Hilfe, Amazon hat meine Bewerber:innen verwöhnt
Was die Standards aus dem Onlinehandel für modernes Recruiting bedeuten und warum ein schlechter Bewerbungsprozess geschäftskritisch ist.
Bewerbung abgeschickt. Nichts passiert. Kein Feedback, keine Info – einfach Funkstille.
Was im Onlinehandel undenkbar wäre, ist im Recruiting noch immer Alltag. Dabei hat sich längst etwas verändert: die Erwartungen der Kandidat:innen. Vor allem bei der Generation, die mit Amazon, Same-Day-Delivery und Push-Benachrichtigungen groß geworden ist.
Heute bestellt man morgens ein Paket – und kann es am Abend in der App live verfolgen.
Warum sollte man dann zwei Wochen auf eine Eingangsbestätigung warten, nur weil’s um einen Job geht?
Willkommen in der Welt der Instant-Kundschaft – auch im Recruiting
Gerade junge Menschen sind als „Digital Natives“ an das Tempo des Onlinehandels gewöhnt.
Bestellbestätigung? Kommt sofort. Versandstatus? In Echtzeit. Lieferung? Morgen.
Und jetzt bewerben sie sich – und hören … nichts.
Ergebnis: Die besten springen ab. Nicht aus Desinteresse, sondern weil andere Arbeitgeber schlicht schneller, klarer und wertschätzender kommunizieren.
Die Realität: Stacheldraht statt rotem Teppich
Recruitingexperte Henner Knabenreich bringt es in seinem Blog auf den Punkt: „Arbeitgeber errichten eine hohe, mit Stacheldraht bewehrte Schutzmauer gegen die ohnehin in vielen Fällen nur noch spärlich hereintröpfelnden Bewerbungen – und jammern dann über fehlende Bewerber …“
Der Arbeitsmarkt hat sich längst gedreht.
Rund 1,2 Millionen Stellen sind laut IAB in Deutschland derzeit unbesetzt. Und die Babyboomer verabschieden sich täglich tausendfach in Rente. Gleichzeitig steigt der Anspruch der Kandidat:innen. Und ihre Auswahl auch. Was Unternehmen auf der Suche nach geeigneten Talenten also bräuchten, wäre eher ein roter Teppich statt einen Stracheldrahtzaun.
Wer heute eine Stelle sucht, informiert sich, vergleicht – und bewertet. Eine schlechte Erfahrung im Bewerbungsprozess? Wird öffentlich geteilt auf kununu & Co. Solche abschreckenden Berichte halten potenzielle weitere Bewerber:innen effektiv davon ab, sich zu bewerben.
Candidate-Experience: Nicht Nice-to-have, sondern geschäftskritisch
Studien zeigen: 65 Prozent der Bewerber:innen erleben negative Prozesse. 78 Prozent sagen sogar, dass sie nach einer schlechten Erfahrung im Bewerbungsverfahren keine Produkte oder Dienstleistungen mehr vom Unternehmen kaufen würden.
Und was tun viele Unternehmen – gerade im Mittelstand? Sie machen Recruiting zu oft zur Nebenaufgabe. Zwischen Kundenterminen, mit spärlicher Kommunikation und monatelanger Funkstille. Kein Wunder, dass Kandidat:innen abspringen, bevor überhaupt ein Gespräch stattgefunden hat.
Was Unternehmen jetzt tun müssen
Es geht nicht um Hochglanz oder künstliche Begeisterung. Sondern um Standards, die heute selbstverständlich sein sollten:
Sofortige Reaktion: Wie beim Onlineshop – direktes, automatisiertes Feedback: „Wir haben deine Bewerbung erhalten.“
Verlässliche Zeiträume: Keine unendlichen Warteschleifen. Bewerber:innen sind keine Bittsteller.
Augenhöhe: Kommunikation wie mit Kund:innen – persönlich, verbindlich, transparent.
Und nun ihr!
Mich interessiert’s: Was sind eure absurdesten Erfahrungen im Bewerbungsprozess – sowohl auf Bewerber- als auch auf Arbeitgeberseite?