Ich habe mein Unternehmen verkauft – und das ist meine Geschichte

Nach 25 Jahren an der Spitze habe ich meine Firma verkauft. Nicht aus Erschöpfung. Sondern aus Verantwortung. Für mein Team. Für meine Familie. Für das, was ich aufgebaut habe. Und für das, was kommt.

Die Tränen habe ich schon vor Monaten vergossen. Inzwischen sind sie getrocknet.

Jetzt sitze ich wieder an meinem Schreibtisch – im selben Gebäude wie immer. Das Unternehmen, in dem sich dieser Schreibtisch befindet, gehört mir nicht mehr.

Ja, ich habe mein Unternehmen Werkzeug Weber verkauft.

Für einige mag das ein Schock sein. Für andere wahrscheinlich keine große Überraschung. Was es für mich war? Die bislang schwerste und gleichzeitig wichtigste Entscheidung meines Lebens.

Ich habe mein Unternehmen nicht verkauft, weil ich aufgegeben habe, sondern weil ich wollte, dass es weiterlebt.
Vanessa Weber

Das Gebäude bleibt in Familienbesitz. Es ist die Altersvorsorge meiner Eltern. Ich werde hier auch weiterhin mein Büro haben. Ich sehe, wer morgens kommt, wer mittags in der Küche einen Kaffee trinkt, wer abends das Licht löscht. Ich sehe, was umbenannt wird. Wie die Flaggen an den Masten bald abgehängt und neue aufgezogen werden. Ich höre neue Stimmen, neue Ideen, neue Pläne.

Und trotzdem ist nichts mehr wie vorher. Ich habe nichts mehr zu bestimmen. Ich bin da. Und irgendwie doch nicht.

Die Entscheidung kam nicht über Nacht

2020, mitten in der Pandemie, hat es in mir zum ersten Mal gearbeitet. Die große Frage: Wie geht es weiter mit Werkzeug Weber? Ich war damals schon längst nicht mehr im Tagesgeschäft. Ich war keine Spielerin mehr, sondern Trainerin am Rand. Aber was bin ich jetzt – jetzt, wo ich nicht mal mehr auf der Bank sitze? Spielerberaterin? Chronistin? Mentorin?

Nachfolge ist für mich kein Loslassen, sondern verantwortungsvolles Weitergeben.

Was ich sicher weiß: Ich wollte keine Entscheidung aus dem Bauch heraus treffen. Ich wollte Verantwortung übernehmen – für die Menschen, die dieses Unternehmen mit mir aufgebaut haben. Denn das war immer meine größte Motivation: dass es den Mitarbeitenden gut geht.

Ein Vierteljahrhundert war ich verantwortlich für Werkzeug Weber. Ich bin 1998 eingestiegen, 2002 habe ich das Ruder übernommen. Allein. Ohne Netz. Ohne doppelten Boden. Ich war keine klassische Unternehmerin. Ich war Werkzeughändlerin – mit Herz, mit Humor, mit Haltung.

Ich konnte nie einfach abschalten. Ich war nachts wach, wenn es Lieferprobleme gab. Ich habe mit meinem Team Lösungen gesucht, wenn sich wieder ein Gesetz geändert hat. Ich habe nie klein beigegeben – obwohl ich oft an meine Grenzen kam.

Die letzten Jahre waren kein Spaziergang

Corona. Bürokratie. Nachhaltigkeitsvorgaben. Digitalisierung. Fachkräftemangel. Es ist nicht mehr die gleiche Welt wie 1998. Viel hat sich geändert, leider nur wenig zum Positiven. Unternehmerin sein, das wurde zunehmend zur Bürde. Nicht wegen der Verantwortung – die habe ich immer gern getragen. Sondern wegen der äußeren Umstände, der Politik, den Rahmenbedingungen.

Und irgendwann habe ich dann gemerkt: Wir sind zu klein geworden für diese große Welt. Nicht an Ideen, nicht an Engagement, nicht an Haltung – aber an Ressourcen.

Ein kleines Unternehmen kann die steigenden Anforderungen kaum noch stemmen. Gesetzliche Regularien, Umwelt- und Sorgfaltspflichten, Zertifizierungen, Digitalisierung, E-Commerce, Investitionen in IT-Systeme. Mit einem Team von zehn Leuten ist das einfach nicht zu machen.

Die Rahmenbedingungen der letzten Jahre waren für viele Mittelständler eine echte Belastungsprobe – auch für uns. Aktuell scheint sich der Wind zu drehen, ein bisschen. Aber für mich kommt dieser mögliche Umschwung zu spät.

Natürlich haben wir kooperiert, uns mit anderen Mittelständlern zusammengeschlossen. Und doch: Die Verantwortung blieb schwer.

Und dann kam noch etwas dazu: Mein Bruder, der vor zwei Jahren gesundheitlich ausfiel. Er war immer eine Stütze. Da ich selbst keine Kinder habe, wusste ich: Eine familieninterne Nachfolge wird es nicht geben. Da wurde mir klar: Ich brauche einen größeren Partner.

