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Diese ASML-Komponenten aus Berlin sind der Spiegelblock und die Waferklemme für den Siliziumwafer. - Foto: PR
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Hochleistungskeramik aus Berlin: Das Geheimnis hinter ASMLs Erfolg in der Chipindustrie

Kaum ein Unternehmen ist für die Chipproduktion in aller Welt so wichtig wie ASML. Zentrale Bereiche des Konzerns werden nun in Berlin ausgebaut.

Nein, dass sich hier irgendwo ein bedeutender Bestandteil der globalen Chipindustrie befinden könnte, auf diesen Gedanken dürften zufällige Besucher des Berliner Stadtteils Britz sicher nicht kommen. Britz, im Bezirk Neukölln südlich des einstigen Tempelhofer Flughafens gelegen, ist ein so typisches wie unscheinbares deutsches Gewerbegebiet. Eine Tankstelle, ein paar private Autowerkstätten – und mittendrin dieser Schriftzug: ASML.

Der niederländische Konzern, einer der wertvollsten des Kontinents, ist der globale Weltmarktführer für Chipproduktionsmaschinen – und damit eines der drei oder vier Unternehmen, die unersetzbar sind für den Boom von künstlicher Intelligenz. Seinen Hauptsitz hat ASML, eine ehemalige Sparte des Philips-Konzerns, im Südwesten der niederländischen Stadt Eindhoven. Immer wichtiger für den Konzern aber wird derzeit auch eine andere Produktionsstätte: Berlin-Britz.

Ähnlich unscheinbar wie die Lage sind auch die Produkte, die dort hergestellt werden: Hinter einer Glasscheibe polieren Mitarbeiter Schubladen-große Quader aus einem milchig-durchsichtigen Material. In einem anderen Reinraum werden dunkle, pizzagroße Halterungen produziert, die abertausend winzige Noppen aufweisen und genau auf eine kreisrunde Fläche innerhalb dieser Quader passen. Doch die unscheinbaren Produkte, der sogenannte Spiegelblock und die Waferklemme, sind zentrale Bausteine für ASMLs Wundermaschinen, ohne die weltweit keine Chipfabrik den Betrieb aufnimmt.

Die Waferstage, ein zentrales Bauteil der ASML-Chipbelichtungsmaschine, stammt aus Berlin. - Foto: PR
Die Waferstage, ein zentrales Bauteil der ASML-Chipbelichtungsmaschine, stammt aus Berlin. - Foto: PR

Auf ihnen ruhen die Siliziumscheiben genannten Wafer, wenn sie in den ASML-Maschinen bei Chipherstellern wie etwa TSMC oder Samsung von extrem-ultravioletten Strahlen (EUV) belichtet werden. Dabei flitzen Spiegelblock samt Waferklemme im Hochvakuum hin und her – und müssen extreme Beschleunigungen und Temperaturunterschiede aushalten, damit der Siliziumwafer fest auf ihnen ruht und bei der Chipherstellung keine Defekte auftreten. „Die Anforderungen allein bei der Beschleunigung sind enorm“, sagt ASML-Deutschlandchef Markus Matthes, „in der Spitze beträgt sie bis zum zehnfachen der Schwerkraft.“

Auf Hochleistungskeramiken spezialisiert

Der Standort Berlin von ASML ist spezialisiert auf die Entwicklung und Fertigung von Komponenten aus Hochleistungskeramiken mit solch extremen Materialeigenschaften – und verfügt sogar über eine eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung: Von den aktuell rund 1800 Beschäftigten am Standort Berlin arbeiten rund 320 im Bereich Forschung und Entwicklung und sind damit beschäftigt, immer neue und innovative Fertigungstechnologien und Produkte zu entwickeln sowie neue, leistungsfähigere Keramiken zu erforschen. Wegen des starken Wachstums des Gesamtkonzerns expandiert auch Berlin immer weiter: Die Forschungsabteilung etwa zieht gerade um in ein neues Gebäude am Behrensufer an die Spree rund acht Kilometer östlich in Berlin Oberschöneweide. Von hier aus ist Ende des 19. Jahrhunderts AEG zur einstigen Weltgeltung aufgestiegen. Mit dem auf fünf Jahre geplanten Schritt will ASML am Kernstandort Britz Platz für die Erweiterung der dortigen Fertigung schaffen.

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Was viele nicht wissen: Die Geschichte des ASML-Standorts Berlin ist bereits mehr als 70 Jahre alt – läuft aber erst die vergangenen vier Jahre unter der Flagge der Niederländer. So gründete der Unternehmer Herbert Kubatz Senior dort im Jahr 1952 einen Glasgroßhandel unter dem Namen Berliner Glas. Als dessen Sohn Herbert Kubatz Junior Mitte der 1960er Jahre nach seiner Promotion ins Unternehmen eintrat, suchte er nach neuen, aussichtsreichen Geschäftsfeldern – und fand diese bei technischen Gläsern, etwa für Fotokopierer oder Faxgeräten. Eine weitere Dekade später erfolgte der Übergang zur Präzisionsoptik wie etwa Linsen oder Prismen.

