Junge Beschäftigte wollen Verantwortung übernehmen – und streben Führungsjobs an. - imago images
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Führungskräftemangel: „Wenn die kognitiven Fähigkeiten begrenzt sind, wird’s schwierig“

Junge Beschäftigte haben keine Lust auf eine Führungsposition! Heißt es. Warum das nicht stimmt, was das häufigste Führungsmotiv ist und welche zentrale Fähigkeit angehende Manager mitbringen sollten, erklärt der Wirtschaftspsychologe Jörg Felfe.

Deutschen Unternehmen gehen die Führungskräfte aus – das zumindest legen Umfragen wie die der Initiative Chefsache nahe. Von den 1688 befragten Berufstätigen wollten nur ein knappes Viertel der Frauen und ein Drittel der Männer künftig mehr Verantwortung übernehmen. Insbesondere den jungen Beschäftigten wird nachgesagt, keinen Ehrgeiz mehr für einen Managementposten zu haben – und vor allem nicht ihr Privatleben dafür opfern zu wollen.

WirtschaftsWoche: Herr Felfe, warum wollen manche Menschen eine Führungsposition, während andere das vehement ablehnen?

Jörg Felfe: Am häufigsten wollen junge Menschen einmal Führungskraft werden, weil das eine Rolle ist, die ihnen Spaß macht und liegt. Seltener ist, dass jemand es aus einem Kalkül heraus macht – also beispielsweise wegen des Geldes oder damit nicht eine andere Person die Position bekommt. Aber auch das kann ein Motiv sein. Ein weiteres ist, dass jemand dazu gedrängt wird. Grundsätzlich wissen wir aber, dass bei uns allen ein Streben nach Leistung, Macht und Anerkennung vorhanden ist; mehr oder weniger ausgeprägt. Das sind sogenannte Basismotive.

Nun liest man häufig, dass jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine Lust mehr hätten, eine Führungsrolle einzunehmen. Fehlt ihnen die Motivation?

Nein, im Moment sehe ich dafür kaum Hinweise. Es ist eine zeitgeistige Beobachtung und sie wird zu einem Narrativ, dass sich durch Wiederholung zu bestätigen scheint – eine Art selbsterfüllende Prophezeiung. Der Fachkräftemangel ist in vielen Bereichen sicher nicht wegzudiskutieren und proportional dazu gibt es dann weniger Nachwuchs für Führungsjobs. Aber es ist seit vielen Jahren hip, eine Führungsposition anzustreben. Ich sehe davon keine Abkehr. In vielen Bewerbungsgesprächen wird direkt nach Aufstiegsmöglichkeiten gefragt. Die Unlust, Führungskraft zu sein, kommt meistens erst, wenn man negative Erfahrungen gemacht hat.

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Was könnten das für Erfahrungen sein?

Da ist zum Beispiel die Erfahrung, kaum noch zu dem zu kommen, was man als Sachbearbeiter oder Programmierer wirklich gut konnte: In Ruhe und mit hoher Fachexpertise juristische oder technische Probleme lösen. Stattdessen nehmen Meetings und Gespräche mit Kollegen und Teammitgliedern sowie Planung und Controlling ein Großteil der Wochenarbeitszeit ein. Andere motivieren, Vorgesetzte überzeugen, Konflikte managen; all das kann mitunter kräftezehrend sein, vor allem wenn das Herz noch an der alten Rolle als Spezialist hängt. Diese Expertenrolle geht aber zunehmend verloren wenn sich der Schwerpunkt auf Management und Führung verlagert. Führung wird dann eher zur Belastung. Es kommt durchaus nicht selten vor, dass Führungskräfte in solchen Situation nach gesichtswahrenden Wegen suchen, eine Führungsposition wieder aufzugeben.

Dennoch gibt einige Umfragen, die diesen Trend zu bestätigen scheinen, beispielsweise eine Befragung der Initiative Chefsache.

Zahlen aus seriösen Studien – die etwa fünf Jahre alt sind, aber dennoch gültig sein dürften – zeigen das nicht. Dafür hat man volljährige Schüler und Studierende befragt, ob sie sich vorstellen können, eine leitende Position im Beruf einzunehmen: 73 Prozent stimmten zu, 50 Prozent äußerten sogar eine feste Absicht. Wichtig ist, dass bei der Frage nach Führungsmotivation immer die Biografie eine Rolle spielt. Welche Chancen und Gelegenheiten bieten sich einer Person in ihrer Laufbahn, Verantwortung zu übernehmen – beispielsweise im Hobby oder als Klassensprecher? Wenn jemand dafür Lob und Anerkennung bekommt, kann sich eine positive Spirale entwickeln, in der das Führungsmotiv bestärkt wird.

