Götzendämmerung in der Finanzwirtschaft: Warum Vertrauen der Anfang von allem bleibt
Das Vertrauen in alte Gewissheiten ist spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise und ihrer Blasenstory verloren gegangen.
Viele glaubten damals, am großen Wachstum teilzuhaben, doch in Wirklichkeit nahmen sie nur am „Zustrom heißer Luft“ teil. Die Finanzkrise von 2008 mit ihren verheerenden Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft war zugleich auch eine Bewusstseinskrise, in der Menschen an ihre Grenzen gestoßen sind. Es war die Zeit der „Götzendämmerung“, in der die Geldreligion ihre Kinder fraß, wie es die Managementberaterin Gertrud Höhler in ihrem gleichnamigen Buch 2010 treffend zum Ausdruck brachte und die Finanzkrise als eine Systemkrise analysierte, die uns auch unsere persönlichen Grenzen führte: „Das System, dem die reichen Länder ihren Erfolg verdanken, die Geldvermehrung ohne Güterdeckung, ist uns ja nicht von Aliens verkauft worden, sondern es ist unsere Kreatur.“
Vorteile, Privilegien und materielle Boni waren damals wichtiger als ernsthaftes „Nachdenken über die heranrollende Zukunft“, das von großem Vorteil gewesen wäre. Die Börsenkurse haben sich inzwischen erholt, und auch die Banken erwirtschaften wieder Milliardengewinne. Dennoch werden trotz dieser Entwicklung die kritischen Stimmen immer lauter: Welche Vorsorgemaßnahmen zur Vermeidung weiterer Krisen wurden ergriffen? Inwiefern können die Marktteilnehmer fachliche Kompetenz im Bereich Nachhaltigkeit vorweisen? Der Finanzsektor ist vom steigenden Nachhaltigkeitsbewusstsein direkt betroffen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Die Schwierigkeiten des globalen Finanzmarktes, die 2007 begannen und das Bankengeschäft der Zukunft maßgeblich veränderten, wirken sich seither auf eine Vielzahl von Unternehmen aus und schaffen eine wesentliche Anzahl von Bilanzierungs- und Berichterstattungserfordernissen. Zudem müssen sie flexibel auf Marktveränderungen reagieren, die ihre Finanzierungssituation, die operative Entwicklung, Cashflows, aber auch ihre Unternehmensentwicklung nachteilig beeinflussen können.
Außerdem kommen folgende Aspekte hinzu:
• steigende regulative gesellschaftliche Anforderungen
• Vorgaben von Ratingagenturen
• steigende Stakeholderansprüche
• die Erkenntnis, dass herkömmliche betriebswirtschaftliche Instrumente für einen dauerhaften Unternehmenserfolg nicht mehr ausreichen.
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, sich systematisch gegen Nachhaltigkeitsrisiken abzusichern. Damit verbunden ist eine Zunahme an Planungs- und Investitionssicherheit und eine bessere Performance an den Kapitalmärkten.
Die Philosophie hat in Zeiten der Unsicherheit immer eine besonders „tragende“ Rolle in der Gesellschaft gespielt.
Das zeigt sich auch daran, dass sich weitsichtige Unternehmens- und Managementberater/innen immer wieder auf das ethische Alltagsgepäck besinnen, das zwar äußerlich nicht schwer ist, aber dafür inneres Gewicht hat. So verweist auch Gertrud Höhler auf die Klugheit, die Thomas von Aquin die „Mutter aller Tugenden“ genannt wurde und den täglichen Dreischritt lehrt: abwägen, urteilen, entscheiden. Ihre Begleiter sind Gerechtigkeit, Mut und Maß. Damit hängt ein entscheidendes Kriterium für nachhaltigen Markterfolg zusammen – nämlich das, was Menschen mitbringen, um ihn verantwortlich zu gestalten: Überzeugungen und Wertvorstellungen. Hätte es ein solches inneres Gerüst vor der Finanzkrise gegeben, wäre die kollektive Gier als narzisstische Antreiber nicht in dem Maße verbreitet gewesen.
