Ghosting durch Bewerber: Headhunter klagen über wankelmütige Kandidaten
„Bis zum Arbeitsvertrag verhandelt – und dann keine Unterschrift“: Personalberater berichten, dass die Zuverlässigkeit von Bewerbern sinkt. Das ist nicht das einzige Problem der Branche.
Düsseldorf. Die Stimmung unter den deutschen Personalberatern ist nicht die beste. Nach Berechnungen des Branchenverbands BDU lag der Umsatz im Geschäftsjahr 2023 mit insgesamt 2,9 Milliarden Euro rund 2,5 Prozent unter dem des Vorjahrs.
Und auch für das laufende Jahr 2024 sind die Headhunter nicht optimistisch. Sie erwarten erneut ein Minus – dieses Jahr von 3,5 Prozent. Die Stimmung der Branche sinkt damit auf das niedrigste Niveau seit vier Jahren.
Am pessimistischsten sind die kleinen Beratungen und Boutiquen mit bis zu einer Million Euro Jahresumsatz. Die überwiegende Mehrheit von ihnen klagt über einen „zu kleinen Auftragsbestand“.
„Ghosting“ durch Bewerber nimmt stark zu
Aber auch die vom BDU befragten großen internationalen Personalberater sind nicht zufrieden. Jedes dritte dieser Top-25-Unternehmen bewertet die Geschäftsaussichten „ungünstiger“.
Als Hauptgrund für das schlechte Geschäftsklima in der Branche nennen die Personalberater die unsichere wirtschaftliche und politische Lage. Doch diese allein erklärt die schwache Auftragslage ihres Erachtens nicht vollständig.
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„Die Kandidaten sind zunehmend unverbindlich. Sie durchlaufen den gesamten Bewerbungsprozess mit Interviews und teilweise Vertragsverhandlungen, um dann kurz vor der Unterschrift neue Bedenken zu äußern und eventuell sogar abzuspringen“, sagt Arne Adrian, Fachverbandsvorsitzender des BDU und Geschäftsführer der mittelständischen Personalberatung Pawlik Recruiters. Diese Unentschlossenheit und kurzfristige Absagen hätten ebenso wie das plötzliche und unentschuldigte Verschwinden von Kandidaten, das sogenannte Ghosting deutlich zugenommen.
So berichten 78 Prozent der 394 vom BDU befragten Personalberater, dass die Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit von Kandidaten „gesunken“ sei. Den Erhebungen zufolge ist auch die Response-Rate, also die Antwortwahrscheinlichkeit bei Direktansprache, „gefallen“. Das beobachtete jeder zweite befragte Personalberater.
Entsprechend ist die durchschnittliche Projektlaufzeit bei den Personalberatern gestiegen. Dauerte es dem BDU zufolge im Jahr 2022 noch 85 Tage, bis ein Suchauftrag erfolgreich mit einer Besetzung abgeschlossen wurde, waren es 2023 schon 97 Tage. Die Folge: Die Profitabilität leidet.
In weiten Teilen der deutschen Wirtschaft herrsche inzwischen ein Arbeitnehmer- und kein Arbeitgebermarkt mehr, so Adrian. Hinzu komme: Die Bereitschaft von Kandidaten, „einfach für mehr Geld oder einen schöneren Titel“ zu wechseln, sei spürbar gesunken. Die klassischen Wechselfaktoren funktionierten nicht mehr.
Berater und Arbeitgeber müssten heute deutlich mehr bieten oder kreativer sein in der Ansprache und der Überzeugungsarbeit.
Die zunehmend schwierigen Bedingungen treffen auf einen kleinteiligen Personalberatungsmarkt. Insgesamt zählt der Branchenverband rund 2450 Betriebe. Das Geschäft dominieren jedoch einige wenige, große Beratungshäuser.
Kleine Unternehmensberatungen leiden am meisten
Dazu zählen in Deutschland die US-amerikanischen und zum Teil börsennotierten Personalberatungskonzerne Russell Reynolds, Heidrick & Struggles, Korn Ferry sowie Spencer Stuart. Hinzu kommt die Nummer eins in Europa und Deutschland Egon Zehnder aus der Schweiz sowie die deutsche Traditionsadresse Kienbaum.
Sie stehen für einen großen Teil des Geschäfts und können auf konjunkturell schwierige Zeiten besser reagieren, weil sie breiter aufgestellt sind. Sie suchen nicht nur neue Kandidaten, sondern helfen etwa auch, Personal zu bewerten, oder beraten in puncto Corporate Governance.
Entsprechend leiden die kleineren Beratungshäuser derzeit am stärksten unter der aktuellen Marktlage. Dem BDU zufolge ist in den Boutiquen der Umsatz 2023 um 6,5 Prozent zurückgegangen – und damit um deutlich mehr als die branchenweiten 2,5 Prozent. Und für 2024 erwarten die Boutiquen ein Minus von acht Prozent.
Ein weiterer Grund für das schlechtere Geschäft der Personalberater trifft aber alle gleichermaßen: „Das interne Recruiting ist in vielen Unternehmen besser geworden“, beobachtet Wolfram Tröger, Chef der gleichnamigen Personalberatung aus Frankfurt und Vizepräsident des BDU.
Insbesondere neue Technologien wie Künstliche Intelligenz helfen beim Aufbau solcher Personalprozesse entscheidend, so Tröger. Jetzt liege es an den Personalberatern, ihre Rolle klarer zu vertreten und zu zeigen, warum menschliche Ansprechpartner bei Personalfragen weiterhin wichtig sind.
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