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Gut gepolstert: Wie sich die Gesellschaft auf das dicke Ende einrichtet

„Ruhe, Stille, Sofa und eine Tasse Tee geht über alles.“ Theodor Fontane

Die neuen Weichmacher

Auf internationalen Einrichtungsmessen präsentieren Aussteller ihre „gepolsterten“ Beiträge aus der Möbel- und Einrichtungsbranche: Wolkenmeere aus Stoffen und Drapeterien, aber auch ausladende watteweiche Sitzlandschaften. Die gepolsterten Errungenschaften stammen bereits aus dem 16. Jahrhundert, zuvor gab es Felle und Stroh. Die Polstergarnitur ist eine Erfindung aus dem 18. Jahrhundert, bestehend aus einem Sofa und zwei Armlehnstühlen. Auch sie erlebt gerade eine Renaissance. Als sich Karl Lagerfeld vor vielen Jahren „entbarockt“ hat und immer schlanker wurde, rüstete Wolfgang Joop auf und suchte seine Häute wieder. Das Aufpolstern war für ihn ein Versuch zu leben, ohne sich in der zerfallenden Welt zu verlieren. In seiner Potsdamer Villa fanden sich damals schon viel Troddeln und Plüsch, Gold und Silber. Seiner Diesseitsfreude entsprachen auch die im Barock beliebten halb bekleideten, hymnisch entzückten Engel, die sich heute auf vielen Polstern, Kissen und kuscheligen Wohndecken wiederfinden.

Anbieter von nachhaltigen Heim- und Wohntextilien werben heute verstärkt mit der „Gemütlichkeit in den eigenen vier Wänden“: „Eine Decke, die über das Sofa drapiert wird, kann ein dekorativer Blickfang sein – am Abend, beim Lesen eines guten Buchs oder beim Fernsehvergnügen, ist sie ideal, um sich einzukuscheln.“ (Quelle: memolife) Wird die äußere Welt als besonders unsicher und kalt empfunden, wächst die Sehnsucht nach dem Rückzug ins Private. Das bestätigt auch die Nachhaltigkeitsexpertin Claudia Silber: „Nicht nur in der kalten Jahreszeit, sondern auch in besonders instabilen Zeiten ziehen wir uns gern zu Hause zurück. Heimkommen fühlt sich dann oft wie eine Umarmung an. Und wir sorgen gerade dann für ein angenehmes Umfeld, z.B. mit kuscheligen Wohnaccessoires und warm leuchtenden Kerzen, die unser Zuhause so richtig ‚hyggelig‘ machen und uns ein Gefühl von Wärme, Geborgenheit und Sicherheit geben.“ Sie sehnt sich nach solchen Momenten vor allem dann, wenn die Tage dunkel oder die täglichen Nachrichten aus aller Welt wieder einmal besonders bedrückend sind.

Das Sofa der Zukunft soll an eine warme Steppdecke erinnern und uns „in der rauen Welt Schutz bieten“, sagte die Niederländerin und bekannteste Trendforscherin der Welt, „Li“ Edelkoort vor einigen Jahren dem Magazin Focus. Die Sehnsucht nach einem gepolsterten Leben zeigt sich auch im gegenwärtigen Matratzenboom. Davon abgeleitet sind Kissen, Polsterstühle oder Sofas. Hier lassen wir uns umso tiefer fallen, wenn uns die Welt draußen buchstäblich nicht mehr hält. Wie kaum ein anderes Möbelstück erleben wir hier unsere Eingesunkenheit zwischen Träumen und Wachen.

Die bekannteste Couch der Welt

Die berühmteste Couch, die zur Metapher der Psychoanalyse wurde, ist die von Sigmund Freud. 2006 wurde ihr zum 150. Geburtstag des Psychoanalytikers sogar eine Ausstellung gewidmet. Die Couch hatte Freud vermutlich als Geschenk anlässlich des Umzugs in die Berggasse 19 in Wien von Josephine Benvenisti, einer dankbaren Patientin, geschenkt bekommen. Marie Bonaparte, Schülerin und Freundin Freuds, die auch maßgeblich an der Organisierung der Ausreise Freuds und seiner Familie beteiligt war, nennt (wie Freud selbst) das Möbel nicht „Couch“, sondern „Diwan“. Er beschreibt ihn als Arbeitsplatz und empfiehlt den Kollegen, „sich während der psychoanalytischen Behandlung den Chirurgen zum Vorbild zu nehmen, der alle seine Affekte und selbst sein menschliches Mitleid beiseite drängt und seinen geistigen Kräften ein einziges Ziel setzt: die Operation so kunstgerecht zu vollziehen wie möglich“.

Der Arzt sitzt am Kopfende der Couch, der für den Patienten nicht nur unsichtbar ist, sondern „opak“. Lothar Müller, Literaturredakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung und Honorarprofessor für Neuere Deutsche Literatur an der Humboldt Universität zu Berlin, verweist darauf, dass Freud den Diwan in etwas verwandelt, das es zuvor nicht gab: „in ein Instrument zur Beobachtung und Darstellung des psychischen Apparates, das außer dem Arzt und seiner Patienten keiner weiteren Apparaturen bedarf, um seine Aufgabe zu erfüllen.“ Freud behandelte an sechs Tagen in der Woche jeweils bis zu zehn Stunden. Vom Sofa, sagen Experten, gehe eine so große Faszination aus, weil es „schweige“. Die Psychoanalyse „verträgt keine Zuhörer“ (Freud). Inzwischen hat die Couch, obwohl sie auch heute noch zum Mobiliar einiger psychiatrischer Praxen gehört, an Bedeutung verloren. Die meisten Sitzungen finden in „normalen“ Sesseln statt.

