Henkel, Nestlé und Co.: Wie sich Milliarden-Konzerne mit kleinen Start-ups verschätzt haben
Nestlé, Henkel und Beiersdorf wollten neue Zielgruppen erschließen und steckten viele Millionen in junge Marken mit Online-Vertrieb. Nun floppen Vorhaben reihenweise.
Düsseldorf. Der Shitstorm war gewaltig: Als Großkonzern Nestlé im Frühjahr die Mehrheit an Ankerkraut übernahm, gingen die Fans des Gewürz-Newcomers auf die Barrikaden. Das Start-up war durch den Direktvertrieb seiner Premiumprodukte im Internet groß geworden.
Ankerkraut-Geschäftsführer Timo Haas war klar, dass Nestlé hierzulande ein schweres Standing hat. „Welch hohe Wellen die Beteiligung an Ankerkraut schlägt, hat uns trotzdem überrascht“, sagt er nun dem Handelsblatt. Die Zahl der Ankerkraut-Influencer ist von 500 auf 240 geschrumpft. Die bekannten Youtuber LeFloid und Sturmwaffel werben nun für die Marke Ostmann von Konkurrent Fuchs.
2022 war auch das erste Jahr der Firmengeschichte mit sinkenden Umsätzen. Dieser ging von rund 40 Millionen Euro „im kleinen zweistelligen Prozentbereich“ zurück, auch wegen der geringen Kauflust. Eigentlich waren 25 Prozent Wachstum geplant.
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Henkel, Beiersdorf und Kraft Heinz haben Millionen investiert
Wie dem Nahrungsmittelriesen ergeht es vielen Konsumgüterkonzernen wie Henkel, Beiersdorf, Cosnova oder Kraft Heinz: Die Unternehmen haben mit millionenschweren Investitionen digitale Marken aufgebaut oder zugekauft, um im Onlinegeschäft jüngere Zielgruppen zu erreichen. Doch die Vorhaben sind zuletzt gefloppt.
Während junge Start-ups mit dem Direktvertrieb von Waren über eigene Onlineshops schon seit Jahren kräftig wachsen, tun sich Konzerne mit dem D2C-Geschäft („Direct to Consumer“) schwer. Weil in der Pandemie viele Verbraucher vermehrt Lebensmittel und Kosmetik online bestellt hatten, witterten Konzerne die Chance, stärker in das Geschäft einzusteigen. Das Ziel: einen neuen Vertriebskanal abseits des Einzelhandels aufbauen, um den Preis selbst zu setzen und mehr Informationen über die Kunden zu bekommen.
Doch der Plan ist nicht aufgegangen: Weil Drogerien und Supermärkte wieder ohne Einschränkungen geöffnet haben, wächst der Onlinehandel nicht mehr so rasant. Gleichzeitig kämpfen die Firmen infolge der Inflation mit geringerer Nachfrage nach den oft teuren D2C-Produkten, aber mit steigenden Kosten für Fracht, Rohstoffe oder Energie. Zudem haben viele Konzerne unterschätzt, wie komplex das D2C-Geschäft ist.
Chehab Wahby, Berater bei der Strategieberatung EY-Parthenon, beobachtet, dass viele Konsumgüterkonzerne gerade ihre strategischen Initiativen auf Profitabilität überprüften. „Es wird alles kritisch betrachtet, was nicht absolutes Kerngeschäft ist.“ Das D2C-Geschäft würde mitunter den Sparplänen zum Opfer fallen.
Henkel verkauft D2C-Marken trotz Millioneninvestment
So auch bei Henkel. Der Persil-Hersteller hatte im Sommer 2020 für kolportierte 300 Millionen Euro die Mehrheit an der Firma Invincible Brands übernommen, zu der die schnell wachsenden Kosmetik-, Haarpflege- und Hautpflegemarken Banana Beauty, Mermaid + Me und Hellobody gehören.
Im Dezember veräußerte Henkel die Beteiligung schon wieder – deutlich unter dem Kaufbetrag, wie in der Branche zu hören ist. Henkel-Chef Carsten Knobel hatte sich von dem Investment einen „Wettbewerbsvorteil im Bereich Digitalisierung“ erhofft.
Auf Anfrage räumt der Konzern ein, dass die Marken die „Erwartungen nicht erfüllen“ konnten. Der Wettbewerb im Bereich D2C habe sich verschärft, das Wachstum des Hauptvertriebskanals Instagram stagniere. Henkel hatte laut Branchenkennern allerdings auch die Werbeausgaben für die Marken gedrosselt.
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Der Konzern überprüft gerade sein Portfolio und wollte sich 2022 von Marken mit einem Umsatz im Wert von mehr als 180 Millionen Euro trennen oder diese einstellen. Der Verkauf von Invincible Brands legt nahe, dass die D2C-Marken nicht profitabel waren.
Henkel hat aber auch ein weiteres Vorhaben leise gestoppt. Auf Schwarzkopf.de wollte der Konzern hochpreisige Shampoos direkt an Konsumenten verkaufen. Nun ist der Webshop wieder offline, wie Henkel auf Anfrage bestätigte – nach nur einem Jahr.
„Konzerne haben keine D2C-Kompetenz“
Dass Konzerne zu schnell das Interesse an neuen Marken verlieren, beobachtet Tim Nedden häufig. Der Geschäftsführer der E-Commerce-Beratung Finc3 hilft Markenartiklern dabei, ein Direktkundengeschäft aufzubauen. „Konzerne haben keine D2C-Kompetenz“, sagt Nedden. Ihnen fehle etwa die Kundenbetreuung, sie hätten nicht die Logistik, um Einzelbestellungen abzuwickeln, und mitunter scheitere es daran, Rechnungen zu stellen.