In den 1990er Jahren schließlich steigt Kubatz Junior mit Komponenten aus Hochleistungskeramik zum Zulieferer für die Halbleiterindustrie auf. Zu jener Zeit begann auch die Zusammenarbeit mit ASML, die also schon gut 30 Jahre besteht. Weil Kubatz Junior selbst keine Nachkommen hat, einigt er sich Mitte 2020 mit dem niederländischen Partner auf eine Übernahme, die im November 2020 rechtlich vollzogen wird.

Eine der seltenen Übernahmen von ASML

„Eine Übernahme wie jene der Berliner Glas machen wir nicht sehr oft“, erläuterte ASML-Vorstandschef Christophe Fouquet Ende September im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Üblicherweise setzt ASML als Systemintegrator auf hochspezialisierte Zulieferer wie etwa den Laserhersteller Trumpf sowie den Optikspezialisten Zeiss aus Deutschland: Trumpf liefert die von einem Laser angetriebene Lichtquelle der EUV-Maschinen; Zeiss die Hochleistungsspiegel zum Weiterleiten des EUV-Lichtes.

„Aufgrund der fehlenden Nachfolge bei Berliner Glas wollten wir den Fortgang des Unternehmens selber sicherstellen", so der ASML-Chef, der ebenfalls die hohen Anforderungen der Komponenten und Materialien aus seiner Berliner Dependance betont: „Berliner Glas war weltweit mit Abstand das führende Unternehmen für hochpräzise Komponenten aus Glas und Keramik, wie wir sie benötigen“, so Fouquet. „Diese Fähigkeiten haben wir seit der Übernahme noch ausgebaut.“

Denn die Komponenten von ASML Berlin wirken auf den ersten Blick vielleicht unscheinbar, aber aufgrund ihres Einsatzes im Zentrum der Lithographiemaschinen sind sie eben auch von zentraler Bedeutung: „Unsere Komponenten halten und positionieren den Siliziumwafer“, sagt ASML-Deutschland-Chef Matthes. „Damit sind sie kritisch für die Performance des Gesamtsystems und so etwas wie ihre Herzstücke.“

Genauigkeit im Sub-Nanometerbereich

Tatsächlich kommt es bei Spiegelblock und Waferklemme auf eine Genauigkeit im Sub-Nanometerbereich an. Durch die hohe Beschleunigung dürfen die Komponenten wegen der Massenträgheit nicht zu schwer sein. Gleichzeitig sollen sie über eine hohe Steifigkeit sowie Temperaturstabilität verfügen und sich möglichst wenig verformen. „Das sind beides fast widersprüchliche Anforderungen“, so Matthes.

Belichtung eines Wafers in einer ASML-Lithographiemaschine (Illustration) - Foto: PR
Belichtung eines Wafers in einer ASML-Lithographiemaschine (Illustration) - Foto: PR

Um diesen vermeintlichen Widerspruch dennoch aufzulösen, verwenden die Berliner viel Hirnschmalz – und auch viel Handwerk – auf ihre Hochleistungskomponenten. „Durch die Berührung mit dem Wafer sind die Anforderungen an die Oberfläche extrem hoch“, sagt Matthes. „Unsere Kernprozesse sind daher Schleif-, Polier- und Beschichtungsprozesse aller Art.“ Für die je nach Produkt zwischen drei und 15 Monate vergehen können. Grund: Nach jedem Polierschritt muss das Bauteil immer wieder aufwändig vermessen werden, um die hohe Genauigkeit zu gewährleisten. „Das kann bei sechs Seiten eines Spiegelblocks daher schon mal etwas länger dauern.“

Entsprechend hoch sind auch die Anforderungen an die ASML-Mitarbeiter in Berlin: „Neben Ingenieuren haben auch handwerkliche Fähigkeiten eine hohe Relevanz für uns“, so Matthes. So beschäftigt ASML in Berlin insgesamt mehr als 1200 Mitarbeiter in der Fertigung, viele davon sind Feinoptiker. Zur Einordnung: Deutschlandweit werden 80 Feinoptiker pro Jahr ausgebildet, 11 davon allein bei ASML in Berlin.

Mehrmonatiger Schleif- und Polierprozess

Am Ende des mehrmonatigen Schleif- und Polierprozesses wiegt der Spiegelblock nur noch gut 25 Kilogramm – und hat rund 80 Prozent seines ursprünglichen Keramikgewichts verloren, freilich ohne im gleichen Maße an Steifigkeit einzubüßen.

An dem jetzt neu bezogenen Forschungsstandort am Behrensufer sollen die Mitarbeiter dafür sorgen, dass die Produkte von ASML-Berlin künftig noch leistungsfähiger werden. „Um die Produktivität unserer Belichtungsmaschinen zu steigern, benötigt man höhere Beschleunigungen“, sagt Deutschlandchef Matthes. „Dadurch benötigt man künftig beispielsweise noch leichtere Spiegelblöcke.“

Den Namen verdankt jenes Herzstück der ASML-Maschinen übrigens den an den Seiten aufgebrachten Spiegelflächen. „Diese dienen der Positionierung des Spiegelblocks bei der Belichtung des Wafers“, erläutert Matthes, „und auch sie muss nanometergenau erfolgen.“

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