© Pixabay

Geschichte in Bewegung: Zur Bedeutung des Fahrrads für die Emanzipation der Frau

Das Fahrrad ist heute aus dem Verkehr nicht mehr wegzudenken und hat so viele Anhänger wie nie. Es durchlief viele Entwicklungsschritte von der Draisine (1817) bis zu E-Bikes, Pedelecs (um 2005). Gestaltet wurde es allerdings von Anfang an nur nach den Bedürfnissen von Männern.

Erst in den 1980er-Jahren gründete die ehemalige Wertpapieranalystin Georgena Terry mit 34 Jahren die erste Firma, die sich auf Design und Bau von Fahrrädern für Frauen spezialisiert hat: Terry Precision Cycling. Sie war die Erste, die eine Fahrradgeometrie für Frauen konstruiert hat, einen Sattel mit Anpassung, um Druckstellen zu reduzieren sowie einen Lenker mit einem kleineren Durchmesser für kleinere Hände. 2012 verkaufte sie ihr Unternehmen, designte aber weiter Sonderanfertigungen. Durchgesetzt hat sich ihre Marke für Frauenräder allerdings nicht – stattdessen brachten große Hersteller wie Giant eine eigene Produktlinie für Frauen auf den Markt.

In den Anfängen des Radfahrens gab es noch einen strengen Dresscode für Frauen und Männer

Frauen mussten Röcke tragen, die bis zum Boden reichten. Die städtische Mobilität trug mit dazu bei, „sich von den sehr kasteienden Reifröcken und der Schichtkleidung zu verabschieden“ (Katja Diehl). Die US-amerikanische Frauenrechtlerin Amelia Jenks Bloomer (1818–1894) entwickelte schließlich das nach ihr benannte Kostüm, das ohne Korsett auskam und den Rock auf Kniehöhe einkürzte. Damit die Knöchel bedeckt blieben, trug sie darunter eine Hose. Durch weniger Stoffverbrauch war dieses Kleidungsstück bequemer, bewegungsfreier und billiger. Männer beschimpften und diffamiertem Frauen, die diese Kleidung trugen. Ende des 19. Jahrhunderts waren Frauenwahlrecht, Bildung, eigenständiges Leben noch in weiter Ferne. Amalie Rother, Vorsitzende des Berliner Damen Radfahr-Clubs, sagte 1897: „Das erste, was unbedingt in die Rumpelkammer muß, ist das Korsett… Bei mir persönlich macht es sogar einen ganz bedeutenden Unterschied in der Leistungsfähigkeit, ob ich ganz ungezwungen oder mit wenn auch noch so losem Büstenhalter fahre.“

Der Publizist Leon Sachs veröffentlichte am 7. Januar 1898 in der Zeitschrift „Sport im Bild“ einen Aufsatz mit dem Titel „Der Einfluss des Fahrrades auf die Emanzipation der Frau“: „Die endliche Verbreitung des Fahrrades unter den Frauen aller gesellschaftlichen Schichten hat die Entwicklung des Selbständigkeitssinnes bedeutend gefördert, weil die Benutzung dieses neuesten Beförderungsmittels für die Frau mit einem Kampf gegen alte Vorurteile verbunden ist und außerdem auch bei einem jeden ein Gefühl der Unabhängigkeit und Überlegenheit den anderen Beförderungsmitteln gegenüber wachruft.“

Auch Schauspielerinnen wie Sarah Bernhardt oder Kurtisanen wie Blanche d’Antigny ließen sich mit Zweirädern abbilden

In ihrem Buch „Frauenwahlrecht“ erinnert Ana Kugli auch an Anita Augsprung (1857–1943), die ihre individuelle Daseinsart selbst bestimmen wollte: Nach ersten Versuchen als Schauspielerin führte sie mit ihrer Lebenspartnerin ein erfolgreiches Fotoatelier. Und sie tat vieles, was sich für Frauen ihrer Zeit nicht schickte: Sie trug kurze Haare und Hosen, fuhr Fahrrad und ritt im „Herrensitz“ auf Pferden. Die österreichische Frauenrtechtlerin Rosa Mayreder resümierte 1905: „Das Bicycle hat zur Emanzipation der Frau aus den höheren Gesellschaftsschichten mehr beigetragen als alle Bestrebungen der Frauenbewegung zusammen.“ Für die Suffragetten war das Fahrrad das Mittel für ihre Kampagnen, sie fuhren in den 1910er Jahren mit Transparenten durch die Gegend. Zuvor – in den 1890er Jahren – erklärte die Frauenzeitschrift Godey`s: „Im Besitz ihres Fahrrads fühlt die Tochter des 19. Jahrhunderts, dass die Erklärung ihrer Unabhängigkeit verkündet worden ist.“

Viele der Autobauer:innen begannen übrigens mit dem Fahrrad, ohne das die Technik, auf der das Auto heute basiert, nicht entwickelt worden wäre

Adam Opel baute zuerst Nähmaschinen und Fahrräder. Carl Opel fuhr, ebenso wie seine vier Brüder, in den 1880er-Jahren mit dem Bicycle Rennen. Erst 1898, drei Jahre nach seinem Tod, startete Sophie Opel mit dem Bau von Autos. Auch Henry Ford hob sein erstes Auto auf vier Fahrradlaufräder und brachte die Kraft des Motors durch die Fahrradkette an die Räder. Die Dogde-Brüder und die Peugeots verdienten zunächst ebenfalls ihr Geld mit dem Fahrradbau, bevor sie Autos bauten. Die Jahre bis 1914 markieren die erste Hochphase des Fahrrads.