Durch ihre Schwerfälligkeit stoßen Konzerne im D2C-Geschäft an ihre Grenzen bei Geschwindigkeit und EffizienzTim Nedden, Geschäftsführer der E-Commerce-Beratung Finc3
Das scheint auch Beiersdorf nicht gelungen zu sein. Der Nivea-Hersteller stellte im Sommer nach nur gut einem Jahr seine Onlinemarke „Own“ wieder ein. Gescheitert ist auch die 49-Prozent-Beteiligung von Fruchtsaftproduzent Eckes-Granini an der Ingwer-Shot-Marke Kloster Kitchen. Gründer und Altgesellschafter kauften im Sommer nach nur 14 Monaten ihre Anteile zurück – zu unterschiedlich waren die Vorstellungen über die Strategie.
Ein weiterer Grund, warum Konzerne sich mit D2C schwertun: Vertrieb und Marketing sind samt Budget oft getrennt. D2C-Firmen würden das als eine Einheit sehen und flexibler investieren, so Experte Nedden. „Durch ihre Schwerfälligkeit stoßen Konzerne im D2C-Geschäft an ihre Grenzen bei Geschwindigkeit und Effizienz.“
Selbst Start-ups haben es gerade schwer
Aktuell haben es allerdings auch Firmen mit mehrjähriger Erfahrung im D2C-Geschäft schwer. Etwa die 2018 gegründete Kosmetikmarke Junglück. Verdoppelte sich das Wachstum des Münchener Start-ups bisher noch mit jedem Jahr, stieg der Umsatz im abgelaufenen Jahr nur noch im geringen zweistelligen Bereich.
Wie die Konzerne kämpft auch Junglück mit einer geringeren Nachfrage und wählerischeren Verbrauchern bei steigenden Marketingkosten. Weil Firmen infolge der Pandemie ihre Reklame zunehmend ins Netz verlagert haben, sind wegen des größeren Wettbewerbs die Marketingkosten deutlich gestiegen.
„Wir müssen nicht nur mehr Geld für unsere Sichtbarkeit zahlen. Durch die allgemeine Konsumzurückhaltung konvertieren potenzielle Kunden auch langsamer“, sagt Gründer Benedikt Klarmann. Einen Neukunden zu gewinnen sei gerade doppelt bis dreimal so teuer wie vor der Pandemie. „Firmen, die schon während Corona nicht erfolgreich im D2C-Geschäft waren, haben es unter den aktuellen Rahmenbedingungen noch schwerer.“
Diese Erfahrung musste auch der Kosmetikproduzent Cosnova machen. Unter dem Namen LOV versuchte das Familienunternehmen 2016 im Einzelhandel eine Marke im gehobenen Preissegment zu etablieren. Weil das scheiterte, legten die Hessen LOV 2020 in einem eigenen Onlineshop neu auf. Doch auch dieser wurde Anfang Dezember eingestellt.
Rückblickend sei es schwierig gewesen, aus einer Marke, die für den Handel gedacht war, ein Onlinekonzept zu entwickeln, räumt Thorsten Mühl ein, der seit Januar in der Geschäftsführung von Cosnova das Digitalgeschäft verantwortet. „Weil unser Geschäftsmodell bei LOV ursprünglich nicht auf den digitalen Vertrieb ausgelegt war und der D2C-Hype gerade temporär vorbei ist, haben wir schlussendlich die Vorteile des Direktvertriebs nicht ausreichend nutzen können.“
Nestlé und Cosnova wollen an eigenen Onlineshops festhalten
Für Cosnova bleibe das Thema D2C aber strategisch wichtig. Mühl schloss nicht aus, bald wieder eine neue Onlinemarke an den Start zu bringen. Trotz der Marktkorrektur nach Corona sieht der Manager im Onlinehandel mit Kosmetik ein starkes Wachstumspotenzial.
Henkel will stärker auf etablierte Plattformen wie Amazon oder den Onlineshop der Drogerien setzen. Das empfiehlt auch Berater Wahby. „Das D2C-Geschäft lohnt sich für die Masse der Marken nicht.“ Wegen des Logistikaufwands könnten Firmen nur lohnenswert wirtschaften, wenn der Wert einer Bestellung über 40 Euro beträgt.
Wenn Firmen klare Marken, ein hochwertiges Sortiment und effiziente Strukturen haben, dürfte sich D2C auch künftig lohnen. E-Commerce-Experte Nedden rät Firmen dazu, weiter zu experimentieren. „Es bringt Agilität in neuen Geschäftsfeldern.“ Sie könnten Trends und Märkte aufspüren, die ihnen im Einzelhandel verborgen blieben. „Notwendig dafür ist aber die Bereitschaft, die Prozesse zu ändern.“
Und die Firmenkultur. Denn Gründer kommen oft nicht mit Konzernstrukturen zurecht. So hat bei Ankerkraut-Konkurrent Just Spices – Ende 2021 mehrheitlich vom US-Konzern Kraft Heinz übernommen – Mitgründer Florian Falk das Start-up im Herbst plötzlich verlassen. Dabei hieß es zur Übernahme noch, die Gründer wollten Just Spices als eigenständige Firma fortführen.
Diesen Fehler will Nestlé bei Ankerkraut vermeiden. So gibt Geschäftsführer Haas an, dass sich durch die Beteiligung operativ nichts verändert habe. Doch die Ansage des Konzerns ist klar: Grundsätzlich müssen Zukäufe in fünf bis sieben Jahren einen Mehrwert für Aktionäre schaffen. Haas will den Umsatz in den nächsten vier Jahren auf über 100 Millionen Euro mehr als verdoppeln – trotz Shitstorm, Konsumzurückhaltung und langsamer wachsendem Onlinegeschäft.
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