Ich will nicht ständig erreichbar sein. Wie signalisiere ich das den Kollegen?
Unsere Leserin ist noch neu im Team und leidet unter abendlichen Chatnachrichten ihrer Kollegen. Wie grenzt sie sich ab, ohne unengagiert zu wirken?
Die Frage: Seit sieben Monaten arbeitet unsere Leserin in der Rechtsabteilung eines größeren Unternehmens. Fünf Kollegen und Kolleginnen sind in ihrem Team. Die meisten verlassen gegen 17.30 Uhr das Büro, trotzdem trudeln danach regelmäßig Nachrichten über den gemeinsamen Teams-Kanal ein. Die Neue fühlt sich genötigt zu antworten, obwohl sie abends eigentlich abschalten möchte. Wie entkommt sie diesem Dilemma?
Die Antwort vom WiWo Coach Lena Wittneben: Was Sie schildern, hat auf den ersten Blick mit Erreichbarkeit zu tun. Auf den zweiten mit etwas Tieferem: mit Anpassung, mit unausgesprochenen Erwartungen, mit der Angst, als nicht engagiert zu gelten. Wer neu im Team ist, spürt das besonders deutlich. Niemand fordert von Ihnen ausdrücklich Reaktionen am Abend. Und trotzdem verschicken Sie Antworten, weil alle es tun oder Schweigen auffallen könnte. Und weil Dazugehören oft wichtiger scheint als Abschalten.
So entstand ein leiser und schleichender Druck, bis Sie das Gefühl hatten, immer verfügbar sein zu müssen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Dabei ist das Gegenteil richtig: Wer sich abgrenzt, übernimmt Verantwortung für sich und für ein gesundes Miteinander.
Mein Vorschlag: Fangen Sie bei sich an. Kein großes Aufbäumen, kein Drama. Nur Klarheit. Benachrichtigungen aus. Antworten am nächsten Tag. Ohne Rechtfertigung und schlechtes Gewissen. Sie leisten genug, auch ohne abends auf Teams-Nachrichten zu reagieren. Wer ständig sofort antwortet, signalisiert: Ich bin immer ansprechbar. Wer bewusst später antwortet, macht ebenfalls etwas deutlich – nämlich, dass der Tag auch ein Ende haben darf.
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Wenn sich ein Moment ergibt, sprechen Sie das Thema auch einfach ganz vorsichtig mal in einer Besprechung an: „Wie geht’s euch eigentlich damit, abends noch Nachrichten zu bekommen?“ Es kann gut sein, dass andere längst ähnlich fühlen. Und dankbar sind, wenn mal jemand den Anfang macht.
Vielleicht ist auch Ihre Führungskraft dabei – das muss nicht abschrecken. Im Gegenteil: Manchmal entstehen gerade daraus klärende Gespräche. Eine Bekannte von mir hat die abendliche Erreichbarkeit einmal angesprochen, und ihr Chef sagte ganz überrascht: „Ich habe nie erwartet, dass jemand abends noch antwortet.“ Solche Aussagen können entlasten – und zeigen: Nicht immer liegt die Erwartung da, wo wir sie vermuten.
Grenzen sind kein Rückzug. Sie sind ein Zeichen von Selbstrespekt. Und oft der Anfang von echter Veränderung.
Lena Wittneben arbeitet als systemische Coach in Hamburg. Sie berät Menschen unter anderem in Fragen zur Selbstorganisation und hilft ihnen, mit mentalen Belastungen umzugehen.
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