Gehen oder bleiben? Wenn sich der Job nicht mehr gut anfühlt
Stress, schlechte Führung, fehlende Flexibilität: Jede fünfte Frau ist unzufrieden im Job. Viele von ihnen denken täglich über einen Jobwechsel nach. Wann ist es Zeit zu gehen?
Unzählige Stunden und mehrere Jahrzehnte verbringt jeder von uns im Beruf. Umso wichtiger ist es, dass wir eine Arbeit ausüben, die uns entspricht, die uns fordert, ohne zu überfordern, die uns Freude macht. Die Realität sieht leider für viele Beschäftigte ganz anders aus. So zeigt eine aktuelle XING-Studie, dass 20 Prozent aller Frauen im Job unzufrieden sind, deutlich mehr als Männer (12 Prozent).
„Zufriedenheit ist der Stein der Weisen, der alles in Gold verwandelt, das er berührt“, schrieb der amerikanische Verleger Benjamin Franklin, und wir Psychologen geben ihm heute Recht. Lautet doch eine wichtige Erkenntnis aus der psychologischen Forschung, dass Zufriedenheit lohnender ist als das flüchtige Glück. Zufriedenheit bedeutet, innerlich ausgeglichen zu sein, weil man mit den gegebenen Verhältnissen einverstanden ist. Was im Umkehrschluss nichts anderes bedeutet, als dass Unzufriedenheit im Job zu innerer Anspannung führt, oft verbunden mit Unmut, Ärger, Frustration.
Meine Klientin Sophie beispielsweise kam eine Zeitlang wöchentlich völlig verärgert zu mir in die Praxis, schmiss sich in den Sessel und beschwerte sich über ihren Chef, ihr Gehalt, ihre Arbeitszeiten. Nichts sei, so wie sie es sich wünsche, weshalb sie völlig gestresst sei. Was ich ihr ansah.
Gefangen in der Stressspirale
Laut der Konsistenztheorie von Klaus Grawe strebt jeder Mensch nach Konsistenz, nach einer Übereinstimmung und Vereinbarkeit zwischen den inneren Bedürfnissen und dem Erleben in der Realität. Je höher die Konsistenz ist, desto gesünder und zufriedener ist der Mensch. Der gegenteilige Zustand wird als Inkonsistenz bezeichnet und ist für Menschen unangenehm. Auf der Gefühlsebene erleben wir Inkonsistenz als eine Form der inneren Anspannung. Man kann das mit einem Gummiband vergleichen. Der Wunsch zieht in die eine Richtung, die Realität in die andere. Je stärker hierbei der Wunsch und je größer die Abweichung von der Realität, desto mehr Spannung entsteht.
Inkonsistenz und der damit einhergehende Stress sind die Grundlage für psychische Probleme und Störungsbilder.
Drei typische Konflikte, die im Job Inkonsistenz also Stress erzeugen sind:
1. Ich will etwas und bekomme es nicht.
Beispiel: Ich wünsche mir flexiblere Arbeitszeiten aber mein Chef besteht auf 40 Stunden in fünf Tagen im Büro.
2. Ich bekomme etwas, das ich nicht will.
Beispiel: Eine harsche Kritik meines Vorgesetzten.
3. Ich kann eine Situation nicht einschätzen.
Beispiel: Ich bin mir sehr unsicher, ob ich meiner Arbeitskollegin vertrauen kann.
Sophie hatte sich als junge Mutter vor allem mehr Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung gewünscht, wie auch 66 Prozent der im Rahmen der Xing Studie befragten Frauen. Von ihnen sind 33 Prozent bereit, den Job zu wechseln wobei 44 Prozent dauerhaftes Stressempfindens als Grund für ihre Bereitschaft angeben. Petra von Strombeck, CEO der XING Muttergesellschaft New York SE bringt diesen Konflikt überzeugend auf den Punkt: „Es ist kein Wunder, dass enge Zeitfenster für Arbeit und Kinderbetreuung zu einem hohen Stresslevel führen, zumal dann, wenn man das Gefühl hat, nicht genügend Unterstützung von der Führungskraft zu bekommen.“
Es liegt auf der Hand, dass es individuell höchst verschieden ist, wer sich durch was gestresst fühlt. Dabei gibt es einen großen Unterschied zu physikalischen Stressoren wie Lärm, Kälte, übermäßige Hitze, Unfälle usw. Physikalische Stressoren gelten für jeden Menschen, auch wenn der eine etwas mehr und der andere etwas weniger empfindlich sein mag. Der Grund, warum physikalische Stressoren bei allen Menschen ein gewisses Maß an Stress auslösen, besteht darin, dass sie objektiv existieren. Was wir jedoch als psychischen Stress empfinden, ist sehr stark abhängig von der subjektiven Bedeutung, die wir einem Ereignis beimessen. Und für Sophie war eine flexible Arbeitszeit sehr bedeutend, schließlich trägt sie, wie die allermeisten Frauen, die Hauptlast der Care-Arbeit in ihrer Familie. Weil sie diesbezüglich bei ihrem Chef aber gegen die besagten Wände lief, hatte sie schließlich ihre Antwort auf die Frage „Gehen oder bleiben?“ gefunden. Sie begab sich auf die Suche nach einem neuen Arbeitgeber, der ihrem Bedürfnis entgegenkommt.
