„Ihr Pflägerlein kommet“: Wie kann man Menschen für den Pflegedienst begeistern?
„Ich wünsche mir, dass Deutschland endlich aufwacht und sieht, was für Helden und Heldinnen die Pflegekräfte sind. Klatschen und eine Packung Merci-Schokolade reichen einfach nicht“, sagt Pflege-Comedian Ramona Schukraft, die als Sybille Bullatschek unterwegs ist, im Interview mit consil med, einer Fachpflegepersonalvermittlung, die Pflegefachkräfte mit Einrichtungen aus dem Pflege- und Gesundheitsbereich zusammenbringt. Denn aufgrund des demografischen Wandels nimmt die Zahl der betreuungsbedürftigen Menschen stetig zu.
Ramona Schukraft hofft, dass den Menschen bewusster wird, dass es letztlich auch ihnen nutzt, wenn es mehr Menschen gibt, die diesen Beruf ausüben. Doch permanent wechseln Menschen aus der Pflege in einen anderen Beruf oder sind gesundheitlich so angeschlagen, dass sie nicht mehr können. Für die Pflegekräfte, die noch da sind und durchhalten, bedeutet das zusätzlichen Stress. Aufgrund ihrer Situation sind viele Pflegekräfte durch Zeitmangel, Doppelschichten und Bezahlung demotiviert.
Mit dieser Identifikationsfigur, die wie die Pflegekräfte denkt und fühlt, möchte sie Menschen in der Altenpflege motivieren und ihnen gleichzeitig auf persönliche Weise danken: „Mit Klatschen und einem kleinen Bonus ist es einfach nicht getan.“ Mit ihren vier Kabarett-Programmen „Volle Pflägekraft voraus!“, „Pfläge lieber ungewöhnlich“, „Ich darf das, ich bin Pflägekraft!“ und „Sybille sagt Danke“ tritt sie vorwiegend auf Pflegekongressen, in Heimen und in Theatern auf und bringt Menschen in ganz Deutschland zum Lachen. Humor baut Stress ab, kann das Schmerzempfinden senken und stärkt das Immunsystem. Davon profitieren vor allem Patient:innen, aber auch die Pflegekräfte selbst, die viele Hürden zu überwinden – körperlicher und zwischenmenschlicher Art – zu überwinden haben.
Im Interview verweist sie aber auch auf die Ernsthaftigkeit der Lage im Pflegebereich, der nicht nur auf Profit ausgerichtet sein darf, sondern wieder die Menschlichkeit in den Mittelpunkt gestellt werden muss. Allerdings geht sie durch den Pflegenotstand verloren. Viele Stellen können nicht mehr besetzt werden, weil die nötigen Fachkräfte fehlen. Um sie zu bekommen, braucht es entsprechende Anreize, die auch eine bessere Bezahlung schaffen kann: „Wenn die Bundeswehr hundert Milliarden für Waffen und Panzer bekommt, warum kann man dann nicht im Pflegesektor mehr locker machen? Das Geld scheint ja offensichtlich da zu sein. Warum sollen sich Menschen den Rücken kaputtmachen, am Wochenende Schicht arbeiten und ständig Doppelschichten schieben, wenn ihr Engagement trotz allem mit Nichtachtung und einem schlechten Gehalt gestraft wird?“
Dafür setzt sich auch Werner Neumüller, Geschäftsführer der Neumüller Unternehmensgruppe, zu der auch consil med gehört, ein: „Ihr täglicher Einsatz für die Gesellschaft und die Patienten verdient größten Respekt. Unser Ziel ist es, den Pflegekräften die Anerkennung zu verschaffen, die ihnen zusteht.“ Die Pflege, die ein hochspezialisiertes und differenziertes Aufgabenspektrum mit sich bringt und vielfältige Entfaltungsmöglichkeiten bietet, gehört für ihn zu den Berufen der Zukunft. „Pflegekräfte benötigen sie auch entsprechende Rahmenbedingungen, die ihnen ermöglichen, ihre Arbeit zufriedenstellend und in entsprechender Qualität zu leisten. Häufig herrscht enormer Zeitdruck, woraus auch Fehleranfälligkeit resultiert – und schließlich alles zu großer Unzufriedenheit führt.“
Im Blog des Unternehmens setzen sich die Personalexpert:innen vertiefend auseinander, denn im Pflegeberuf sind Fehler (z. B. Austrocknung oder Mangelernährung, unterlassene Prophylaxe oder Krankheitsbeobachtung, falsche oder unterlassene Wundversorgung, Medikationsfehler, Dekubitus) praktisch vorprogrammiert: „Denn Personalknappheit, die hohe Arbeitsbelastung und die große Zeitnot machen die Arbeit als Pflegekraft enorm fehleranfällig.“ Das kann drastische Folgen haben. Pflegekräfte erfahren hier beispielsweise, was sie tun können, wenn ihnen ein Fehler in der Pflege passiert. Zudem geht es um eine gesunde Fehlerkultur in der Pflegeeinrichtung.
