfügung stellen möchten, z.B. im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitssystems. Ich halte Vorträge, gebe Impulsvorträge.

Es geht durch alle Berufsschichten - d.h. vom Hilfsarbeiter bis zum Politiker, Manager, Arzt, Lehrer, Rechtsanwälte, Profisportler. Aber auch Schulen und Unternehmen gehören dazu.

Ja, denn ich habe gelernt, dass ich, um ein Glücksgefühl zu haben, kein Geld investieren muss. Ich habe täglich die Möglichkeit, mich an den kleinen Dingen, die mir das Leben Tag für Tag schenkt, Freude und Spaß zu haben. Ein Glücksgefühl entsteht. Selbstverwirklichung ist das, was ich Tag für Tag lebe und genieße. 2009 hörte ich nach 23 Jahren mit dem Rauchen auf. Heute bin ich Marathonläufer und das zweite Mal verheiratet, ich habe zwei Kinder im Alter von 16 und drei Jahren. Ich bin dankbar für jeden Tag und lebe bewusst.

Thomas Patzelt wurde 1970 in Hechingen geboren. Von 1971 bis 2004 lebte er in Bayern, wo er auch seine schulische und berufliche Ausbildung absolvierte. Seit Oktober 2004 lebt er in Rheinland-Pfalz. Seit 1992 ist er gelernter Versicherungskaufmann, es folgte die Weiterbildung zum Versicherungsfachwirt. Bis Sommer 2007 war er im Außendienst tätig. Von 2007 bis 2016 hatte er aufgrund einer Insolvenz ein Berufsverbot im Finanzleistungsbereich, dem er seit Oktober 2020 als Versicherungsmakler wieder angehört. 2010 wurde die erste Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen. 2012 entstand der Landesverband spielfrei24 e.V. 2013 gründete er sein Unternehmen „Denk in Lösungen“. Seither führt er wieder ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben.

www.spielfrei24.de

www.denk-in-loesungen.de

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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