Von der Kunst der Entscheidung
Es sind bis zu 20.000 Entscheidungen, die wir dem Münchner Hirnforscher Ernst Pöppel zufolge treffen müssen – und das jeden Tag. Die meisten davon blitzschnell und unbewusst. Viele haben keine großen Auswirkungen auf unser Leben, doch bei einigen geht es ums Ganze. Das ist bei der Entscheidung für einen Jobwechsel der Fall. In der Typenlehre wird zwischen Fühlentscheidern und Denkentscheidern unterschieden. Fühlentscheider sind auf Harmonie und Ausgleich bedacht und bedenken bei ihren Entscheidungen immer auch die Konsequenzen für andere, während die Denkentscheider analytisch das Pro und Contra bearbeiten und sich dabei von faktischen Notwendigkeiten leiten lassen.
Und dennoch hat jede Entscheidung auch einen gefühlsbedingten Anteil. Das erklärt, warum Menschen, die keinen guten Draht zu ihren eigenen Gefühlen haben, häufig in Entscheidungsschwierigkeiten geraten. Sie drehen sich beim Abwägen der Vor- und Nachteile regelrecht im Kreis und gelangen dabei oft zu der Feststellung, sie wüssten doch selbst gar nicht, was sie wollen. Natürlich nicht, denn wie sollen wir uns von einem unbestimmten Gefühl leiten lassen, wenn wir gar nicht in der Lage sind, es zu spüren? Mein vielleicht wichtigster Rat zur Stärkung der eigenen Entscheidungskompetenz lautet deshalb:
Täglich zehn Minuten innehalten und sich fragen: Wie geht es mir eigentlich gerade? Was empfinde ich?
Wenn wir von diesem unbestimmten Gefühl sprechen, was uns in die eine oder andere Richtung lenkt, dann sprechen wir in der Regel auch von der Angst vor Fehlentscheidungen. Soll ich oder soll ich nicht? Empfinden wir in einer Entscheidungssituation Unsicherheit, sollten wir uns drei psychologische Erkenntnisse vor Augen führen:
Besonders schwer fallen uns Entscheidungen, wenn ein innerer Konflikt vorliegt, also zwei starke Bedürfnisse von uns aufeinanderprallen und um ihre jeweilige Erfüllung ringen. Stehen wir vor der Entscheidung, unseren Job zu wechseln, geraten häufig unser Bedürfnis nach Sicherheit (alter Job) und unser Wunsch nach Veränderung (neuer Job) in solch einen Konflikt. In dem Fall benötigen wir für eine gute Entscheidung Zeit, Ruhe und viel Reflektion.
Viele Entscheidungen können wir rückgängig machen. Ich empfehle, nicht zu lange an Fehlentscheidungen festzuhalten, weil wir dann Gefahr laufen, uns auf dem falsch eingeschlagenen Weg zu verrennen. Sollten sich also auch in dem neuen Job unsere Bedürfnisse nicht erfüllen lassen, steht einem weiteren Wechsel nichts im Weg.
Die perfekte Entscheidung gibt es nicht. Wir sollten deshalb auch nicht erwarten, eine absolut richtige Entscheidung zu treffen beziehungsweise den für uns perfekten neuen Job zu finden. Gut ist in der Regel gut genug.
Wo wir heute stehen und wo unser zukünftiger Weg uns hinführen wird, ist das Ergebnis zahlreicher Entscheidungen. In einem Zustand der Entscheidungsschwäche zu verharren, ist deshalb keine Option. Vielmehr benötigen wir den Mut, in die Welt der Entscheidungen einzutauchen, um dadurch die Chance erhöhen zu können, dass unsere inneren Bedürfnisse mit dem Erleben in der Realität übereinstimmen. Sophie hat diesen Mut aufgebracht und wurde dafür mit einem Chef belohnt, der kein Problem mit flexibler Arbeitszeit hat. All den Frauen, die aus gutem Grund mit ihrem Job ebenfalls nicht mehr zufrieden sind, wünsche ich denselben Mut und genauso viel Glück.