Gute Dinge des Alltags machen gute Dinge mit uns – und schlechte Dinge schlechte
Viele Güter und Dienstleistungen, die heute als Fortschritt verkauft werden, sind häufig teurer und schlechter in der Qualität, schreibt der Autor Gabriel Yoran in seinem Buch „Die Verkrempelung der Welt“. Sie ist für ihn ein spätes Signal, „unsere Bedürfnisse zu hinterfragen – und die Art und Weise, wie sie zustande kommen.“
Dauerhaft gute Produkte dürften seiner Ansicht nach in unserer Wirtschaftsordnung „eigentlich nicht existieren". Viele werden bewusst so konstruiert, dass ihre Lebensdauer auf einen kurzen Erstnutzerzyklus reduziert ist. So werden Zahnräder aus Plastik hergestellt, sind aber für die vorgesehene mechanische Belastung gar nicht ausgelegt. Damit verbunden ist der Begriff „geplante Obsoleszenz“. Erstmals in der Literatur verwendet wurde er 1932 vom Immobilienentwickler Bernard London in einem Essay. Er machte sich Gedanken darüber, wie die Wirtschaftsdepression in den USA eingedämmt werden könnte. Die Arbeitslosen erneuerten damals ihre Kleidung nicht mehr, sondern trugen sie länger. Damit verbunden war ein sinkender Umsatz in Warenhäusern und Bekleidungsfabriken. Schließlich wurden Produkte absichtlich mit Sollbruchstellen konstruiert, was zur Folge hatte, dass ihre Lebensdauer auf einen kurzen Erstnutzerzyklus reduziert war. Zu den Gründen gehören nicht nur Gier bei Hersteller und Handel, sondern auch strenge Zielvorgaben, die mit unzureichender Organisation einhergehen (z.B. fehlende Abstimmungsprozesse, fehlende Feedbackmöglichkeit, zufällige Wareneingangskontrollen bei Kleinstbauteilen). Auch das impulsgeleitete Online-Shopping gehört dazu: „So viel Schrott, wie wir online kaufen, würden wir im stationären Handel niemals anschaffen."
Überflüssige Käufe machen uns abhängig, aber nicht glücklich.
Der Psychoanalytiker Wolfang Schmidbauer, einer der ersten Kritiker der Konsumgesellschaft aus ökologisch-psychologischer Sicht, spricht von „klugen“ und „dummen“ Dingen, wobei sich letztlich ausgerechnet jene Dinge als „dumm“ erweisen, in die sehr viel Intelligenz investiert wurde, dass sie die Benutzer aufgrund ihrer Unzugänglichkeit „verdummen“ lassen. Yoran spricht in diesem Zusammenhang von „Verkrempelung“: So hatte er sich online einen neuen Duschschlauch bestellt – allerdings ohne Drehwirbel, der verhindert, dass der Schlauch sich beim händischen Abbrausen verdreht. Die Premium-Version konnte nur gegen Aufpreis erworben werden. Als er auf das Kochfeld des neuen Herds blickte. Ergab das keinen Sinn: „Was bedeuten die Zahlen? Wo soll ich drücken?“ Statt mit Knebeln, den klassischen Drehstellern an der Front von Küchen- und anderen Geräten, wird die Temperatur am neuen Herd über ein Touchfeld eingestellt, das erst nach einigen Anläufen reagiert, „unmittelbar neben den heißen Töpfen platziert ist und sich bei Kontakt mit selbigen (oder Wasser) piepsend abschaltet. Zudem ist es mit einer völlig rätselhaften Zeichenfolge beschriftet.“ Gabriel Yoran ist Mitgründer mehrerer Unternehmen und Autor diverser Sachbücher, zudem schreibt er für den Merkur, Zeit Online, Krautreporter und die taz. Mit achtzehn gründete er sein erstes Unternehmen.
Die betriebliche Praxis spielt deshalb eine wichtige Rolle im Buch.
Es lädt gleichzeitig dazu ein, auch auf andere Unternehmen zu sehen – gute Beispiele finden sich vielerorts auch im Kleinen: So beteiligten sich die Auszubildenden des Druckluft- und Pneumatikspezialisten beteiligten sich im Sommer 2018 an der Handy-Aktion Baden-Württemberg, einer Mitmach-Aktion verschiedener Organisationen aus Baden-Württemberg. Alle Mitarbeitenden des Unternehmens waren dazu aufgerufen, Handys, die nicht mehr gebraucht werden, zu spenden. Insgesamt 43 Handys kamen so zusammen. Diese werden je nach Zustand vom Kooperationspartner der Handy-Aktion, der Deutschen Telekom, entweder einem umweltgerechten Recycling zugeführt oder aufbereitet und weiterverkauft. Für jedes gesammelte Handy wurde ein fester Betrag für nachhaltige Bildungs- und Gesundheitsprojekte gespendet. Durch umweltgerechtes Recycling konnte aus den bei Mader gesammelten Handys rund 387 Gramm Kupfer, 6,45 Gramm Silber und 1,075 Gramm Gold zurückgewonnen werden.
Die Auszubildenden haben die Aktion selbst organisier und konnten dadurch auch viel über die Produktionskette und den Ressourcenverbrauch von Handys erfahren. Die Aktion sollte vor allem aufklären und Bewusstsein schaffen für die Wertschöpfungs- und Nutzungskette von Handys. Dazu gehört der Ressourcenverbrauch ebenso wie die Gewinnung von so genannten „Konfliktrohstoffen“, die teilweise prekären Arbeitsbedingungen in den Fertigungen, die oftmals sehr kurze Nutzungsdauer von Handys und die illegale Entsorgung von europäischem Elektroschrott in Afrika. Das Unternehmen sucht kontinuierlich neue Wege und Ideen zur ökologischen Optimierung der Verbrauchsprodukte. Auch wird bereits in der Produktentwicklung darauf geachtet, dass Verschleißteile austauschbar und mögliche Defekte einfach reparierbar sind. Denn je länger ein Produkt im Einsatz bleibt, desto besser wird die Ökobilanz.
