Geschäftsbericht weckt Bedenken zum Flixtrain-Großprojekt
Eine Handelsblatt-Analyse des aktuellsten Abschlusses zeigt: Eigene Busse belasten die Profitabilität des Mobilitätsanbieters Flix. Nun sollen Fernzüge für 2,4 Milliarden Euro hinzukommen.
Frankfurt, Düsseldorf. Geradezu euphorisch ist André Schwämmlein, wenn er über seinen jüngsten Plan spricht, eigene Züge zu kaufen. „Mit den zusätzlichen 65 Zügen werden wir die dann größte private Fernverkehrsflotte in Europa betreiben“, sagte der Chef des Bus- und Bahnanbieters Ende Mai dem Handelsblatt. Flixtrain bekomme ein Produkt auf Augenhöhe mit dem ICE und den Zügen anderer Staatsbahnen.
Doch der Deal mit den giftgrünen Zügen ist eine riskante Wette, ergibt eine Analyse des zuletzt publizierten Geschäftsberichts der Flix SE. Zwar verbesserte der Konzern sein Betriebsergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) im Jahr 2023 von 20,6 Millionen auf 61,7 Millionen Euro. Allerdings schrieb das Unternehmen bis zum Bilanzstichtag Ende 2023 immer noch einen Nettoverlust von über 66 Millionen Euro, wie der erst vor Kurzem nachgereichte und im Unternehmensregister hinterlegte Geschäftsbericht zeigt.
Pro 100 Euro Umsatz legten die Münchener damit 3,30 Euro drauf. Vor allem Abschreibungen auf eigene Busse belasten die Zahlen.
Aktuellere Zahlen gibt es nicht. Zwar erklärt Flix auf Anfrage, dass der profitable Wachstumskurs 2024 fortgesetzt worden sei. Umsatz und Fahrgastzahlen sind nach eigener Aussage auf Rekordniveaus gestiegen. Überprüfen lässt sich das allerdings nicht. Das Management hält die Zahlen für 2024 bisher unter Verschluss.
In der Unternehmenszentrale wird der Kauf von 65 neuen Hochgeschwindigkeitszügen indes verteidigt: „Möglich ist dieses Investment durch starke Partner wie unsere neuen Ankerinvestoren EQT und Kühne Holding“, heißt es dort. Doch der detaillierte Blick auf die Zahlen des Geschäftsabschlusses 2023 weckt Zweifel am wirtschaftlichen Erfolg des ehrgeizigen Plans.
Dem Geschäftsbericht zufolge ist es das kostspielige Abweichen vom ursprünglichen Geschäftsmodell, das den Konzern 2023 in den roten Zahlen gehalten hat. Zunächst nämlich sah das Flix-Modell ausschließlich vor, Fahrgäste per Internet an selbstständige Busunternehmer zu vermitteln.
Teures Anlagevermögen war tabu, um einen eigenen Fahrbetrieb machten Schwämmlein und Co. in den Gründerjahren einen Bogen. „Asset light“ hieß das Zauberwort, das auch Onlinevermittler anderer Branchen – darunter Booking.com oder Airbnb – zu erheblichem Reichtum verhalf.
Allein die Online-Vermittlung ist profitabel
Und tatsächlich verschafft das reine Vermittlungsgeschäft den Münchenern, die inzwischen in über 40 Ländern Überlandreisen unter der Marke Flixbus verkaufen, ein ordentliches Geschäftsergebnis. In der Unternehmensdivision „Europa“, die ohne eigenes Busmaterial auskommt, verdiente der nach dem internationalen IFRS-Standard bilanzierende Konzern vor Steuern 149,1 Millionen Euro, wie das Handelsblatt errechnete.
Ganz anders sah es hingegen dort aus, wo es Flix mit dem Zukauf von Busunternehmen versucht: Das Nordamerikageschäft, das der Konzern 2021 durch die Übernahme des traditionsreichen Überlandbus-Betreibers Greyhound ergänzte, verlor vor Steuern 27,4 Millionen Euro. In der Türkei, wo Flix 2019 den Busreise-Anbieter Kamil Koc übernahm, summierten sich die Vorsteuerverluste sogar auf 33,9 Millionen Euro.
Zwar erreichten beide Geschäftssegmente auf Basis von Ebitda-Zahlen ein positives Betriebsergebnis. Doch Abschreibungen und Wertminderungen drückten die Geschäfte in die roten Zahlen. Auch wenn dabei Belastungen wie eine Hyperinflation in der Türkei eine Rolle spielen, zeigt das die Herausforderung, die ein eigener Fuhrpark mit sich bringt.