Gute und hochprofessionelle Arbeit braucht aber auch gute Rahmenbedingungen. Dazu gehören eine angemessenes Vergütung und Urlaub, flexiblere Arbeitszeiten bzw. individuelles Arbeitszeitmodelle, Mitsprache bei der Dienstplangestaltung und Unterstützung bei Aus- und Weiterbildungen. Das sind nur einige von vielen Vorteilen, mit denen Zeitarbeitsunternehmen um Pflegekräfte werben. Zeitarbeitende werden vor allem dann in Einrichtungen benötigt, wenn dort Pflegekräfte ausfallen oder kurzfristig Unterstützung benötigt wird. Es ist ein Vorurteil, sagt Neumüller, „dass eine Anstellung in der Zeitarbeit negativ im Lebenslauf auffällt, denn durch die wechselnden Einsätze gelingt es, in wenigen Jahren Erfahrungen und Kompetenzen zu sammeln, die sich Festangestellte in dieser Zeit kaum aneignen können.“
Durch die Tätigkeit an verschiedenen Einsatzorten können auch Berufsanfänger besser herausfinden, wo sie als Pflegekraft am liebsten arbeiten. Aber auch nach einem Wiedereinstieg in den Berufsalltag kann es durchaus sinnvoll sein, in die Zeitarbeit zu wechseln. Arbeitnehmerüberlassungen helfen zum Beispiel nach der Elternzeit oder auch nach einer längeren Krankheit, leichter wieder einzusteigen: Der Einstieg in den Arbeitsalltag gelingt schneller, und die eigenen Qualifikationen können durch die verschiedenen Einsatzorte auf den neuesten Stand gebracht werden.
Ein wesentlicher Grund, weshalb viele Pflegekräfte in die Zeitarbeit wechseln, ist das Gehalt, denn hier verdienen sie oft besser. „Ich mache in der Zeitarbeit dieselbe Arbeit und es ändert sich für mich nichts. Nur verdiene ich einfach mehr als zum Beispiel in meiner alten Klinik“, sagt eine Pflegekraft. Hier hatte sie auch das Gefühl, nur eine von vielen zu sein. Eine andere Gesundheits- und Krankenpflegerin verweist darauf, dass gerade in Mangelberufen wie der Altenpflege die Leiharbeit boomt - zum Vorteil der Leiharbeiter:innen. Denn sie können ihre Arbeitsbedingungen zum Teil besser aushandeln als Festangestellte. „Insbesondere bei den Arbeitszeiten, aber auch bei der Bezahlung. So erhalten Leiharbeiter teilweise 300 Euro brutto mehr als eine festangestellte Pflegerin.“
In der Zeitarbeit können Mitarbeitende mehrmals im Jahr die Einrichtung wechseln. Für einige Menschen ist das zu anstrengend – andere sehen im Wechsel der Einsatzorte (es gibt bundesweit Arbeitsmöglichkeiten in Kliniken, Pflegeheime, ambulante Dienste etc.) einen Aufbruch zu beruflicher Weiterentwicklung. Die Zeitarbeit ist für viele auch ideal, wenn sie nebenberuflich arbeiten. Studierende können ihre Schichten an ihren Stundenplan anpassen. Auch die Zeit mit der Familie kann den eigenen Wünschen angepasst werden.
Ramona Schuhkraft als Altenpflegerin Sybille Bullatschek: Humor in der Pflege
Pflegefehler – Wie Du mit Fehlern in der Pflege richtig umgehst
Demografischer Wandel: Pflegekräfte brauchen mehr als eine faire Bezahlung
Menschlichkeit und Freude ins Gesundheits- und Pflegewesen bringen – aber wie?
Nachhaltiges Recruiting in der Gesundheits- und Krankenpflege
Hinter den Zahlen des Pflegenotstands: Einblicke in den Klinikalltag
Werner Neumüller: Die Grenzen der Rationalität. In: Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021, S. 107-110.