Ich musste in der Küche stehen. Ich musste das vor Ort fühlen, ob das eine Möglichkeit ist
Cornelia Fischer ist Küchenchefin im Überfahrt am Tegernsee, einem der heikelsten Arbeitsplätze der Branche. Ihr Auftrag: Das Restaurant wieder zur kulinarischen Spitzenadresse zu machen.
Rottach-Egern. Die Küche ist lichtdurchflutet, dank Fenster mit Blick ins Grün, und mehr als großzügig bemessen. Die vier Mitarbeiter, die hier an einem Dienstagnachmittag arbeiten, verlieren sich zwischen all den Edelstahlgeräten. Allein die schiere Fläche der Küche des Restaurants Überfahrt in einem Luxushotel am Tegernsee ist Ehrfurcht gebietend.
Cornelia Fischer kennt sie gut. Sie war schon einmal hier. 2015 als Chef de Partie, also als Bereichsverantwortliche. Damals war es ihr erster Kontakt mit der absoluten Spitze der Gourmetküche, nun arbeitet sie hier seit einigen Monaten als Chefin des Ganzen. Und beschreibt diesen Ort immer noch mit einer Mischung aus Staunen und Ehrfurcht: „Ich musste in der Küche stehen, ich musste das vor Ort fühlen, ob das eine Möglichkeit ist oder nicht“, beschreibt sie die Zeit der Entscheidungsfindung, ob sie diesen Job nun annehmen soll oder nicht.
Denn der Posten der Küchenchefin des Restaurants Überfahrt ist nicht nur ein besonderer. Es ist auch ein besonders heikler. Während des „damals“, als Fischer hier schonmal arbeitete, hatte das Restaurant nicht nur drei Sterne im Restaurantführer Guide Michelin, die Maximalbewertung für Restaurants in Deutschland. Der Küchenchef hieß auch Christian Jürgens. Ein Name, der mittlerweile für einen der größten Skandale in der deutschen Gourmet-Gastronomie steht: Nach Vorwürfen, er habe seine Macht gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern missbraucht, musste er das Restaurant vor zwei Jahren verlassen. Die drei Sterne waren ebenso weg wie der gute Ruf.
Es folgte eine Übergangslösung in dem Haus, das zur Hotelgruppe des Unternehmers Thomas Althoff gehört. Und nun also Cornelia Fischer. Das ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert: Frauen sind in der Spitzengastronomie noch immer sehr selten Chef. Und dann auch noch in einem Haus mit einer solchen Vorgeschichte. Es gibt Aufgaben mit weniger Druck.
Zudem ihr Auftrag klar ist: Die Gourmetküche soll wieder als kulinarische Spitzenadresse bewertet sein. Das funktioniert vor allem über Auszeichnungen im Guide Michelin. Der erscheint nun und dann wird sich nicht nur zeigen, ob die Spitzen der deutschen Gastronomie angesichts von steigenden Preisen und sinkender Ausgabenbereitschaft der Deutschen ähnlich schlecht dastehen, wie die breite Mitte der Gastronomie. Sondern auch, ob Fischer die ersten Schritte geschafft hat, das Flaggschiffrestaurant des Althoff Seehotel Überfahrt am Tegernsee wieder in die Spur zu bringen.
Wer mit ihr länger spricht, gewinnt jedenfalls den Eindruck: Sie hat durchaus Ambitionen, das Haus zu neuem Glanz zu führen – und manches davon will sie mit Methoden erreichen, die für die Spitzengastronomie bemerkenswert sind.
Nicht für Auszeichnungen kochen
Wie das ist, einen Michelinstern verliehen zu bekommen, weiß Fischer. „Aufregend. Schön“. Zwei Worte. Mehr braucht sie nicht, um das zu beschreiben, was viele Köche als einen der besten Momente ihres Lebens bezeichnen. Wobei Fischer, die ihren ersten Stern für den Weinstock im fränkischen Volkach erkochte, seinerzeit gar nicht das volle Gefühl auskosten konnte: Die Auszeichnung fiel 2021 in die Coronapandemie. Keine Gala, keine Feier wie sonst üblich.
Sie sah die Übertragung der Verleihung ohne Gäste und Gala. Warum? „Ich fand das spannend und interessant.“ Dass ihr Name dann plötzlich kam, hatte sie nicht erwartet. Wenn sie es doch klammheimlich gehofft hat, wie ein Lottospieler der Ziehung zuschaut, würde Fischer es nie zugeben.
„Wir machen es ja nicht der Auszeichnung wegen. Wir stehen nicht hier und kochen, damit wir eine Auszeichnung kriegen, sondern damit die Gäste, die im Restaurant sitzen, einen brutal schönen Abend haben“, schiebt sie hinterher. Das R in brutal rollt sie mit der Entschlossenheit des fränkischen Idioms, so wie sie ihre Position darlegt.
