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Gemeinwohl ist, was uns alle angeht

Die Initiatoren des GemeinwohlAtlas 2019, der anhand einer repräsentativen Umfrage den Gemeinwohlbeitrag von Organisationen und Unternehmen untersucht, finden es bemerkenswert, „wie stabil viele Unternehmen in den Augen der Bevölkerung ihren Gemeinwohlbeitrag leisten.“

Die Mehrung des Gemeinwohls sollte ein Kernziel nachhaltigen Wirtschaftens sein.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die vor einigen Jahren geführte Diskussion einer Gruppe von Wissenschaftlern um den Moralphilosophen Peter Singer (Princeton University) und William MacAskill (Universität Oxford). Aus ihrer Sicht sei es zwar nachvollziehbar, dass wir beeinflussen wollen, was uns berührt, aber ökonomisch sei dies aus ihrer Sicht nicht richtig. Die WirtschaftsWoche brachte dazu ein Beispiel: Wenn jemand Leben retten will, liegt es zwar zunächst nahe, Arzt zu werden - doch MacAskill empfiehlt einen radikaleren Weg, den auch der Amerikaner Jason Trigg ging: Er wurde nicht Entwicklungshelfer, sondern Programmierer, der bei einem Hedgefonds weit mehr verdiente, um möglichst viel zu spenden. Er verfolgt die Strategie des Verdienens-um-zu-spenden (aerning to give), die auch MacAskill selbst umsetzt. Er spendet 60 Prozent seines Jahreseinkommens.

Der rein ökonomische Ansatz hat durchaus etwas Kaltes, weil es ausschließlich um eine „optimierte Art von Altruismus“ (WiWo 42/9.10.2015) geht, die kaum Gefühle zulässt und auch nicht das nachhaltige Wirtschaften des Unternehmens hinterfragt, aus dem das zu spendende Geld kommt. Doch die Auseinandersetzung mit einem solchen Ansatz kann dazu anregen, das persönliche und unternehmerische Engagement zu hinterfragen und gegebenenfalls neu auszurichten, um überlegter und mit Langfristwirkung zu spenden.

Gemeinwohlbelange werden für Unternehmen zunehmend immer wichtiger.

Der eigene Gemeinwohlbeitrag und seine Kommunikation sind wesentliche Argumente im Marketing, Vertrieb und der Arbeitgeberattraktivität. Dazu ein Beispiel aus dem Mittelstand: Regina und Werner Neumüller leiten jeweils mehrere Unternehmen im Umfeld der Personal- und Ingenieurdienstleistung mit insgesamt mehr als 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie sind spezialisiert auf das Research und die Rekrutierung von anspruchsvollen Qualifikationen über den Weg der Personaldienstleistung - auch in Premiumsegmenten, die von hoher Nachfrage geprägt sind (Ingenieure, Betriebswirte, Naturwissenschaftler). „Gerne nehmen wir unsere Verantwortung an, dem System, in dem wir Erträge erwirtschaften, wieder etwas von diesen Erträgen ‚sinnvoll(er)' zurückzugeben", sagen die Familienunternehmer, die gute Geschäfte machen und dann teilen wollen. Das ist für sie mit ausgewählten Attributen wie Ehrlichkeit, Fleiß und Nachhaltigkeit verbunden, aber auch mit dem Gefühl der wirksamen Teilhabe an einer sozialen Bewegung.

Kulturförderung ist für sie ebenso selbstverständlich wie soziales Engagement. Die in mehrere Bereiche aufgeteilten Spenden unterliegen keinem Gießkannenprinzip, sondern sind in der unterschiedlichen regelmäßigen Verteilung beabsichtigt. Es geht um die Notwendigkeit der Unterstützung im Ganzen – nicht um persönliche Betroffenheit im Kleinen. Unterstützt werden Kinderpatenschaften bei World Vision und SOS Kinderdorf, regionale Organisationen wie "Tröster Teddys", die Aktion Schutzbengel der Rummelsberger Diakonie, die Consilatio Stiftung, die Stiftung Kinder in Not, die Reiner Meutsch Stiftung, die Emanuel Wöhrl Stiftung sowie Kindergärten und Krankenhäuser im Raum Nürnberg. Werner Neumüller plädiert mit diesem Engagement gleichzeitig an alle anderen Unternehmer, die in der Region verwurzelt sind: Man könne nicht „immer nur jammern oder die Standortvorteile nutzen“. Es sei auch wichtig, vor Ort Verantwortung zu übernehmen und zu handeln.

Besonders am Herzen liegt dem Unternehmer und Personalexperten Werner Neumüller die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, die Menschen in Kriegen oder Naturkatastrophen unabhängig, unpolitisch und effizient hilft. Die Organisation genießt in der Bevölkerung und bei Unternehmen eine hohe Reputation. Weltweit engagieren sich hier Tausende Menschen - viele von ihnen ehrenamtlich. Firmenspenden wie die von Neumüller gehören hier mit zu den wichtigsten Einnahmequellen. Allerdings folgt die Spendenpolitik der Organisation klaren Prinzipien, welche die unabhängige Projektarbeit sicherstellen sollen sowie Schutz für Mitarbeiter und Marke sind. So wird jede Spende, die 3000 Euro übersteigt, einer genauen Überprüfung unterzogen (je höher die Spende, desto intensiver die Prüfung). Spenden aus der Rüstungsindustrie sowie von Alkohol- oder Tabakherstellern sind aufgrund möglicher Zielkonflikte und ethischer Bedenken ausgeschlossen. Bei größeren Unternehmen wird zudem ein Prüfbericht von oekom research angefordert, der vor allem hilft, bestimmte Verflechtungen der Unternehmen zu erkennen.

Besonderes Fingerspitzengefühl ist bei Inhaber geführten Unternehmen wie Neumüller gefragt, denn hier steht persönliches Engagement hinter der Spende - immerhin kommt der größte Teil der Unternehmensspender aus dem Mittelstand. Seit 2011 unterstützt die NEUMÜLLER Unternehmensgruppe die Hilfsorganisation finanziell. „Wir wollen damit den Menschen helfen, die Tag für Tag um ihr Leben kämpfen und unter prekären Bedingungen leben müssen. Ärzte ohne Grenzen handelt hier seit Jahrzehnten selbstlos in Krisengebieten und das verdient meine und unsere höchste Anerkennung. Es freut mich, dass wir zumindest einen kleinen Teil zu einer besseren Welt beitragen können.“ Das Unternehmen hat die Partnerschaft auch 2020 weitergeführt. Das Nürnberger Familienunternehmen hat im März – trotz Corona-Krise - wieder eine vierstellige Geldsumme gespendet. „Gerade in der aktuellen Situation ist unsere finanzielle Zuwendung absolut in den richtigen Händen. Wir müssen in Zeiten wie diesen zusammenstehen und helfen, wo wir nur können”, so Neumüller.

Weiterführende Informationen:

Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. SpringerGabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2020.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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