Möblierung der Gesellschaft

Im Stuttgarter Haus der Geschichte kann jeder auf Loriots (Vicco von Bülows) berühmtem roten Sofa, das aus einem Stuttgarter Bürgerhaushalt stammt, Platz nehmen. Hier schrieb er deutsche Humorgeschichte, nahm Ende der sechziger Jahre für seine Sendung „Cartoon“ auf ihm Platz und moderierte mit aristokratisch-steifer Haltung von hier aus die Ansagen zu seiner Satiresendung. Auch die Signalfarbe rot findet sich häufig in Büros. Die Aufräum- und Einrichtungsexpertin Edith Storck ist spartanisch eingerichtet, mit quadratischem Tisch mit einer Schublade „für den Krimskrams und Stifte“, ein bis drei Besucherstühle aus verschiedenen Epochen der Bürowelt, ein ergonomisch gut gemachter Bürostuhl, eine fahrbare PC-Konsole, um den Arbeitstisch zu „befreien“, ein Regal von Boden bis zur Decke für Ordner sowie Bücher und andere Sammlungen: „An der freien Wand steht ein Blaues Sofa zweisitzig und auf einem Beistelltisch eine italienische Kaffeemaschine.“ Auch beim Bayerischen Rundfunk gibt es die Radiosendung „Die Blaue Couch“. Die Blaue Couch ist aus blauem Leder, auf den Polstern ist das Bayern 1-Logo. Sie steht in der Bayern 1-Redaktion, direkt vor dem Sendestudio. All diese Beispiele zeigen, dass jedes Zeitalter eigene Formen, Formate und Farben hervorbringt. Unsre Aufgabe ist es, die uns umgebende neue Welt mit unsren heutigen Mitteln und Möglichkeiten neu zu gestalten.

In Kunst und Literatur tauchen textile Architekturen wie Kissen und Polster immer wieder in verschiedenen Weiblichkeitsfantasien oder Phantasmen zum (weiblichen) Körper auf. Im Sammelband „Matratze/Matrize. Möblierung von Subjekt und Gesellschaft“ von Irene Nierhaus und Kathrin Heinz finden sich dazu etliche Beispiele. Als „weibliches Design“ gelten rund geformte Sofas. Freud und andere Psychologen entdeckten, dass etwas mit Frauen und Männern geschieht, wenn sie sich auf eine Couch sinken lassen: Sie verwandelt sich in ein Schiff, „das in die Welt hinaussegelt“. Zudem vermittelt sie Behaglichkeit und fungiert gleichzeitig als Durchlass zur Welt und weitschweifigen Gedanken. Beim Kauf persönlicher Liegewelten wird aber zunehmend nicht nur auf eine gute Polsterung, sondern auch auf folgende Aspekte geachtet:

• die Verbindung von Emotion und Individualität

• Handwerk, Funktionalität und ökologische Verträglichkeit

• beste und faire Qualität der Textilien

• natürliche Farben.

Da Wohntextilien direkten Hautkontakt haben, möchten immer mehr Menschen sichergehen, dass sie frei von Schadstoffen sind. Das bestätigt auch Claudia Silber, die auf GOTS-zertifizierte oder mit Fairtrade Cotton ausgezeichnete Textilien verweist, die faire und soziale Handels- und Arbeitsbedingungen in der Produktion versprechen. Gemütlichkeit und Nachhaltigkeit müssen sich nicht ausschließen.

Zukunft ohne Polster

Wie wird unsere Zukunft aussehen? Der computeranimierte Kino- Film „WALL·E – Der Letzte räumt die Erde auf“ (2008) von Disney zeigt, dass die Erde durch Umweltverschmutzung aufgrund des gestiegenen Massenkonsums und der Vermüllung unbewohnbar geworden ist. Die Menschen haben sie deshalb in mehreren Raumschiffen verlassen. Die Passagiere des gut gepolsterten und superweichen Raumschiffs Axiom haben sich nach 700 Jahren Automatisierung zu fettleibigen Lebewesen entwickelt, die nicht mehr laufen müssen und den Airbags immer ähnlicher werden. Doch irgendwann beginnen sie mit dem Wiederaufbau und der Rekolonialisierung der Erde. Am Ende erheben sie sich aus ihren bequemen Sitzmöbeln und erfahren das Glück der Bewegung, während die Erde wieder zu einem Garten wird. Das macht Hoffnung.

Weiterführende Literatur:

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Circular Thinking 21.0: Wie wir die Welt wieder rund machen von Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2016.

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben von Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2016.

Jörg-Dieter Kogel: Im Land der Träume. Mit Sigmund Freud in Italien. Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2019

Lothar Müller: Freuds Dinge. Der Diwan, die Apollokerzen und die Seele im technischen Zeitalter. Die Andere Bibliothek, Berlin 2019.

Irene Nierhaus / Kathrin Heinz (Hg.): Matratze/Matrize. Möblierung von Subjekt und Gesellschaft. Konzepte in Kunst und Architektur. transcript Verlag, Bielefeld 2016.

Meik Wiking: Hygge. Ein Lebensgefühl, das einfach glücklich macht. Bastei Lübbe, Köln 2016.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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