Gesucht und gefunden

Werkzeug Weber war mein Lebenswerk. Jetzt wird es Teil von etwas Größerem.

Mit dieser Herausforderung bin ich alles andere als allein: Geschätzte 200.000 bis 400.000 mittelständische Unternehmen suchen derzeit oder in naher Zukunft einen Nachfolger.

Also habe ich gesucht. Und ich habe gefunden.

Christopher Schaus übernimmt Werkzeug Weber. Er ist Geschäftsführer der WEMAG GmbH & Co. KG. Er ist wie ich Baujahr 1980, Vater von drei Kindern, ein echter Teamplayer. Und: Wir kennen uns seit über 20 Jahren aus der Jugendarbeit. Ich weiß, wie er denkt. Ich weiß, wie er führt. Er kennt jeden seiner Mitarbeitenden mit Vor- und Nachnamen. Das war mir wichtig.

Die Herausforderungen wurden größer – aber wir zu klein, um sie ALLEIN zu stemmen. Mit der WEMAG schaffen wir es jetzt gemeinsam. Ich bin froh, dass Werkzeug Weber nun in Christophers Händen liegt. Seine WEMAG lebt eine ähnliche Philosophie, wie ich sie gelebt habe.

Vertragsunterzeichnung mit Christopher Schaus

Mein Gefühl: Das war kein Verkauf. Das war ein bewusster Schritt in eine Zukunft, die ich selbst mitgestalte. Das Logo ändert sich, die Werte bleiben.

Ich habe allen im Team früh von meinen Plänen erzählt – noch bevor der Vertrag unterschrieben war. Denn wer mich kennt, weiß: Ich halte nichts von Geheimniskrämerei. Ehrlichkeit war immer ein zentraler Wert für mich – als Mensch und als Unternehmerin.

Das Wichtigste: Alle behalten ihren Job. Mehr noch: Sie bekommen Entwicklungschancen, die ich ihnen nie bieten konnte. Karrierepfade, Abteilungswechsel, neue Perspektiven. Das alles wird jetzt möglich. Der Standort Aschaffenburg wird dadurch sogar gestärkt. Und das freut mich.

Für mich beginnt jetzt ein neuer Abschnitt

Ich begleite die Übergabe noch bis Ende des Jahres aktiv. Ab Juli werde ich mich bei der WEMAG um Marketing und Innovation kümmern – mit viel Freiraum, ohne klassische Hierarchie.

Ich bin nicht raus. Ich bin nur nicht mehr die Einzige, die trägt. Und das fühlt sich gut an.

Ich bleibe unabhängig. Ich bleibe frei. Ich bleibe ich. Und ich bleibe Unternehmerin im Herzen. Ich werde weiter Start-ups begleiten, Impulse geben, Ideen spinnen. Ich will Neues lernen. Neue Wege gehen. KI. Social Media. Pressearbeit. Drohnenlogistik. Ich habe Lust auf Zukunft.

Und ja, ich gebe zu: Ich hadere manchmal mit meiner neuen Rolle. Früher konnte man mich nachts wecken und ich hatte meinen Elevator-Pitch parat: „Ich habe einen typischen Frauenberuf: Werkzeughändlerin.“ Ein Lacher. Ein Gesprächseinstieg. Eine Identität.

Heute? Bin ich noch auf der Suche. Aber auch das ist okay. Ich habe mein Unternehmen verkauft. Aber ich habe meine Werte behalten.

Ich bin bereit, eine neue Rolle zu finden – und vielleicht sogar zu erfinden. Für mich beginnt jetzt ein neues Kapitel – eines mit mehr Gestaltungsfreiheit und neuen Impulsen.

Ich bleibe Unternehmerin. Nur eben auf neue Weise: als Impulsgeberin, Netzwerkerin und Möglichmacherin.

Tief empfundener Dank

Mein tief empfundener Dank gilt meinen Eltern, meiner Familie, allen Kunden, Lieferanten und Partnern – und ganz besonders meinem Team. Ihr alle wart über all die Jahre treu an meiner Seite. Ohne Euch wäre dieser Weg nicht möglich gewesen. Ihr habt dieses Unternehmen mitgetragen, mitgeprägt – und ihr werdet für immer einen Platz in meinem Herzen haben.

Vielleicht habt ihr ja eine kreative Idee, wie mein neuer Elevator-Pitch lauten könnte.
Dann schreibt mir gern in die Kommentare.

Vanessa Weber schreibt über Unternehmertum, Marketing, Nachfolge, Führung

Vanessa Weber ist Geschäftsführerin und Unternehmerin aus Leidenschaft. Heute ist sie neben ihrer Tätigkeit für ihre Firma als Vortragsrednerin tätig und vermittelt ihr Fachwissen sowie ihren Erfahrungsschatz an andere Unternehmer. Sie ist eine Frau aus der Praxis für die Praxis.

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