Kommunikationskrempel
Ein Teil des Buches widmet sich auch dem Umgang mit Reizüberflutung, Aufmerksamkeitsökonomie, Lügen und Fehlinformationen. Viele Werbebotschaften sind fragwürdig, unverständlich, tendenziös, irreführend und unnötig. „Die englische Sprache kennt den schönen Ausdruck ‚to muddy the waters‘ (das Wasser trüben) für die Strategie, eine einfache Sache schwieriger erscheinen zu lassen, als sie ist“, so Yoran. Auch ist der Vermerk „hohe Qualität“ ist eine schlichte Werbebotschaft bzw. Behauptung. „Nach bewährter Tradition“ täuscht eine nicht nachvollziehbare Werteorientierung vor. Ortsbezeichnungen wie „Hof“, „Schloss“ oder „Gut“ suggerieren eine bäuerliche Produktionsweise, obwohl es sich um industriell hergestellte Waren handelt. Auch ist bei Zertifikaten, die mit dem Wort „ohne“ beginnen, Vorsicht geboten, denn das bedeutet nur, dass etwas nicht enthalten ist (dafür aber wahrscheinlich etwas anderes). Zudem ist es keine „Auszeichnung“, mit der Kontrolle seiner Waren zu werben, denn das ist eine Selbstverständlichkeit. Am Ende „bleibt vor allem ein Grundmisstrauen in die Welt. Es ist. Als wäre ständig Enkeltrick, und wir alle sind die Großeltern.“
Gute Produkte bzw. „kluge Dinge“ müssen erkennbar sein und Krempel zurückzuweisen.
Sie zeigen uns etwas von ihrer Machart, sind langlebig, nachhaltig und sind Symbole menschlicher Selbstbestimmtheit. In diesem Kontext widmet er sich der Kulturgeschichte des Designs von Werkbund (Qualität bedeutete damals funktional, langlebig, praktisch). Frankfurter Küche über DDR-Klassiker bis zum Ikea-Stil. Der nostalgischen Ansicht "Früher war alles besser" wird allerdings eine Absage erteilt. Schon Wolfgang Schmidbauer schrieb vor einigen Jahren über das Unternehmen Manufactum: Die hier vertretene Haltung zu den Dingen, „die Abneigung gegen Ex und Hopp, das Interesse für Materialien und Reparaturfreudigkeit sprachen mir von Anfang an aus dem Herzen. Je dünner die Kataloge waren, desto lieber las ich sie und habe manches aus ihnen gelernt.“ Inzwischen empfindet er das Unternehmen „zu sehr von Elitedenken, Gewinnstreben und einem wachsenden Geltungsbedürfnis durchtränkt.“ Allerdings ist das noch harmlos im Vergleich mit „hohlen Versprechungen und schundigen Produkten“ anderer Unternehmen, die den Konsumenten das Geld aus der Tasche ziehen. Schundartikler sind für ihn nicht wert, mit namentlich genannt zu werden. So lobenswert Manufactum im Einzelfall sein mag, so wirkungslos ist der Ansatz in der Breite, bestätigt auch Yoran. Das Faible für das handwerklich gefertigte Luxusprodukt darf nicht den Blick auf gute, industriell gefertigte Waren verstellen, die sich jeder leisten kann.
Wie die Dinge besser werden
Es braucht heute beispielsweise Produktinformationen, die nicht den Geist vernebeln, sondern dazu führen, dass Kaufentscheidungen mit einem klaren Kopf getroffen werden. „Mit der Berücksichtigung der Produktverantwortung in Ökobilanzen und einer Förderung von Gemeinwohlökonomie mit Gemeinwohlbilanzen wird das unternehmerische Engagement für die werdende Kreislaufgesellschaft messbar und vergleichbar.“ Statt einer Wegwerfgesellschaft gibt es bereits in der Kreislaufwirtschaft und -gesellschaft wichtige Wertorientierungen. Durch den Ansatz des Wiederverwertens und Reparierens von Vorhandenem wird heute der Versuch unternommen, der gesteigerten Geschwindigkeit von Produktzyklen entgegenzuwirken. Dazu braucht es:
Verfügbarkeit von Bedienungsanleitungen, um alle Funktionen ersehen zu können
Ersatzteile sollten über einen längeren Zeitraum frei verfügbar und zu einem vernünftigen Preis erhältlich sein
Gewährleistung einer langen Lebensdauer der Produkte
Produkte sollten aus Materialien hergestellt werden, die für Mensch und Umwelt ungefährlich und gesund sind sowie die Wasserversorgung und –qualität nicht beeinträchtigen
Produkte sollten problemlos für eine Reparatur geöffnet werden können
Verbrauchsmaterialen sollten selbst ersetzt werden können
alle Materialien sollten wiederverwertet werden können (Schaffung entsprechender Rückholsysteme eingeschlossen))
Montage und Herstellung der Produkte sollten mit erneuerbarer umweltfreundlicher Energie erfolgen.
Das Buch:
Gabriel Yoran: Die Verkrempelung der Welt – Zum Zustand der Dinge (des Alltags). edition suhrkamp, Berlin 2025.
Weiterführende Informationen:
Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.
Wolfgang Schmidbauer: Enzyklopädie der Dummen Dinge. Oekom Verlag München 2015.
Stefan Schridde: Murks? Nein danke! Was wir tun können, damit die Dinge besser werden. Oekom Verlag München 2014.