Die Zufriedenheit der Gäste sei entscheidend. Das sagt natürlich jeder Gastronomiemensch. Und doch wirkt es bei ihr besonders glaubwürdig: Zum einen durch die Art, wie sie versucht, sich auf ihre eigentliche Arbeit zu konzentrieren und jede Form der Selbstdarstellung nahezu akribisch zu vermeiden versucht. Zum anderen daran, wie sie ganz konkret arbeitet.
Etwa wenn sie abends nach dem Hauptteil des Menüs im Restaurant ihre Runde dreht und den Gästen die Petit Fours, die süßen Kleinigkeiten nach dem Dessert, in einer kleinen Holzkommode an den Tisch bringt. Da würde sie dann schon spüren, ob die Gäste zufrieden seien. „Wenn jemand zum Beispiel bestimmte Zutaten nicht mag, ist das völlig legitim.“
Ganz so einfach ist die Sache dann aber doch nicht. Fischer arbeitet in einem Restaurant mit einer langen, erfolgreichen Geschichte. Das Restaurant Überfahrt gehörte über viele Jahre mit drei Michelinsternen zu den zehn besten Restaurants Deutschlands.
Fine Dining als Wirtschaftsfaktor
Es befindet sich in malerischer Lage in Rottach-Egern am Tegernsee im Althoff Seehotel Überfahrt. Kulinarik ist ein entscheidendes Standbein aller Fünf-Sterne-Hotels der Althoff Collection. Die Gruppe, so lautet die Rechnung vereinfacht formuliert, bietet Spitzenköchen außergewöhnliche Möglichkeiten. Dafür soll deren Glanz auf die Hotels abstrahlen.
Köche wie Dieter Müller, Joachim Wissler, Nils Henkel haben in Restaurants der Gruppe höchste Bewertungen bekommen. Und eben jener Christian Jürgens, der Fischers Vorgänger war. Seit September 2024 soll Cornelia Fischer diese Männerlinie fortsetzen, bekommt so eine Aufmerksamkeit, die sie gar nicht sucht.
Anfangs kam das Angebot für sie auch nicht in Frage. „Der erste Gedanke war ganz klar: Auf keinen Fall“, sagt Fischer. Der General Manager des Seehotel Überfahrt, Vincent Ludwig, blieb in Kontakt und beharrlich. „Ich musste für mich auch hierher fahren, mit Herrn Ludwig reden, wir haben uns die Zeit genommen.“
Was am Ende den Ausschlag gab? Es ist schwer, sich von Fischer ein Bild zu machen. Sie will erkennbar lieber ihre Kreationen als ihre Worte für sich sprechen lassen. Vermutlich, so kristallisiert es sich dann heraus, ist es die Mischung aus der Ambition des Arbeitgebers und den Möglichkeiten und Freiheiten in diesem Unternehmensbiotop, die sie überzeugt haben.
Manifestiert etwa durch die große Küche, in jeder Hinsicht. Die Platz bietet für eine Brigade, wie sie nur absolute Spitzenküchen vorhalten, und die deswegen gerne größer werden dürfe, sagt Fischer. Die einzige Stelle des Gesprächs, an der sie durchblicken lässt, dass sie nicht stehen bleiben will, wo sie ist.
Zumindest ein Michelin-Stern, der wäre willkommen, räumt Hoteldirektor Ludwig ein, er sei aber überzeugt, dass das über kurz oder lang passieren wird. Zwei seien vielleicht gemeinsam planbar, beim dritten braucht es wohl auch Glück, die Vorlieben der Tester zu erkennen.
Doch schon heute kostet das kleinste Menü 179 Euro (vegetarisch 159), die sechs Gänge kosten 235 Euro (vegetarisch 217), ohne Getränke natürlich. Das sind Preise, die im Wettbewerb um Gäste mit Sinn für Kulinarik durchzusetzen sind. Zudem es an Spitzenrestaurants nicht mangelt, die vielen Schließungen auch Michelin ausgezeichneter Läden in den vergangenen Monaten deuten darauf hin, dass die Menschen auch in der Spitzengastronomie sparen. Gleichzeitig ist der Michelin mit der Vergabe seiner Auszeichnungen nicht unbedingt geizig.
Fischer weiß das natürlich. Und hätte sie es vergessen, müsste sie ihren neuen Arbeitsplatz nur kurz verlassen, um wieder daran erinnert zu werden. In den 900 Meter entfernten Egerner Höfen serviert Thomas Kellermann in dem mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurant Dichter Menüs mit fünf bis neun Gängen für 218 bis 288 Euro. Wer die Buchungskalender der naheliegenden Betriebe für die kommenden Wochen vergleicht, sieht schnell, dass im Überfahrt noch Luft ist.
