Gemeinsam statt einsam in Krisenzeiten: Die Initiative „Verantwortung tragen“
In den vergangenen Jahren begleiteten viele Menschen die Initiative "Verantwortung tragen", die mit einer bewegten Geschichte verbunden ist: im Kleinen und im Großen. Denn es ging nicht nur um das Thema Verantwortungsübernahme im eigenen Leben, sondern auch um einen wichtigen Teil deutscher Wirtschaftsgeschichte, die mit der Konzerninsolvenz eines Großkonzerns ein jähes Ende fand. Ich möchte mich bei allen Beteiligten von Herzen für ihr Engagement bedanken und freue mich, dass nun alles eine positive Weiterentwicklung genommen hat - obwohl der Anlass für dieses Projekt ein trauriger war. Er zeigt aber auch, was Menschen in Krisensituationen zu tun imstande sind - und dass Optimismus und Freude auch in dunklen Zeiten niemals abhandenkommen dürfen. Im Jahr 2007 suchte ich als Leiterin Gesellschaftspolitik nach einer Möglichkeit, Nachhaltigkeit bei ARCANDOR (ehem. KarstadtQuelle AG) auf glaubwürdige Weise zu kommunizieren. Mit Markus Artur Fuchs, Geschäftsführer der KONTEXTKOMMUNIKATION GmbH in Heidelberg, entstanden viele Projekte, die Mitarbeitende und Kunden gleichermaßen erreichen sollten. Dazu gehörten eine nachhaltige Papiertasche und dazugehörige Postkarten, mit der Nachhaltigkeitsmaterialien kostenlos im Unternehmen bestellt werden konnten.
Ich hatte eine eigene Fotodatenbank mit Fotos der Mitarbeitenden aufgebaut sowie Geschichten, Reportagen und Interviews aus allen Bereichen gesammelt. Um nicht dem Vorwurf ausgeliefert zu sein, Gelder zu verschwenden und möglichst nachhaltig zu agieren, hielt ich es für sinnvoll, mit einem renommierten Verlag zu sprechen, der diese Sammlung als Buch herausgibt, das auch Impulse von außen enthält. So führte ich in meiner Freizeit Interviews mit Unternehmerinnen und Unternehmern, Künstlern und Sportlern, die auf ihre Weise nachhaltig wirken und niemals den Weg der "anderen" gegangen sind. Dazu gehörte auch der österreichische Chocolatier Josef Zotter, der auch heute noch immer wieder in meinen Büchern vertreten ist, weil er zu den interessantesten, ehrlichsten, ideenreichsten und genialsten Unternehmern gehört, die ich je kennengelernt habe. Diese Kombination machte das Ganze für den Verlag interessant, weil die Geschichten von Menschen aus dem Konzern in einen größeren Zusammenhang eingebettet waren. Es ging um etwas Verbindendes – unabhängig von Institutionen und Unternehmen. Herausgeber war nicht das Unternehmen, sondern der damalige Leiter Konzernkommunikation und ich. Das Buch trug den Titel „Die Andersmacher. Unternehmerische Verantwortung jenseits der Business Class“. Die Tantiemen flossen in die Kostenstelle der Gesellschaftspolitik zurück.
