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Geld und Geist: Management aus maritimer Perspektive

Der nautische Geist

Neue Möglichkeiten und Chancenräume stehen in der Welt nur jenen offen, die von einem starken Zielmagnetismus geleitet werden, das sichere Festland verlassen und sich risikobereit und mit vollem Einsatz hinauswagen ins Meer der Möglichkeiten. Um hier navigieren zu können, braucht es den nautischen Geist, der für den Philosophen Peter Sloterdijk mit fernen Zielen, Kooperationspartnern, Umschlagplätzen, Hafenbezügen, aber auch mit einer Dosis krimineller Energie verbunden ist. So lässt Goethe schon seinen Mephistopheles sagen:

„Man fragt ums Was? und nicht ums Wie?

Ich müsste keine Schiffahrt kennen.

Krieg, Handel und Piraterie,

Dreieinig sind sie, nicht zu trennen.“

(Faust, Zweiter Teil, V. 1185-88)

Der nautische Geist ist Fluch und Segen zugleich, weil er mit außergewöhnlichen Leistungen verbunden ist, zu Entdeckungen und Innovationen führt, aber auch mit Macht und sozialer Gewitztheit einhergeht, um persönliche, wirtschaftliche und politische Vorteile zu sichern. Er ist der Motor für den menschlichen Drang nach dem Immer-Weiter-Hinaus, nach endlosem Wachstum und größer werdenden Märkten. Er ist das, was die Globalisierung bis heute im Innersten zusammenhält.

Aus maritimer Perspektive wurde ein Blick auf ihre Geschichte geworfen, die eng mit Schiffen verbunden ist, die gleichzeitig auch Psychosen symbolisieren, die ihre Segel gesetzt haben. Ihre Entdeckungswege sind mit Sichtung, Landung, Benennung, Kartierung, handgreiflicher Macht und Inbesitznahme verbunden – und mit der technischen Beseitigung der Ferne. Niemand, der sich als Handelnder hinausbegibt, weiß vorher, ob er nach seinem Handeln das Etikett des Helden, Narren oder Verbrechers erhält. Goethe stellt in seinem „Faust“ die Tat an den Anfang und bemerkt, dass der Handelnde immer gewissenlos sei. Als die frühen Zivilisationen begannen, mit Schiffen Handel zu treiben, bauten sie Häfen, um das „schwimmende Kapitel“ (Sloterdijk) im besten Wortsinn sicher anzulegen. Häfen hatten schon immer eine strategische Bedeutung: für die auf einen Zweck ausgerichteten Handelsnetzwerke, die zumeist im Sinne der Interessen eines Machtzentrums standen, aber auch für die Operation von Seestreitkräften. Seitdem wurden etliche Seeschlachten geführt, um Zugang zu Häfen zu erlangen oder zu verwehren.

Das Meer als Risiko

Im späten 15. und 16. Jahrhundert kam es in Folge der europäischen Entdeckungsreisen zu einer nie dagewesenen Expansion der Handelsnetze und zur Errichtung überseeischer Imperien. Maritime Netzwerke wurden über den Atlantischen, Indischen und Pazifischen Ozean von Seefahrern wie Columbus, Vasco da Gama oder Magellan ausgeweitet.

Seit dem Altertum ist die Assoziation von Glück mit Seefahrt bekannt. In der Neuzeit wird die Globalisierungsgöttin Fortuna, deren Gesetz die Beständigkeit des Wechsels ist, nicht mehr allein mit ihrem Rad dargestellt, sondern auch mit maritimen Emblemen: dem geblähten Segel und dem Steuerruder. Es deutet an, dass das Glück nicht nur ein Zufall ist, sondern sich auch der eigenen Tat verdankt. Der Fall des Würfels, der später ergänzt wurde, steht für das Risikohandeln: die Chance, für die es Mut braucht, sie zu ergreifen. Das Meer ist das Risiko – hier fließen globalisierende Warenströme, die zugleich den Reichtum auf dem Festland erhöhen.