Ein weiteres ausgezeichnetes Restaurant am See ist für alle gut, weiß auch Vincent Ludwig. Gourmetreisende, die mit wenig Reise mehr Sternerestaurants besuchen können, befördern Kommunen. Das Dorf Baiersbronn im Schwarzwald, ausgestattet mit jeweils zwei Dreisterne- und zwei Einsternerestaurants macht es seit Jahrzehnten vor. Dafür bräuchte es international anerkannte Bewertungen und die nach wie vor wichtigste Währung in der Kulinarik sind die Michelin-Sterne, die pro Stern eine Umsatzsteigerung von 10 bis 30 Prozent ausmachen könnten, wie die Schweizer Handelszeitung ausrechnete.
Das Seehotel Überfahrt hat für Fischer eine leere Bühne geschaffen, eine Blankoleinwand. Gemeinsam aufbauen, statt mit einem bekannten Namen möglichst Fakten zu schaffen. Damit das klappt, hat Fischer die Vorgabe aufgenommen, bei aller Suche nach Feinheit und Komplexität ein zugängliches, unkompliziertes und legeres Restauranterlebnis zu gestalten.
Statt Menüzwang sind es Vorschläge, Gäste dürfen frei auswählen aus zwei Menüs. Hin- und herspringen zwischen omnivor und vegetarisch und zurück? Immer gern. Eine Küche, die diktiert und dem Gast mit einem Menü keine Wahl lässt, sei nicht mehr zeitgemäß, weiß Direktor Ludwig.
Das Team in Küche und auch im Service sind teils ehemalige Mitarbeiter des Überfahrts, die wiedergekommen sind. Sommelière Marie-Christin Baunach etwa ist an ihre alte Wirkungsstätte zurückgekehrt. „Ich wurde auch mit dem bestehenden Weinkeller gelockt“, sagt Baunach, die einiges von dem, was hinter Glas liegt, schon vor der Pandemie angeschafft hatte und nun dankbar ist, auf gereifte Flaschen zurückgreifen zu können.
Eine Alternative zur militärischen Organisation des Kochens
Neuanfang mit Bekanntem, so lässt sich umschreiben, was im Überfahrt versucht wird. Und Cornelia Fischer wirkt entschlossen. Sie hat ihre Idee zum Essen, die auf die Kraft von Gemüse setzt, ethische Erwägungen einbezieht und lokalen Produkten den Vorzug vor von weit hergebrachten Luxuszutaten gibt.
Die Abwechslung gehört dazu.Cornelia Fischer, Küchenchefin im „Überfahrt“
Sie ist ebenfalls entschlossen, die Zusammenarbeit neu zu organisieren. Die Hochküche ist historisch spätestens seit Auguste Escoffier quasi militärisch organisiert mit klaren Befehlsstrukturen, mit denen sich vielleicht ein Feldzug organisieren lässt, aber heute keine Mitarbeiter finden lassen, die Top Down gar mit Gebrüll und Niedermachen akzeptieren würden.
„Das Team ist entscheidend“, sagt Fischer. Laut würde es bei ihr nie, alle würden an allen Posten tätig. „Die Abwechslung gehört dazu. Oder auch die Weiterentwicklung“, sagt Fischer. Gerichte würden gemeinsam entwickelt. Doch am Ende müsse eine Person entscheiden. Das sei sie. Ohne Diskussion.
„Mein Vorspeisenkoch beispielsweise entwickelt mit mir ein Gericht und sieht dann aber auch vor allem dieses Gericht und nicht das ganze Menü, wie es am Ende weitergeht. Und es muss ja trotzdem alles harmonisch zueinander passen, aufeinander abgestimmt sein“, sagt Fischer. Schlussendlich sei es auch Geschmackssache. Ihrer entscheide dann.
Die Ideen zu ihren Menüs haben keine singuläre Quelle. Ein Spaziergang, aber auch konzentriertes Überlegen können Ideen hervorbringen. Wo sie sich sehe zwischen Eingebung unter der Dusche und diszipliniertem Erarbeiten kreativer Konzepte? „Es ist die Mischung aus allem“, sagt Fischer.
Die Gäste werden zu Beginn des Abends informiert, dass vor jedem Gang ein kleiner Vorgang kommt, der das Gericht vorwegnimmt. Dessertbesteck für den Vorgeschmack, Messer und Gabel in Normalgröße für die Gänge. Es ist ein Weg, sich abzusetzen, eine persönliche Note zu setzen.
So wie die Wiederkehr der Leinsamenbällchen oder der Tarte bei den Petit Fours, die die Gäste schon als „Erster Schritt“ gleich zu Anfang kennen gelernt haben. Die Petit Fours sind folgerichtig auf den kleinen Kärtchen als „Letzter Schritt“ annonciert. Und egal wie die Gourmetkritik in der Zukunft über Fischers Arbeit urteilt, es scheint gewiss, dass die 40-Jährige in der Überfahrt noch einige Schritte gehen möchte.
❗️Exklusiv für Studierende: 12 Monate lesen, nur einen zahlen
