Hinter den Zahlen des Pflegenotstands: Einblicke in den Klinikalltag
Die Corona-Krise verdeutlicht in dramatischer Weise die enorme Herausforderung und starke Belastung von Krankenpflegerinnern und -pflegern. Franziska Böhler arbeitete seit 2007 als Krankenschwester auf einer Intensivstation in der Nähe von Frankfurt am Main. Noch im Frühjahr kämpfte sie freiwillig an der „Corona-Front“ auf der Intensivstation. Sie verlängerte sogar ihren Vertrag, um Covid-Patienten zu versorgen.
Sie ist sich sicher, dass wegen der Corona-Überlastung viele Kollegen gehen werden.
Im Mai 2020 wechselte sie auf eine anästhesiologische Station. Dies hatte allerdings persönliche Gründe: Als sie ihr kleiner Sohn eines Tages fragte, warum sie immer weg ist und er am Wochenende nicht immer nur mit der Oma oder dem Papa allein sein möchte, entschied sie, dass sich etwas ändern muss. Ihr Mann, ein Arzt, hatte wie sie als Intensivkrankenschwester viele Wochenendschichten. Für die Familie mit den beiden Kindern blieb kaum Zeit. „Für viele Menschen aus dem Pflegebereich ist das dauerhaft unerträglich und mündet letztlich in berufliche Veränderungsbestrebungen“, bestätigt auch der Personalexperte Werner Neumüller, der dazu beitragen möchte, „dass Ärzte und qualifizierte Pflegekräfte in der ambulanten und stationären Versorgung möglichst flächendeckend gut behandelt und fair bezahlt werden.“
Seit Ende 2019 gehört die „consil med GmbH Ärzte Pflegefachkraft Vermittlung“ zur NEUMÜLLER Unternehmensgruppe, die das gesamte Spektrum der Personaldienstleistung abdeckt: Medizinisches Fachpersonal sowie Ärztinnen und Ärzte werden mit Top-Arbeitgebern aus dem Gesundheitsbereich zusammengebracht, die von der langjährigen Erfahrung der Rekruitingspezialisten profitieren. „Wir fragen beispielsweise, was ihnen wichtig ist und versuchen dann, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu berücksichtigen und umzusetzen. Dazu gehören etwa familienfreundliche Schichten für Alleinerziehende, höhere Bezahlungen für Jüngere oder persönliche Wertschätzung.“
Es braucht dringend eine Aufwertung im Pflegebereich, denn alle Beteiligten müssen seit Jahren gegen das Primat der Effizienz kämpfen. Nicht selten werden Pflegekräfte krank durch Arbeitsverdichtung, schlecht planbare Dienste, Überlastung und Dauerstress. „Es gab Dienste, da ging keiner mehr normalen Schrittes über die Station, wir rannten, manchmal stundenlang: einmal kurz zu einem Schwerstkranken, dann kurz zum anderen, um bei jedem Patienten wenigstens die Minimalversorgung zu gewährleisten“, schreibt Franziska Böhler. Irgendwann war all das nicht mehr zu bewältigen: Es gab so viel zu tun, „dass keiner mehr wusste, wo er zuerst anfangen sollte. Also standen drei Schwestern da und heulten.“
Häufig musste sie drei oder sogar vier Patienten betreuen (obwohl zwei Intensivpatienten das Maximum sind). Denn die Patienten müssen alle zwei oder vier Stunden umgelagert werden, Vitalwerte müssen überprüft, Blut abgenommen und Medikamente verabreicht werden, was sehr zeitintensiv ist. „Klar haben wir genug Intensivbetten, ausreichend Apparate, aber uns fehlt einfach das Pflegepersonal.“ Deshalb macht es aus ihrer Sicht keinen Sinn, über freie Betten oder Patientenzahlen zu sprechen.
Als sie 2007 als Krankenschwester begann, wollte sie Gutes tun und Verantwortung übernehmen.
Sie war sich der Verantwortung sich selbst gegenüber bewusst, wollte aber auch sorgend Anteil am Anderen nehmen. Personalmangel wurde damals zwar auch schon thematisiert, aber es blieb genügend Zeit, die Patienten adäquat zu versorgen. Heute wird oft nur noch abgearbeitet, und der Ausnahmezustand ist vielerorts Normalität. „Das Wohl des Patienten bleibt in deutschen Krankenhäusern auf der Strecke“, urteilte bereits 2016 der Ethikrat.
Auf Instagram gibt Franziska Böhler bereits seit 2017 als @thefabulousfranzi über 150.000 Follow¬ern regelmäßig Einblicke in den Klinikalltag. In ihrem aktuellen Buch „I’m a Nurse“, inzwischen ein SPIEGEL-Bestseller, gibt sie mit ihrer Ghostwriterin Jarka Kubsova (sie absolvierte ebenfalls ein Examen zur Krankenschwester, bevor sie sich nach einem Soziologiestudium dem Schreiben zuwendete) Einblicke in den Krankenhausalltag und warnt eindringlich, dass das System, auf das wir alle im Notfall zurückfallen, kurz vor dem Kollaps steht.
In ausgewählten Fallgeschichten wird der Stationsalltag nachgezeichnet, aber auch Schwachstellen und die Profitorientierung des Gesundheitswesens und die ständige personelle Unterbesetzung kritisiert. Vorgestellt werden beispielsweise auch Frauen, die an Kreißsaaltüren abgewiesen werden oder Hebammen, die teilweise zwischen verschiedenen Geburten „jonglieren“ müssen. Mit dem Buch soll vor allem eine Diskussion angeregt werden, „was uns gute Pflege wert ist.“ Dies liegt dem Personalexperten Werner Neumüller genauso am Herzen: „Den Fach- und Pflegkräften muss vor allem mehr Wertschätzung, Anerkennung und Zuverlässigkeit entgegengebracht werden.“ Die Inhalte des Buches reichen von der Geburtshilfe, der Pädiatrie bis hin zu Altenpflege und Palliativmedizin, denn einem Menschen einen guten Tod bereitet zu haben, kann sich nach Böhler nicht nur gut anfühlen, sondern auch ein enormer Trost sein.
„Das hier ist kein Appell, sich ständig den Tod vor Augen zu führen. Sondern das Leben.“
Das Buch ist nicht nur eine Klageschrift, wie auch der Untertitel unterstreicht: „Warum ich meinen Beruf als Krankenschwester liebe – trotz allem“. Das Beispiel von Franziska Böhler zeigt aber auch: Nur wer sich emotional bewegt, ist auch fähig, etwas zu bewegen und Verantwortung für sich und andere Menschen zu tragen. Wer sich seiner Verantwortung bewusst wird und den Mut hat, kritisch auf Missstände zu verweisen, erfährt sich selbst als Lebensgestalter und nicht als Verwalter.
Weiterführende Informationen:
Franziska Böhler, Jarka Kubsova: I’M A NURSE. Warum ich meinen Beruf als Krankenschwester liebe – trotz allem. Wilhelm Heyne Verlag München 2020.
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Krank: Steht unser Gesundheitssystem vor dem Kollaps?
Werner Neumüller: Sport und Gesundheitsmanagement – eine Notwendigkeit in Zeiten des demografischen Wandels. Am Beispiel der Neumüller Unternehmensgruppe. In: CSR und Sportmanagement. Jenseits von Sieg und Niederlage: Sport als gesellschaftliche Aufgabe verstehen und umsetzen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. 2. Auflage, SpringerGabler Verlag. Heidelberg, Berlin 2019, S. 219-225.