Führung im Wandel: Die agile Organisation
Die agile Organisation
Agilität ist vor allem dort gefragt, wo kontinuierlich neue Produkte entstehen und Unternehmen schnellstmöglich auf unerwartete Herausforderungen, Ereignisse und Chancen reagieren müssen. Die Kern-Kompetenz der agilen Organisation ist ihre Fähigkeit zur Selbstorganisation. Teammitgliedern wird mehr Freiraum und Verantwortung zur Realisierung der eigenen Ideen gegeben. Um die Selbstorganisation ihrer verschiedenen Bereiche zu gewährleisten, sind Organisationen gefordert, die richtige Führungsmannschaft zu identifizieren, die als Übersetzer der agilen Vision in die Organisation hinein agiert und gewährleistet, dass die geschaffene Lern- und Anpassungsfähigkeit permanent aufrechterhalten wird.
Bei komplexen Aufgabenstellungen oder in komplexen Situationen wird eine Lösung nicht durch Nachdenken gefunden, sondern nur durch schrittweises Herantasten “erarbeitet”. Aus den gewonnenen Beobachtungen und Erfahrungen wird Neues über die Situation gelernt. Mit dem erweiterten Wissen wird sich der Lösung zielgerichtet annähern. Exploratives Verhalten erfolgt in agilen Konzepten durch Lernen in Zyklen. In agilen Organisationen dominieren explorative, selbststeuernde Lernprozesse. Insofern ist eine agile Organisation auch eine lernende Organisation.
Das Konzept ist bereits seit den 1950er-Jahren als AGIL-Schema aus der Systemtheorie bekannt. Das Agile Manufactoring, das Kundenwünsche in den Fokus stellte und mit der Idee des virtuellen Unternehmens arbeitete, folgte in den 1990er-Jahren. Diese Gedanken sind auch heute mit Agilität und den Herausforderungen verbunden, vor denen jedes Unternehmen steht:
• schnellere und dezentralisierte Entscheidungen
• mehr Transparenz
• mobiles Arbeiten
• digitales Denken
• Aufbruch von Hierarchien
• veränderte Verantwortlichkeiten.
Das erfordert die passende Dialogkultur und eine entsprechende Unternehmensstruktur. Die IT-Bereiche gehen bereits seit Jahren voran: 2001 verabschiedeten Software-Entwickler das „Manifest für agile Softwareentwicklung“ (agilemanifesto.org), das grundlegende Werte der neuen Arbeitsweisen enthält. 1985 wurde am MIT unter Leitung von J.P. Womack ein umfangreiches internationales Forschungsprojekt zu Produktionssystemen in der Automobilindustrie gestartet. Mit dem 1991 veröffentlichten Bestseller „The Machine that changed the World“ prägten er und seine Kollegen mit Lean Production und Lean Management Synonyme für „gesunden Menschenverstand“ im Bereich Unternehmensführung. Im Ergebnis wurden Judoka, Kaizen, Kanban & Co. weltweit rasch adaptiert. Zuvor leisteten Wolfgang Mewes mit der Engpasskonzentrierten Strategie (EKS) und Werner Pfeiffer mit Neuen Formen der Arbeitsorganisation (NFA) in Deutschland wichtige Beiträge.
Aufbauend auf den Grundsätzen des Agilen Manifests und Lean Management entstanden in den vergangenen Jahren eine Reihe von methodischen Ausprägungen und Managementframeworks für die Unternehmensführung. Anfang der 1990er-Jahre entstand in den USA eine Vielzahl neuer Projektmanagement-Methoden für die Softwareentwicklung, darunter Software Kanban, Xtreme Programming, Crystal, Feature Driven Development (FDD) und „Scrum“ (der Begriff stammt aus dem Rugby und bedeutet „Gedränge“).
Scrum kann für Software sowie andere komplexe Projekte angewendet werden. Ursprünglich wurde er von den japanischen Wissensmanagementexperten Ikujirō Nonaka und Hirotaka Takeuchi in die Wissenschaft eingeführt. Ebenfalls 2001 wurde das erste Buch zu Scrum von Ken Schwaber veröffentlicht: „Agile Software Developement with Scrum“.Er war wie Jeff Sutherland Manifest-Unterzeichner. Beide gelten als Erfinder dieser Methode und haben sie bereits 1995 auf der IT-Konferenz OOPSLA vorgestellt. Scrum basiert auf den Werten des agilen Manifests, das eine neue Art des Projektmanagements darstellt.
Was Scrum mit dem agilen Manifest verbindet
• Es wird ein Ziel definiert, aber kein Plan aufgestellt – man tastet sich voran.
• Das Reagieren auf Veränderung bedeutet mehr als das starre Befolgen eines Plans.
• Menschen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge.
• Funktionierende Software ist wichtiger als umfassende Dokumentation.
• Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als ursprünglich formulierte Leistungsbeschreibungen.