Was sollte mit dem Buchhonorar geschehen? – Es war eine Bauchentscheidung, davon 13 cm kleine Miniaturbären aus Mohär in einer limitierten Auflage von 500 Exemplaren bei einer der ältesten und bekanntesten Bären-Manufakturen Deutschlands produzieren zu lassen. Ich suchte nach einem Zuwendungsobjekt, das Verantwortung greifbar und anschaulich macht. Ein Teddy erhält so etwas wie eine eigene Seele, die ihm durch den jeweiligen Besitzer, der eine innige Beziehung zu ihm aufbaut, gegeben wird. Jeder Bär trug einen lindgrünen Wollfilzschal mit dunkelbrauner Stickung "Verantwortung tragen". Das meinte die aktive Verantwortung für andere und für die eigene Lebensgestaltung und nicht, in die Verantwortung gezogen werden. Nachhaltig Verantwortung übernehmen bedeutet vor diesem Hintergrund auch, in der Lage zu sein, Lebensfragen zu beantworten und bereit zu sein für die Erfüllung der Aufgaben, die uns das Leben stellt. Wir sind, was wir tun. Wer sich seiner Verantwortung bewusst wird und den Mut hat, sich zu bekennen, erfährt sich selbst als Lebensgestalter und nicht Verwalter. Wesentlich ist dabei das Prinzip Eigenverantwortung: Dahinter steht das Bild des selbstbestimmten Menschen, der sich aus eigener Überzeugung Werten verpflichtet fühlt. Gemeint sind hier keine materiellen Werte, sondern jene, die dafür stehen, was einen Menschen oder ein Unternehmen ausmacht. Es geht um eine Erneuerung von innen heraus und Werte jenseits des Profits. Die „Wertvollen“ zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich der Verantwortung sich selbst gegenüber bewusst sind, aber auch sorgend Anteil am Anderen nehmen.
Die Bären wurden zunächst seit Oktober 2008 an engagierte Mitarbeitende des Konzerns und seiner Gesellschaften verteilt, aber auch an Prominente, Künstler, Medienvertreter, Kulturschaffende, Taxifahrer, Hebammen, Bestatter, Geistliche und Wissenschaftler. Sie ließen sich damit fotografieren und gaben ein Statement ab: „Verantwortung tragen heißt für mich…“ Die Fotografinnen Suzanne von Melle und Elke Deichmann, die Fotografen Ingo Boddenberg und Peter Stumpf dokumentierten das Gesamtprojekt von Anfang bis Ende in Bildserien, darunter auch alle Karstadt-Demonstrationen und TV-Berichterstattungen. Der Künstler Thomas Kus fertigte ein Ölbild an. Der Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX, dem Online-Medium für Zukunftsideen, neue Wirtschaft und Innovation, Winfried Kretschmer, berichtete fortlaufend. Ebenso der damalige Herausgeber von Glocalist, Dr. Christian Neugebauer und Redakteurin Bettina Dürrheim, außerdem Dr. Elmar Lenzen, Chefredakteur von UmweltDialog. Der Essener Kommunikationsexperte Dieter Sawatzki dokumentierte die damaligen Medienberichte. Der Reporter John R. Braun präsentierte im Nürnberger Marktspiegel Statements und Fotos prominenter Mitstreiter aus Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur, darunter Graf Faber-Castell, Günther Beckstein, Eva Luise Köhler, Gerhard Meir, Oliver Kahn und Günter Netzer.
Eine besondere Herausforderung war dann die Zeit der Insolvenz, weil es keine Möglichkeit mehr gab, offiziell über ein Unternehmen zu agieren, sondern nur noch als Privatperson. So erklärte sich der Leipziger Innovationsstratege Jan Graf spontan bereit, auf eigene Kosten Postkarten zu drucken und die Website „Verantwortung tragen“ ehrenamtlich zu entwickeln und zu pflegen. Es beteiligten sich damals weit mehr Menschen als es Teddys gab. Deshalb wurde an die Bärenbesitzer appelliert, ihr Sammlerstück zu verleihen, um weitere Statements und Fotos zu kommunizieren. Aus den Mohair-Resten der kleinen Bären fertigte das Teddy-Unternehmen (Teddy Hermann Original Hirschaid) einen etwa 50 cm großen Bären an. Das „Upcycling“-Produkt erwarb der Nachhaltigkeitsexperte Rudolf X. Ruter käuflich und spendete den Betrag. Parallel schrieb ich das Buch „Welche Zeiten, in denen wir leben“.