Einen Grund, deshalb vom Zuggeschäft abzulassen, sieht man in der Konzernzentrale nicht. „Wir investieren in Flixtrain, weil das Marktpotenzial und die Nachfrage enorm sind – in Deutschland gleichermaßen wie in Europa“, teilt das Management mit. Flixtrain werde dieses Potenzial nutzen und sowohl den Marktanteil als auch den Markt für Fernzugreisen als Ganzes deutlich vergrößern, ist man in der Führungsetage überzeugt.
Ergebnis von Flixtrain wird nicht veröffentlicht
Exakte Zahlen über den 2018 in Deutschland gestarteten Zuganbieter, bei dem das Münchener Unternehmen Loks und Waggons vorzugsweise mietet, gibt der Geschäftsbericht allerdings nicht preis. Der HGB-Einzelabschluss der Konzernmutter Flix SE offenbart jedoch auch hier indirekt einen Verlust.
Im Bericht heißt es wörtlich: „Die Erträge aufgrund eines Gewinnabführungsvertrags betrugen im Geschäftsjahr 2023 15,2 Mio. EUR und beinhalten die Jahresüberschüsse der Flixbus DACH GmbH und der Flixmobility TECH GmbH.“ Die Tochter Flixtrain GmbH, mit der ebenfalls ein Gewinnabführungsvertrag besteht, ist als Einzige unter den Ertragsbringern nicht erwähnt.
Ich finde es mutig von Flixtrain, in diesen Markt zu investieren.Christian Böttger, HTW Berlin
Entsprechend skeptisch zeigen sich Experten, ob Flix mit dem geplanten Ausbau des schienengebundenen Fernverkehrs überhaupt die Gewinnschwelle erreichen wird. „Der Fernverkehrsmarkt in Deutschland wird von Unsicherheiten belastet“, warnt Christian Böttger, Professor an der Hochschule für Technik und Wissenschaft Berlin (HTW). „Die Trassenpreise könnten steigen, die Trassenverfügbarkeit in den kommenden Jahren ist ungewiss“, sagt der Bahnexperte.
Zudem bestehe durch das Deutschlandticket erheblicher Preisdruck. Böttger schlussfolgert im Gespräch mit dem Handelsblatt: „Ich finde es mutig von Flixtrain, in diesen Markt zu investieren.“
Das Finanzpolster von Flix ist überschaubar
Auch das Finanzpolster für den Erwerb der 2,4 Milliarden Euro teuren Züge ist bei Flix alles andere als üppig. Zwar pumpte der schwedische Investmentfonds EQT zusammen mit der Schweizer Kühne Holding vergangenen Sommer knapp eine Milliarde Euro in das einstige Start-up, wofür die Partner einen Firmenanteil von 35 Prozent erhielten. Zuvor besaß der Konzern neben liquiden Mitteln in Höhe von 159 Millionen Euro aber gerade einmal ungenutzte Kreditlinien über 176 Millionen Euro.
Auch das Eigenkapital blieb bis zum Einstieg der neuen Mitgesellschafter vergleichsweise bescheiden. Zum Bilanzstichtag Ende 2023 betrug es nur 164 Millionen Euro, obwohl die bisherigen Gesellschafter bis dahin 806 Millionen Euro in die Kapitalrücklage eingestellt hatten. Der Grund: In den Gewinnrücklagen klaffte wegen der aufgelaufenen Konzernverluste zum 31. Dezember 2023 ein Defizit von 669 Millionen Euro.
„Unser Investment in Flixtrain fußt auf einem sehr starken finanziellen Fundament“, kontert man im Flix-Management. Die Züge würden durch eine Mischung aus Eigen- und Fremdkapital finanziert. „Mit Unicredit und der Deutschen Bank ist es uns gelungen, zwei der renommiertesten Finanzinstitute Europas von unseren Plänen zu überzeugen“, heißt es weiter.
Bei einem Börsengang wäre diese Überzeugungsarbeit gegenüber den Aktionären vermutlich deutlich schwerer gefallen. Doch EQT und die Kühne Holding scheinen trotz der finanziellen Risiken voll hinter der Strategie der Flix-Führung zu stehen. „Dass die Gründer den Mut hatten, so ein Unternehmen wie Greyhound zu übernehmen, zeigt ihr starkes Unternehmertum. Davon brauchen wir mehr“, sagte Dominik de Daniel, CEO der Kühne Holding, im vergangenen September dem Handelsblatt.
Auch das Zuggeschäft wird bei dem Investor positiv gesehen. Es gebe vielversprechende Pilotprojekte, auch in Deutschland, sagte de Daniel: „Wir halten den Ansatz für richtig, mit solchen Projekten zu schauen, was möglich ist.“