Die Begriffe Universalität und Globalisierung sind heute allgegenwärtig, aber sie sind nicht neu - ihre Wurzeln reichen bis in die Antike, in den durch Hellenismus und das Römische Reich geschaffenen Kulturraum. Der Althistoriker Pedro Barceló, Jahrgang 1950, der bis 2015 Professor für Alte Geschichte an der Universität Potsdam war, entwirft in seinem monumentalen Werk „Die alte Welt“, als Summe seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit ihr, das Panorama der wichtigsten Faktoren der politischen, ökonomischen, sozialen und religiös-kultischen Entwicklungen der Antike. Geschichte und Gegenwart verschmelzen auf einzigartige Weise und zeigen uns, dass wir Heutigen keineswegs klüger sind als unsere Vorfahren. Auch Manager und Führungskräfte können von diesem interdisziplinär angelegten Buch lernen.

Barceló arbeitet präzise die prägenden räumlichen Begebenheiten und kulturellen und mentalen Konstanten heraus, die die antike Geschichte über zweitausend Jahre bestimmten. Vor allem sind es diese anthropologischen Phänomene, die den Kulturraum von Ägyptern, Griechen und Römern zu einem großen Ganzen machten, „und die uns heute noch prägen - weil wir in ihren Fußstapfen wandern.“ Besonders interessant im Zusammenhang mit den hier angesprochenen Themen ist das Kapitel „Gescheiterte Machtmenschen“, die trotz ihres Misserfolgs zum „Gegenstand der retrospektiven Vergegenwärtigung oder gar zum Objekt der Bewunderung und damit der Unsterblichkeit werden konnten.“

Bereit wie nie

Im 16. Jahrhundert, als die ersten Schiffe nach der Erdumrundung in ihre Heimathäfen zurückkehrten, begann die Welt so zu werden, wie wir sie heute vorfinden, denn auch die Global Player kennen keine Abstände: Werbeanzeigen und Unternehmenskampagnen, die vor allem von Konzernen ausgehen, zeigen oft das Globus-Motiv, zuweilen sogar als Ball, der in einer Hand liegt. Das soll zum Ausdruck bringen soll, wie “weltläufig“ und auf der Höhe der Zeit „man“ ist: bereit zum Aufbruch. „Bereit wie nie“ hieß der Slogan zur WM 2014 in Brasilien von Daimler und der „Mannschaft“. Der Mannschaftsführer ist auch hier der Kapitän, der nach Sloterdijk dann am „gewaltigsten“ ist, wenn er seine Mannschaften am wirksamsten „auf das reine Vorwärts“ einschwört. Auch ein Beispiel dafür, dass wer heute Kapital machen will, die Sprache des modernen Managements und der potenziellen Geldgeber sprechen muss, um an sein Ziel zu kommen. Langsamkeit wird dabei zum Risiko, weil sie schnell Verluste schreibt. Es geht um schnelles Wachstum, um Zukaufen und Abstoßen, um bedingungslosen Erfolg, um Anpassungsfähigkeit, die mit dem berechnenden Denken verbunden ist, aus allem einen Vorteil zu ziehen.

Die zwangsläufige Grenzerweiterung durch die Globalisierung bewegte sich bis heute - um in der Sprache des Fußballs zu bleiben - mehrmals auf das „Abseits“ zu. Und zwar immer dann, wenn Macht, Gier und Besitz zum Selbstzweck und zum Zeichen für die Angst vor der Ohnmacht von Menschen wurden, die ihre empathischen Wurzeln verloren haben. Ihr narzisstischer Antreiber, Vorteile, Privilegien und Besitz zu erlangen oder an vordergründigen Erfolgen teilzuhaben, ist die Gier.