Die wichtigste Aufgabe einer Gesellschaft besteht für den Psychologen und Autor Hans-Joachim Maatz darin, die Gefahr narzisstischer Beschädigungen zu verringern und gute Möglichkeiten zur Regulation zu schaffen. Allerdings reichen Macht und Geld nicht aus, um Menschen in Organisationen und Unternehmen ins Handeln und die Verantwortung zu führen. Es ist vielfach erwiesen, dass bei Aufgaben, die kognitive Fähigkeiten verlangen, niedrige bis moderate leistungsbezogene Anreize durchaus hilfreich sein können. Doch hohe Boni lenken Menschen durch Gedanken an das Entgelt von seiner Aufgabe ab. Dadurch kann Stress entstehen und das Leistungsniveau erheblich sinken. Die Schlüsselvariable erfolgreicher Unternehmensführung ist für Maatz Vertrauen – einer der wichtigsten Begriffe auf den Finanzmärkten, der auch die Analysten beschäftigt, wie Nils Heisterhagen 2014 in der WirtschaftsWoche bemerkte. Nur eine nachhaltige Unternehmensführung schafft Vertrauen.
Unter dem Titel „Nachhaltigkeit und Banken – ein Widerspruch?“ verwies auch der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) bereits 2014 in seinem Newsletter auf die Forderung der Vorsitzenden des RNE, Marlehn Thieme, dass Banken, Aktionäre und Kunde klare Belege dafür geben sollen, was ihr Beitrag zu einem nachhaltig funktionierenden Finanzmarkt ist. Auch politisch bestehe weiter Handlungsbedarf, damit sich eine Finanzkrise wie 2008 nicht wiederhole. In ihren Reden vor dem Bundesverband Deutscher Banken und dem Bankenverband Bremen sagte sie: „Wir halten Wirtschaft und Finanzmarkt für wichtig zur Ausgestaltung nachhaltiger Entwicklung. Sie sollten Kapital aufbauen statt Kredit zu verspielen.“ Banken müssten für sich klären, wie systemrelevant ihre Geschäftsmodelle der Zukunft sein sollen. Sie sollten Vorreiter für mehr konkrete und vergleichbare Messdaten zur Nachhaltigkeitsleistung werden. Der „ehrbare Kaufmann“ habe im 19. Jahrhundert mit standardisierter Rechnungslegung Transparenz geschaffen und damit Vertrauen erworben. Heute gehe die Anforderung zur Risikobewertung darüber hinaus. Thieme sieht weiteren Regelungsbedarf angesichts intransparenter Hedgefonds und damit unmöglicher Risikoanalysen. Mit freiwilligen Berichten könnten Banken jedoch schon heute einen eigenen Beitrag zur Transparenz zu leisten – bevor staatliche Regulierung einem „grauen Markt“ Grenzen setze. http://www.nachhaltigkeitsrat.de/index.php?id=8567
Das Center for Social and Sustainable Products (CSSP) ist ein unabhängiges Beratungs- und Forschungsunternehmen mit Fokus auf Umwelt, Sozial und Governance (ESG) Kennzahlen. Das CSSP untersucht bereits seit 2014 die ESG Qualität von Fonds in Österreich, Deutschland und der Schweiz. 2019 wurden 2.700 Fonds und ETFs auf deren ESG Kennzahlen untersucht. Die Studie zeigt, dass Aktien mit einem Fokus auf Europa eine deutlich höhere ESG Qualität haben, als globale Ausrichtungen oder Schwellenländer. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist eine geringe Verbesserung erkennbar. Dieser Trend der leichten Verbesserung wurde auch bei einer Untersuchung von Stiftungsfonds in Deutschland beschrieben.