Manche trauen sich erst im Beruf Führungsstärke zu. Was sollte eine Person für Fähigkeiten mitbringen, um in die Rolle hineinzuwachsen?

Vieles kann man tatsächlich lernen, mitbringen sollte man aber Intelligenz als zentrale Fähigkeit. Man muss analytische Fähigkeiten haben, um Probleme lösen zu können, aber auch kreativ sein und den Überblick bewahren. Das hat alles etwas mit dem Gedächtnis zu tun – wenn die kognitiven Fähigkeiten begrenzt sind, wird’s schwierig. Wenn Mitarbeiter ihren Chef für dümmer halten, schwinden Akzeptanz und Vertrauen.

Was bringt noch Vorteile?

Es gibt zudem einige Eigenschaften, die sehr hilfreich sind. Führen hat viel mit Kommunikation zu tun. Deswegen hilft die sogenannte Extraversion, also das nach außen gewandt und kontaktstark sein. Das kann man zwar zum Teil lernen, aber die Energie braucht man als Führungskraft für andere Tätigkeiten. Außerdem sollten Führungskräfte ehrgeizig sein und Spaß daran haben, erfolgreich zu sein und Ziele zu erreichen. In der Psychologie wird das als Leistungsmotivation bezeichnet.

Wenn man nun noch jünger und unsicher ist, ob die Führungsrolle einem liegt – was hilft, um es herauszufinden?

Es gibt zum einen spezielle psychologische Testverfahren dafür. Zum anderen könnte man erst einmal eine Projektleitung übernehmen. So kann man in einer begrenzten Zeit herausfinden, ob es Spaß macht, Verantwortung zu tragen und ein Team zu leiten. Führen heißt auch, anderen zu vertrauen und dass man auch damit leben lernen muss, was andere liefern. Sonst macht man alles selbst.

Jüngere Generationen machen sich viele Gedanken um ihre psychische Gesundheit und wollen wenig Stress. Spielt dieser Aspekt nicht zumindest eine Rolle bei der Nachbesetzung von Managementposten?

Das ist auch schwierig zu beantworten. Der Zeitgeist geht in diese Richtung, wir bekommen überall vermittelt, dass wir auf unsere Gesundheit achten sollten – nicht zu viel arbeiten, ausreichend Work-Life-Balance und so weiter – das ist sicher richtig. Und wir erleben bei jüngeren Generationen jetzt, dass wir das gespiegelt bekommen, was wir ihnen vermittelt haben. Genauso wie viele der jüngeren mit völlig unrealistischen Gehaltsvorstellungen einsteigen, weil man überall liest: Ihr könnt es euch aussuchen. Dennoch lernen die meisten, dass Erfolg wesentlich auch auf Einsatzbereitschaft und Engagement basiert.

Um Führungspositionen attraktiver zu machen, setzen mittlerweile viele Unternehmen auf Konzepte wie Doppelspitze oder Teilzeitführung. Andere nehmen gar ganze Hierarchieebenen raus, um weniger Manager zu benötigen. Hilft das?

Wichtig ist erst einmal, dass man die Bedingungen für Führungskräfte vernünftig gestaltet und den Nachwuchs gut auf die Rolle vorbereitet. Unternehmen finden also rechtzeitig heraus, wer das Potenzial hat und gibt dieser Person genug Raum, um in eine Führungsrolle hineinzuwachsen. Eine Doppelspitze kann dann gut funktionieren, wenn vieles standardisiert ist – in einem Schichtbetrieb zum Beispiel. Wenn in der Rolle viel unternehmerische Verantwortung liegt, wird es schon schwieriger. Auch bei der Teilzeitführung habe ich Zweifel, ob das immer gelingen kann. Denn Führen lebt ja auch von Präsenz. Und wichtige Entscheidungen oder Konfliktlösungen lassen sich nicht immer aufschieben. Bei Engpässen müssen Sie als Verantwortliche mehr machen und ausgleichen.

Haben sich zumindest flache Hierarchien bewährt?

Das war eine Zeit lang modern, aber die Führungsspannen waren häufig viel zu groß. Ein Team von bis zu zehn Personen kann man meist gut führen. Bei zwanzig wird’s schon deutlich schwieriger. Wenn wir auf die Hierarchieebenen schauen, sehen wir eher, dass sie wieder neu eingezogen werden. Führung hat viel mit Beziehung zu tun. Es kommt immer auf die Aufgaben an: Wer mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern etwas entwickeln möchte, dabei unterstützen und beraten muss – der gerät bei großen Teams schnell an Grenzen.

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