Der Preis der Gier

Der Narzisst braucht ständig Handlungsfelder, in denen er sich beweisen und hervortun kann. Der Preis dafür ist auch in der inneren Währung ablesbar: Entseelung und Herzenserkaltung, die alle Menschen ausmacht, „die im tragischen Sinne groß sind“ und durch eine gewisse „krankhafte Unzulänglichkeit ihres Wesens“ groß werden, wie es auch Hermann Melville in seinem Roman „Moby Dick“ beschreibt. Alles Schöne ist hier Qual für die mit hohem Geist begabten Machtmenschen, die nicht genießen und sich freuen können. Das ist auch von Columbus überliefert, der mit der Entdeckung des amerikanischen Kontinents im Jahre 1492 das herrschende europäische Weltbild maßgeblich veränderte. Gefeiert als Entdecker der Neuen Welt und bester Seemann seiner Zeit, gab er nie Geld für etwas aus, dass das Leben verschönerte.

Er wurde gleichermaßen als Visionär, aber auch als ruhmsüchtig, egozentrisch, verblendet, ignorant, geizig, als erster Sklavenhändler des Mittelalters, als erster Massenmörder, religiöser Fanatiker und miserabler Navigator bezeichnet. Das eine ist nicht ohne das andere zu sehen. „Ich, ich, ich“ soll das Motto des rast- und heimatlosen Genuesen gewesen sein, der seine „Freunde“ je nach „Bedarf“ wechselte. Auch das gehört zuweilen zum modernen „Networking: Das Gegenüber wird danach „gescannt“, inwiefern es für das eigene Vorankommen verwendbar ist oder verwendbar gemacht werden kann. Der Wert des anderen ergibt sich nicht aus dessen Sein, sondern aus dessen Nutzen.

Columbus achtete wie viele Manager darauf, stets von Menschen umgeben zu sein, die ihn in seiner Karriere weiterbrachten. Ihm ging es weniger um kluge Führung - sein Antrieb war die Gier nach Statussymbolen, Macht und Gold. Die „Eroberung“ Amerikas plante er als Geschäft. Begriffe wie Erwerbungen, Zinsen, Anteile und Profite prägten sein Denken. Während seines auf See verbrachten Lebens ist der Meeresforscher Jacques Cousteau vielen Männern begegnet, die ebenfalls von der Gier nach Geld und Ruhm getrieben waren. Mit jedem zufälligen Erfolg zog sie der Reiz der Gefahr immer stärker an. Er brachte auch seinen Abscheu und sein Befremden gegenüber Menschen zum Ausdruck, die nur von ihren Erfolgen besessen sind und ihr Selbstbewusstsein aus dem Glanz vergangener Leistungen ableiten. Was in ihrem Innersten nicht vorhanden ist, müssen sie ständig von außen zuführen. Sie haben keine Verankerung, weil jede Art von Kompensation Falschgeld ist und die innere Leere nicht füllen kann. An die Stelle der Frage „Wer bin ich?“ rückt bei ihnen die Frage „Was bin ich?“ Da sie ihre emphatische Wahrnehmung ausblenden, kommen sie auch an die Macht - schiffbrüchig und verloren in ihrer eigenen Existenz. Am aggressivsten verhalten sich immer die inkompetenten Mächtigen, die wie Columbus zu Tyrannen werden, wenn sie sich ihrer Position nicht gewachsen fühlen.

Hafen und Tod

Jemand, der auf der Basis stabiler Selbstsicherheit denkt und handelt, muss sein Ego nicht ständig bedienen. Zu ihnen gehörte auch Cousteau. Wenn er einen Film fertigstellte, sah er ihn sich später nicht einmal an, weil der Zielmagnetismus, den nächsten zu beginnen, viel stärker war als der Augenblick des Erfolges. Gewiss, auch er „häufte“ etwas an – allerdings steckte er damit den Kurs für eine bessere Welt ab: Wissen für kommende Generationen. Er ist das beste Beispiel dafür, dass „Leistungen“ nicht vorrangig nach marktwirtschaftlichen Leistungen zu beurteilen sind, sondern im Hinblick auf individuelle Möglichkeiten sowie soziale und ökologische Notwendigkeiten. Dazu gehört es auch, natürliche Begrenzungen zu akzeptieren, die ihren symbolischen Ausdruck in den Säulen des Herakles finden: An der Meerstraße von Gibraltar errichtete Herakles gegen den Atlantik hin zwei Säulen, die die naturgegebenen Grenzen des Raums und des unerlaubten Wagemuts bezeichnen. Die Schwellen zu den Göttern zu überschreiten und das fremde Territorium zu betreten, haben die Lebenden keine Macht, weil sie mit jener zusammenfallen würde, die Gott über die Erde hat. Der Weise hält hier an.