Ein anderer Trend wird beim Thema der UN Global Compact Konformität gesehen. Während im Jahr 2018 noch deutlich mehr Fonds und ETFs mit den UNGC konform waren, sank der Anteil in diesem Jahr in nahezu allen Regionen. Investmentfonds konnten lediglich in Europa ihren Wert von 23% behalten. Bei den ETFs hingegen hat sich der Wert an kompatiblen Fonds mit Ausrichtung Europa von 16% auf 8% halbiert. Bei den Schwellenländern konnte eine geringe Verbesserung erzielt werden.
In einer weiteren Teiluntersuchung wurde der Portfolioanteil mit nachhaltiger Wirkung untersucht. Hier zeigte sich vor allem, dass ETFs tendenziell besser abschneiden als klassische Investmentfonds. Generell hat es in diesem Bereich deutliche Verschiebungen gegeben. So konnten sich vor allem Investmentfonds im Vergleich zum Vorjahr verbessern. Bei den ETFs zeigt sich kein klares Bild. Während sich ETFs bei den Aktien Global deutlich steigern konnten, haben dieselben im Bereich der Schwellenländer klar nachgelassen.
Für den „nachhaltigen Kunden“ geht es nicht nur um Zinssatz, Verfügbarkeit und Sicherheit – entscheidend ist, wie sinnvoll das Geld in der Bank verwendet wird.
Seit Jahren erleben alternative Banken einen enormen Aufschwung. Sie heißen Umweltbank, Triodos Ethikbank oder GLS und richten ihre Finanzgeschäfte an ökologischen, ethischen und sozialen Kriterien aus. Lange galten sie als Nischenbanken und Weltverbesserer, die nicht rechnen können. Doch seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise sind sie gefragt wie nie zuvor. Immer mehr Menschen erkannten, dass es einen Unterschied macht, wo sie ihr Geld anlegen. Die GLS-Bank konnte in der Vergangenheit zeigen, dass sich Nachhaltigkeit in das Geschäftsmodell einer Bank integrieren lässt. Betrachtet man die Finanzkrise der letzten Jahre, war die ökonomische Komponente der Nachhaltigkeitsmatrix nicht mehr gegeben. Dazu sei auch auf das Psychogramm von Hans-Joachim Maaz verwiesen, der kritisiert, dass Staats-, Wirtschafts- und Finanzpolitik dazu verführen, ja regelrecht dazu nötigen, Schulden zu machen, „damit Besitz geschaffen, Investitionen getätigt und materielles Wachstum gesichert werden.“ So wurde ihm selbst nach der Wende geraten, Schulden zu machen, um beispielsweise eine Wohnung zu kaufen und damit Steuern zu sparen: „Aber die gesparten Steuern müsse ich doch als Zinsen an das Kreditinstitut zurückzahlen, lauteten meine kritischen Bedenken; unter dieser Vorgabe würde ich lieber Steuern für das Gemeinwohl als Zinsen für Bankenreichtum zahlen.“
Die Frage ist entscheidend, was Nachhaltigkeit im Finanzsektor bedeutet, was das konkrete Ziel ist und ob Nachhaltigkeitsaspekte in die Entscheidungswege von Banken mitintegriert sind. So sollten in Beratungsgesprächen auch auf die Auswirkungen der Geldanlagen auf die Umwelt oder die Gesellschaft eingegangen werden. Um mehr Nachhaltigkeit im Finanzsektor zu schaffen, braucht es Transparenz und Innovation in der Regulation von Finanzgeschäften.
Diese fünf Hebel können zu einer positiven Veränderung der Finanzbranche führen:
• ein neues nachhaltiges Führungsdenken
• freiwillige Selbstregulierung
• gezielte Regulierungen, die die richtige Balance mit selbstverpflichtenden Maßnahmen finden
• verbesserte und präzisere Berichtsstandards
• eine bessere und intensivere Überwachung durch unabhängige Aufsichtsgremien.
Weiterführende Informationen:
Gertrud Höhler: Götzendämmerung. Die Geldreligion frisst ihre Kinder. Wilhelm Heyne Verlag München 2010.
Hans-Joachim Maaz: Die narzisstische Gesellschaft. Ein Psychogramm. Verlag C.H. Beck oHG, München 2012.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.