Greift der Management-Hype Agilität zu kurz?
Kürzlich stempelte Andreas Seitz in seinem Beitrag Stoppt den Agilitätswahn auf der Website des Manager Magazins die agile Bewegung zum Buzzword ab. Damit stellt er die einzigartige Chance, die die deutsche Wirtschaft hat, ins Aus und verkennt einen entscheidenden Marktmechanismus: Viele gute Ideen benötigen erst den Hype, um die breite Masse der Unternehmen zu erreichen.
Dass es sich bei Agilität nicht um einen kurzfristigen, total überschätzen Hype handelt, zeigt die Entwicklung von einer bloßen Methode, über ein Prozessmodell, hin zu einer sozialen Innovation. Agile Pioniere wie Ikujirō Nonaka, Takeuchi, John Kotter, Peter Drucker, Virgina Satirs, Niklas Luhmann, Ulrich Beck, Richard Sprenger und Clayton Christensens haben ihren Beitrag dazu geleistet. Auf Basis dieser Erkenntnisse fingen Unternehmensberater – darunter auch ich – vor 15 Jahren an, Unternehmen in ihrem agilen Prozess zu begleiten und ein neues Mindset zu „lehren“. Raus aus den veralteten, hierarchischen Strukturen, rein in dynamische Projekte – neue Antworten auf die alten Führungsfragen.
Mit Scrum, eXtreme Programming, später dann Design Thinking und vielen Ideen aus dem Lean Management, schafften wir es wertschätzende Arbeitsbedingungen zu etablieren. Wir emanzipierten die Mitarbeiter vom Management und ließen sie selbst Entscheidungen treffen. Wir machten Prozesse wieder wirksam und kreierten zufriedenstellende, motivierende Arbeitsverhältnisse, die zuvor mehr einer langen Zugfahrt glichen – immer zwischen den beiden Stationen Langeweile und Stress.
Heute ist agiles Management weit mehr als eine Methode, oder ein Prozessmodell. Heute sind Scrum, Kanban und neue Produktentwicklungsmethoden wie Design Thinking als soziale Innovation zu verstehen – nicht als Prozessmodelle. Eine Revolution der Arbeitswelt, die es erlaubt sich als Mitarbeiter in Unternehmen wirksam zu fühlen und wertgeschätzt zu werden.
Diesen Text schreibe ich, da es schon wieder passiert – statt mitzumachen, die Erfolge dieser Bemühungen zu erkennen und zu sehen, dass sich in der deutschen Wirtschaft gerade zum ersten Mal seit dem Wirtschaftswunder der fünfziger Jahre etwas wirklich Neues anbahnt, wird gegen diese Bewegung angeschrieben.
Die Erkenntnis lässt unberücksichtigt, dass da etwas passiert, dass offenbar ein gigantisches Businesspotential hat. Dass ein Management-Urgestein wie Dieter Zetsche plötzlich von der Schwarmorganisation (eine Folge der agilen Bewegung) spricht und tatsächlich eine Wende in der eigenen gigantischen Organisation einleitet, lässt aufhorchen. Die Managementberatungszunft soll und kann das nicht ignorieren.
Statt also eine Bewegung die mit der Wirkung der 68er auf die Politik zu vergleichen ist, nach bestem Wissen und Gewissen zu unterstützen, wird sie aus offensichtlichem Eigeninteressen diffamiert. Sicher, ob alles was derzeit „New Work“ oder „Das Neue Arbeiten“ oder „Arbeit 4.0“ genannt wird, den hohen Ansprüchen einiger puristischer Agilisten entspricht – oder sich gar agil nennen sollte – ist fraglich.
Doch warum nicht gemeinsam an den Idealen arbeiten? Warum nicht gemeinsam die Grundideen von Wertschätzung und Potentialentfaltung von Bodo Janssen und Gerald Hüter zur Wirkung bringen?
Dabei ist der erhobene Vorwurf, die Führungskräfte müssten bei sich selbst anfangen ja richtig. Unter dem Motto „agil werden sollen die anderen“ kann eine Umstrukturierung durch das Management nicht funktionieren. Wir bräuchten keine Berater, würden die Führungskräfte wissen, wie es geht und könnten sie dieses Wissen auch selbst anwenden. Doch machen wir uns nichts vor – es gibt zu wenige Führungskräfte, die sich dieses Wissen selbst erarbeiten können, und noch weniger Vorgesetzte, die es dann auch konsequent umsetzen. Für all diese Führungskräfte brauchen wir den Hype – damit sie zulassen, dass Berater eingestellt werden, die das neue Verhalten beibringen und es zusammen mit den Chefs und Angestellten systematisch trainieren.
Wer das verstanden hat, der wünscht dieser neuen Bewegung – ob wir sie agiles Management, Arbeit 4.0 oder „Das Neue Arbeiten“ nennen – viel Erfolg.