• Anstatt große Projekte zu schmieden, wird in kurzen iteraktiven Phasen („Sprints“) gearbeitet.
• Gearbeitet wird nach klaren Rahmenbedingungen, die Aufgaben der Teilnehmenden sind detailliert definiert.
• Wenige, feste Strukturen ermöglichen ein hohes Maß an Freiheit, Sicherheit und Selbstorganisation.
Umsetzungsschritte
Schritt 1:
Intensive Auseinandersetzung, wie die Organisationsstruktur aussehen könnte unter Berücksichtigung folgender Fragen: Wer ist im Unternehmen unverzichtbar? Wer kann den Wandel blockieren? Wer hat den größten Einfluss auf seine Kollegen? Was macht die neue und sich verändernden Kundenbedürfnisse und Produktanforderungen aus?
Schritt 2:
Grundstein für agilen Wertewandel setzen: Definieren der agilen Zielstruktur und klare Beschreibung der agilen Vision durch die Führungsmannschaft, die als Übersetzer in die Organisation hinein agieren muss.
Schritt 3:
Alle Mitarbeiter über die neue agile Struktur und die daraus resultierenden Veränderungen informieren
Schritt 4:
Agile Kompetenzen entwickeln, um das Zielbild mit Leben zu füllen (Schulung der Mitarbeiter und Teams in agilen Methodenkompetenzen und Kompetenzaufbau auf Führungsebene, insbesondere im mittleren Management).
Schritt 5:
Priorisierung der IT-Architektur und Schaffung des richtigen technischen Umfelds: Agile Organisationsstrukturen etablieren und Business und IT näher zusammen bringen (die Etablierung agiler Teams mit klarer Produktverantwortung ist hierbei zentral).
Jörg Doebler arbeitete nach seinem Abschluss als Java Developer mehr als zwölf Jahre als Business- und Prozess-Analyst in der Telekommunikationsbranche. Um seine Expertise im IT-Bereich auszubauen, absolvierte er diverse Weiterbildungen, unter anderem ITIL® Foundation, ITIL® Service Operation, ITIL® Expert, PRINCE2® Foundation, Practitioner und Agile, SAP ERP 6.0. Beim Online-Weiterbildungsexperten karriere tutor verbindet er Theorie und Praxis als Dozent und Fachmann für agiles Arbeiten. Er betont, dass Transformation zu agilem Arbeiten Zeit und Erfahrung braucht. Es ist nicht möglich, „mal eben“ auf agiles Arbeiten umzustellen, denn die Rahmenbedingungen unterscheiden sich von Projekt zu Projekt. Doch es gibt Faktoren, an denen sich relativ leicht feststellen lässt, wie weit ein Unternehmen auf dem Weg zu agilem Arbeiten bereits ist: Für ihn sind klare Begrifflichkeiten wichtig. Jeder Mitarbeiter sollte dasselbe Verständnis davon haben, was agil bedeutet.
„Wichtig ist auch das Verständnis, dass Scrum und agiles Arbeiten nicht dasselbe sind. Das Vorgehensmodell Scrum definiert Regeln, Rollen und Arbeitsabläufe in zeitlich festgelegten Sprints. Die Anwendung von Scrum trägt zu einer agilen Arbeitsweise bei, während ‚agil‘ eine eigene Denkweise oder Kultur bezeichnet, die mehr umfasst als Scrum. Man kann auch agil arbeiten, ohne Scrum einzusetzen.“
Doebler verweist im Interview mit karriere tutor auch auf die Bedeutung der Einbindung von Stakeholdern, wenn es um agiles Arbeiten geht. Alle Beteiligten müssen so früh wie möglich in die Kommunikation involviert sein, denn nur so lässt sich beurteilen, ob die agile Umsetzung eines Projekts sinnvoll ist und wie lange sie dauern wird. besonders hervorgehoben wird die Teamarbeit mit dem Kunden: „Ein Kunde-Dienstleister-Verhältnis funktioniert im agilen Umfeld nicht. Stattdessen sollten sich Kunde und Unternehmen als ein Team verstehen, das gemeinsam ein Projekt realisiert. Nur wenn das Wissen von beiden Seiten zusammenkommt, können nutzerzentrierte Produkte entstehen, die alle Beteiligten zufriedenstellen. Das bedeutet auch, dass es auf Kundenseite feste Ansprechpartner geben muss, die Fragen zum Projekt beantworten und Entscheidungen treffen.“
Weiterführende Informationen:
Agilität erleben: Inkop 2017. Saxonia Systems AG, München 2017.
CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag, Heidelberg Berlin 2017.
Sebastian Purps-Pardigol, Henruk Kehren: Digitalisieren mit Hirn. Wie Führungskräfte ihre Mitarbeiter für den Wandel gewinnen. Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2018.
Bettina Volkens, Kai Anderson: Digital human. Der Mensch im Mittelpunkt der Digitalisierung. Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2018.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.