Verantwortungsvolle Kapitäne wissen das, sie schwören ihr Team für die Inhalte und die gemeinsame Route ein, können aus tiefstem Herzen begeistern und haben ein Gefühl für das Einhalten innerer und äußerer Grenzen, deren Überschreitung das Unternehmensschiff ins Wanken bringen würde. Cousteau kritisierte allerdings zu Recht, dass viele Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft die fundamentale Verantwortung missachten, die im Risikomanagement liegt, das auch moderne Grenzen markiert. Freiwillig beschäftigen sich nur wenig Unternehmen damit. „Sie führen uns nicht durch ernsthaft kalkulierte Wagnisse, deren Gefahren vorher identifiziert und eliminiert wurden“, schreibt er in seinen Erinnerungen.

Amerikanische Forscher bestätigten vor einigen Jahren, dass in Chefetagen der Anteil psychisch kranker Menschen sechsmal höher ist als im Bevölkerungsdurchschnitt. In der Fachliteratur wird allerdings immer wieder betont, dass viele Eigenschaften, die Psychopathen haben können, durchaus förderlich zur Unternehmensführung seien, denn die Gefühlskälte kann sich „positiv“ auswirken, wenn Mitarbeiter beispielsweise entlassen werden. Empathische Menschen würden eher darunter leiden und unter Stress geraten. Das Problem mit solchen „großen“ Menschen ist allerdings, dass sie wie Columbus das Risiko ihrer Handlungen falsch einschätzen und deshalb das Unternehmensschiff nicht nur „mitreißend“ navigieren, sondern genauso „mitreißend“ untergehen lassen.

Ein moderner Columbus wagt sich hinaus und geht Wege, die noch niemand vor ihm gegangen ist, aber er vereint auch psychopathische Eigenschaften in sich. Dazu gehört auch die Fähigkeit, sich nach oben gemein zu machen, zu lügen und andere zu manipulieren. Vielen sind die Inhalte ihres Jobs relativ egal, wenn es nur darum geht, die eigenen Ziele durchzusetzen: Macht und Status. Sie suchen Zuflucht im Handeln, das keine Besinnung kennt. Es ist für sie eine Zuflucht, weil sie sonst keine Aufgabe haben. Ihr atemloses Tun beruht auf Fantasiemangel, denn sie sind unfähig zu träumen. Sie werden vom Netz des elektronischen Geldtransfers auf Kurs gehalten. Schier grenzenlos scheint sich das Reich ihrer Kreditkarten und ihrer Kaufkraft an jedem Ort und zu jeder Zeit zu erstrecken.

Das Internet ist für sie ein technogenes Meer mit unermesslich virtuellen Räumen und Profitmöglichkeiten – auch in der Nacht. Einige behaupten sogar, dass sie kaum Schlaf brauchen. Würden sich ihm hingeben, wäre das mit dem Gefühl verbunden, Leben und Arbeit nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Sie schenken sich keine Zeit, um einen Schritt heraus zu treten und einen Blick auf das echte Meer und die Welt zu werfen. Wie viele Mächtige und „Große“ sind sie Getriebene, die nie zur Ruhe kommen. Sie müssen immer in Bewegung bleiben, da sich sonst das Zerstörerische in ihnen gegen sie selbst richten würde.

Weiterführende Informationen:

Barceló, Pedro: Die alte Welt. Von Land und Meer, Herrschaft und Krieg, Mythos, Kult und Erlösung. wbg Theiss 2019, Darmstadt.

Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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