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Gipfelstürmer: Warum der Berg eine Lebens- und Karriereaufgabe ist

Malerische Aussichten

Berggipfel zu erklimmen ist nicht nur eine sportliche Herausforderung – der Weg an die Spitze führt zugleich ins Innere. Das erkannte bereits der italienische Philosoph und Humanist Francesco Petrarca, der diese Zeilen unmittelbar nach der Besteigung des Mont Ventoux am 26. April 1336 an seinen väterlichen Freund Francois-Denis aus Sepolcro schrieb: „Hätte ich doch schon zuvor - selbst von den Philosophen der Heiden - lernen müssen, daß nichts bewundernswert ist außer der Seele: Neben ihrer Größe ist nichts groß. Da beschied ich mich, genug von dem Berge gesehen zu haben, und wandte das innere Auge auf mich selbst.“ Petrarca verfasste die erste überlieferte Reflexion über das Bergsteigen.

„Mein Berg“ heißt auch ein Song auf dem Album „Gipfelstürmer“ der Band Unheilig. Der Berg ist nicht nur ein Symbol für den Sänger der Graf, sondern war für ihn stets auch eine Aufgabe, der er sich mit Passion gewidmet hat. Dazu gehört beides: Leid und Leidenschaft wie beim Bergsteigen - das größte Glück, der absolute Flow und ultimative Kick, aber auch Verzweiflung und Angst. Die „Aufgabe“ gab dem Künstler Sinn und forderte ihn heraus, er ging er in ihr auf, und er gab sein Bestes. Die Spitze, die er so lange gestaltet hat, wollte er verlassen und zurückkommen ins „normale“ Leben.

Die Süddeutschen Zeitung widmete ihm 2015 einen umfangreichen Beitrag mit dem Titel „Dem Himmel so nah“, in dem seine Texte als Treibgut romantischer Motive bezeichnet wurden, die sich zu Literatur wie ein „Candle Light Dinner zu Joseph von Eichendorff“ verhalten. Diese Bewertung soll hier nicht weiter interessieren, sondern lediglich die Tatsache, dass die Romantik, die mit der Sehnsucht nach Kreativität und dem Erschließen von Sinn verbunden ist, gerade eine Renaissance erlebt, die viele gesellschaftliche Bereiche betrifft. Um ein Bild der Gegenwart zu erhalten, müssen all diese Strömungen im Zusammenhang gesehen werden: von der Kunst über den Sport bis zur Wirtschaft.

So bezeichnet sich auch der Künstler Nino Malfatti, dessen Werke in namhaften Museen und Sammlungen zu finden sind, im kulturhistorischen Sinn als Romantiker, denn die Alpinmalerei wurde erst in der Epoche der Romantik mit Caspar David Friedrich, Joseph Anton Koch oder Caspar Wolf ein vordergründiges Thema – vorher waren Berge eher Beiwerk und Hintergrund. In einem Interview mit Dominik Prantl sagte Malfatti einmal, dass er sich Berge ohne Romantik und Gefühle nicht vorstellen kann: „Ich behaupte sogar, dass selbst Extrembergsteiger mit einer gewissen Romantik als Ausgangssituation in die Berge gegangen sind und erst dort zu extremen Leistungen angespornt wurden.“ (SZ, 28.5.2015)

In der Romantik waren die Künstler auf der Suche nach einer Begegnung mit dem Erhabenen. Sie verbrachten viel Zeit damit, „ihren Gefühlen des Erschauderns und der Ehrfurcht beim Anblick der schneebedeckten Berggipfel und des lichtdurchdrungenen Sees nachzuhängen, den Mary Shelley als so ‚blau, wie der Himmel, der sich in ihm spiegelt‘ beschrieb“, heißt es in seinem Buch.

Bergsteigen als Lebens- und Führungsschule

Wo immer unser Blick heute hin schweift: Überall finden sich romantische Spuren und Sehnsüchte. Sie finden sich auch im persönlichsten Buch des Managementvordenkers Fredmund Malik: „Wenn Grenzen keine sind. Management und Bergsteigen“. Es ist ein Kunstwerk, an dem maßgeblich Reinhard Gassner und Andrea Redolfi beteiligt waren, die das Design des Buches schufen, das von der Typografie bis zur Umschlaggestaltung besticht. „Verklärt“ wird das Umschlagfoto durch den Stoffüberzug. Der rote Faden des Buches zeigt sich in der durchgehenden Symbolik des Seils, das sich ebenfalls als rot-schwarzes Muster auf dem Buchrücken findet – passend zum Eingangszitat von Malik: „Der Schlüssel zu den außergewöhnlichen Leistungen wirksamer Menschen liegt in der Art ihres Handelns. Nicht wer diese Leute sind, ist entscheidend, sondern das Tun. Durch ihr Handeln zieht sich ein roter Faden, ein Muster.“

Das Bergsteigen ist für Malik eine gute Lebens- und Führungsschule. Aktuelle Herausforderungen können seiner Ansicht nach heute mit alten Managementsystemen nicht mehr bewältigt werden - auch mit alten Eispickeln lassen sich gefrorene Wasserfälle nicht mehr erklettern: „Überall brauchen wir Innovationen, neue Denkweisen und neue Lösungen. Ganz besonders gilt das für das wirksame Management für Organisationen und auch für die Menschen.“ Bergerfahrungen sind für ihn mit der Einsicht verbunden, dass sich die Natur nicht nach menschlichen Vorstellungen und Plänen richtet. Erfolg zu erklimmen hat für ihn nichts mit einem Plan zu tun, sondern mit eigenen Vorbereitungen auf das, was möglicherweise eintritt.

Der Begriff Romantik kommt im Vokabular von Fredmund Malik nicht vor und ist auch kein inhaltlicher Bestandteil seines Buches, in dem es vor allem um die Ergebnisorientierung der Alpinisten geht, um das Erreichen von Zielen als Erfolgskriterien. Damit verbunden sind für ihn Leistung, Emotion, Erfahrung, Erlebnis. Auch im Management kommt es nach Malik nur auf Resultate an. Dennoch haftet dem Buch etwas Romantisches an, weil es Künstler „überzogen“ haben - und weil es dazu einlädt, sich mit anderen Lebens- und Managementauffassungen auseinanderzusetzen, überall das zu suchen und zusammenzufügen, was es für ein vollständiges Leben braucht, und das ohne Romantik leer wäre.

Die emotionalen und rationalen Managementzugänge unterscheiden sich an einem Punkt allerdings kaum: Wenn es um die die Einsicht geht, dass sich Erfolge nicht verstetigen lassen, und dass es (wie beim Grafen von Unheilig) darauf ankommt, den richtigen Zeitpunkt für den Abgang zu finden. „Abtreten, wenn man die Dinge noch in der Hand hat. Lieber verglühen als verglimmen.“ (Reinhard Sprenger)

Weiterführende Literatur:

Fredmund Malik: Wenn Grenzen keine sind. Management und Bergsteigen. Campus Verlag 2014.

Francesco Petrarca: Die Besteigung des Mont Ventoux. Mit farbigen Fotografien von Constantin Beyer. Frankfurt a. M. und Leipzig 1996.

Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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