Die Technik kam bald der Entwicklung von Motorrädern und Automobilen zugute. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Fahrrad ein wichtiges Transportmittel für alle Menschen. Vor allem die Trümmerfrauen und Handwerker radelten zu den Baustellen. Auch zum Hamstern von Lebensmitteln auf dem Land wurde das Rad genutzt. Um 1950 wurden in Westdeutschland mehr als eine Million Fahrräder produziert. Allerdings hielt der neue Fahrradboom nicht lange an, denn Motorräder und Autos wurden zu erschwinglichen Verkehrsmitteln. Den Tiefpunkt erreichte in Deutschland die Entwicklung in den 1960er- und 1970er-Jahren mit der Ideologie der „autogerechten Mobilität“ (die noch immer im Umlauf ist) und „autogerechten Stadt“, für die überall Fahrbahnschneisen durch die Innenstädte geschlagen wurden.

Das Fahrrad rückte erst wieder in Krisenzeiten ins gesellschaftliche Bewusstsein (Ölkrisen, Smog, Reaktorkatastrophen, Waldsterben, autofreie Sonntage)

In den 1970er-Jahren gab es kaum Nachfragen – das Bonanzarad war lediglich eine Eintagsfliege der Fahrradgeschichte. Der Fitnesskult aus den USA brachte in den 1980er-Jahren das Mountainbike in die Mitte der Gesellschaft, und es begann der Wettlauf um Hochtechnologie. In den 1990er- und 2000er-Jahren ist der Fahrradtrend schon überall sichtbar (Fahrradtiefgaragen, Leihsysteme etc.).

In Dänemark ist die Fortbewegung auf zwei Rädern allerdings nicht erst ein „Phänomen von Fitnesskult und Ökowelle““ (Sebastian Baltzter). Bereits 1932 beschrieb Kurt Tucholsky seine Eindrücke von der dänischen Hauptstadt: „Wenn die Kinder anderswo zur Welt kommen, schreien sie – in Kopenhagen klingeln sie auf einer Fahrradklingel.“ Anfang der 1960er-Jahre wurde die Shoppingmeile zur Fußgängerzone umgewandelt, und es folgte ein Radwegenetz durch die Innenstadt. Bis zur „fahrradgerechten Stadt“ ist es hierzulande noch weit – dennoch erobert das Fahrrad seit Jahren die Städte zurück. Das Bundesverkehrsministerium investiert 600 Millionen Euro in den Ausbau der Radinfrastruktur und hat in sieben Hochschulen Lehrstühle eingerichtet, um den Radverkehr als Universitäts- und Forschungsfach zu verankern - drei davon sind mit Frauen besetzt.

  • Eine traurige Wahrheit: Der lange Weg zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern

  • Sport im Bild, Berlin-Wien, 7.1.1898. Die Orthografie wurde dem aktuellen Standard angepasst.

  • Lars Amenda: „Ist’s möglich, Sie radeln nicht?“ In: DIE ZEIT (2.10.2019), S. 23.

  • Sebastian Baltzer: tretet in die Pedale! In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (10. 10.2016), S. 26-27.

  • Hans-Erhard Lessing: Vom Fahrrad zum Auto. In: Kultur & Technik 3/2003, S. 12-17 .

  • Jürgen Isendyck: 50 Fahrräder aus 200 Jahren auf 50 Seiten. Verlag radundbuch.de, Ludwigsburg 2017.

  • Katharina Slodczyk: Sturheit hilft. In: manager magazin (April 2022), S. 127-129.

  • Marco Völklein: Es rollt was durchs Land. In: Süddeutsche Zeitung. (31.12.2016/1.1.2017), S. 71.

  • Christian Wüst: Geniestreich der Dynamik. In: DER SPIEGEL 46 (2016), S. 116-119.

  • Franz Alt, Ernst Ulrich Weizsäcker: Der Planet ist geplündert. Was wir jetzt tun müssen. Hirzel Verlag. Stuttgart 2022, S. 17

  • Katja Diehl: Autokorrektur - Mobilität für eine lebenswerte Welt. S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2022.

  • Pryor Dodge: Faszination Fahrrad – Geschichte, Technik, Entwicklung. Verlag Delius-Klasing, Bielefeld 2003.

  • Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. SpringerGabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2020.

  • Ana Kugli: Frauenwahlrecht. J. S. Klotz Verlagshaus. Neulingen 2020.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

Artikelsammlung ansehen