Vor dem Hintergrund der damaligen Krisen habe ich Thomas Manns Roman „Buddenbrooks“ im Spiegel der Gegenwart neu interpretiert: Konzentration, Offenheit und Leidenschaft auf der einen Seite – Getriebensein und Leistungsdruck auf der anderen: Fließend ist für den Protagonisten Thomas Buddenbrook der Übergang vom Erfolg zum Scheitern: Sein Niedergang liegt im Trend einer Zeit, die Grundsätze über Bord wirft, um Moden und dem schnellen Geld nachzueifern. Pro direkt beim Verlag bestelltem Buch gingen zwei Euro an „Verantwortung tragen“. Mit jedem weiteren Exemplar einer Bestellung stieg der Förderbetrag um zwei Cent pro Buch. Um eine eigenständige Stiftung zu gründen, wären die Beträge zu gering gewesen. Aus diesem Grund ist die Initiative mit den Mikroförderbeträgen 2011 als Nebenprojekt in die DFB-Stiftung Egidius Braun eingegangen, die auch mit geringen finanziellen Mitteln nachhaltige gesellschaftliche Initiativen unterstützt. Am 14. Dezember 2018 wurden die gesammelten Spenden der Initiative „Verantwortung tragen“ von der DFB-Stiftung Egidius Braun an die Arne-Friedrich-Stiftung (1820,38 €) und Horizont e. V. (1200 €) zugunsten von kleinen Nachhaltigkeitsprojekten ausbezahlt. Die letzten Dinge der Initiative – der lebensgroße Bär, ein Mohair-Teddy, der aus den Resten der 500 Miniaturbären gefertigt wurde und ein Unikat ist, sowie das Gemälde von Thomas Kus - wurden an die NEUMÜLLER Unternehmensgruppe - anlässlich des 50. Geburtstages von Regina Neumüller - übergeben, die mit verschiedenen sozialen Aktionen den Kreis schließen wird. Dies auch vor dem Hintergrund, dass das Engagement aus Nürnberg besonders ausgeprägt war. Da die NEUMÜLLER Unternehmen für ihr soziales Engagement und pragmatisches Handeln bekannt sind, ist es hier nachhaltig aufgehoben. Über die Verwendung der kleinen und großen Dinge dieses Projekts wird dann separat berichtet.
Das Teddy-Unternehmen schenkte den Initiatoren noch in der Insolvenzzeit einen lebensgroßen Bären, der ebenfalls einen grünen Schal mit der Beschriftung „Verantwortung tragen“ trug und zunächst in einer Karstadt-Filiale im Ruhrgebiet stand. Bianca Kroos, damals Geschäftsführerin dort, brachte ihn anlässlich des Auftakts der Burgthanner Dialoge im Jahr 2010 persönlich nach Burgthann. Im Rahmen der Veranstaltung wurde er an Heinz Meyer, dem 1. Bürgermeister der Gemeinde Burgthann, übergeben. Bis 27. Juni 2023 stand der Bär hier im Rathaus. Persönlich verabschiedet wurde er von Bürgermeister Heinz Meyer und Marketingleiterin Elke Leser. Abgeholt haben ihn Wendy Trabold und Nils Gluschke (NEUMÜLLER Unternehmensgruppe). Auch wenn ich aus Termingründen die Reise des großen Bären nicht begleiten konnte, so habe ich mich über das Fotomaterial sehr gefreut - auch weil es noch einmal die besondere Freude spiegelt, die von diesem Projekt ausgeht. Es hat nicht an Strahlkraft verloren. Im Gegenteil: Das Warten auf den richtigen Zeitpunkt, die Initiative zu einem guten Ende zu führen, zeigt einmal mehr, was es bedeutet, ein „leuchtendes Beispiel“ zu sein.
Alexandra Hildebrandt, Elke Leser, Heinz Meyer: Burgthanner Dialoge: Eine fränkische Gemeinde im Gespräch und Spiegel der Gemeinschaft Kindle Ausgabe 2019.
Die Andersmacher: Unternehmerische Verantwortung jenseits der Business Class. Hg. Alexandra Hildebrandt und Jörg Howe. Kamphausen Verlag, Bielefeld 2008
Alexandra Hildebrandt: Welche Zeiten, in denen wir leben: Was erfolgreiches Unternehmertum ausmacht. Mit Illustrationen von Raimund Frey. Kehsler Verlag, Saulheim 2010.