Im Dienst der Jugend
Karin Gätschenberger-Bahler ist Jugendbeauftragte der Gemeinde Burgthann. Als Berufsschullehrerin hat sie 40 Jahre lang junge Menschen durch ihre Ausbildung begleitet. Eine wertschätzende Kommunikation erlebte sie dabei häufig als Schlüsselkompetenz. Als Sprach- und Kommunikationstrainerin gibt sie heute diese Erfahrungen an Pädagog:innen weiter.
Ich sehe mich als Mittlerin zwischen Gemeinderat und den Belangen der Kinder und Jugendlichen der Gemeinde. Als ich 2020 in der konstituierenden Sitzung des Gemeinderats beauftragt wurde, gab es hier in Burgthann keine Blaupause für mein Ehrenamt. Fündig geworden bin ich beim Bayerischen Jugendring: Demnach entwickelt eine verantwortungsvolle Jugendpolitik positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien. Sie schafft Strukturen, damit diese an der Entwicklung der Gemeinde teilhaben können, und sie achtet auf den Erhalt einer kinder- und familienfreundlichen Umwelt. Die Gemeinden sollen im Rahmen ihrer Möglichkeiten die erforderlichen Dienste und Einrichtungen der Jugendarbeit bereitstellen. Mit Unterstützung des Kreisjugendrings und meinen Ideen habe ich mich auf den Weg gemacht. Informationen zur Situation junger Menschen und regelmäßige Berichte im Jugendausschuss des Gemeinderates gehören zu meinen Aufgaben.
In einem ersten Schritt habe ich mich bei den für Kinder und Jugendliche verantwortlichen Institutionen wie Kindertagesstätten, Schulen und Kirchen bekannt gemacht und mich mit ihren Anliegen befasst. Daraus ist teilweise ein fruchtbarer Austausch entstanden. So findet inzwischen regelmäßig ein „Bildungsstammtisch“ mit den Schulen und Horten statt. Dabei geht es um Sorgen und Nöte sowie um bestmögliche Lösungen für Kinder und Jugendliche. Auch der Kontakt zur Jugendsozialarbeit (JaS) an Schulen ist für mich wichtig. Frau Kleinheyer an der Mittelschule fängt die Jugendlichen auf, deren schulisches Lernen durch andere Herausforderungen beeinträchtigt ist. Jedes 5. Schulkind braucht ihre niederschwellige Hilfe bei Themen wie Gewalt, Trauer, Angst, Mobbing und Krisen in den Familien. Sie entlastet damit die Lehrkräfte. Das ist eine wertvolle Arbeit. Ich bin froh, dass die Gemeinde Burgthann die Stelle mitfinanziert. Das hat mich ermutigt, mit dem Gemeinderat zusammen einen Antrag für eine weitere JaS-Stelle an der Grundschule auf den Weg zu bringen. Denn auch in den Grundschulen gibt es immer mehr Kinder, die mehr als Wissensvermittlung brauchen.
Das beste Beispiel dafür war unsere Zukunftswerkstatt. 2021 war es mir gelungen, den Gemeinderat von diesem wunderbaren Angebot des Kreisjugendrings zu überzeugen. Alle Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren wurden persönlich zu diesem Workshop eingeladen. Ca. zehn Prozent der Altersgruppe, 70 junge Menschen, waren gekommen, um sich mit ihren Ideen einzubringen. Mit großer Motivation haben sie vier Stunden lang an den Themenbereichen Infrastruktur, Freizeit, Bildung und in der „Königsecke“ an ihren Wünschen gearbeitet. Fazit: Die Jugendlichen wünschen sich u.a. Bademöglichkeiten, Mountenbike-Strecken im Wald und bessere Bedingungen fürs Fahrradfahren, verbunden mit Verkehrssicherheit. Ein weiteres Anliegen ist der Natur- und Umweltschutz. Ganz wichtig sind Angebote und Treffpunkte auch für Ältere.
Diese praktische Beteiligung an der Gemeindepolitik hat die jungen Menschen berührt. Einige Jugendliche haben sich bereiterklärt weiter mitzuwirken. Mit ihnen tausche ich mich immer wieder aus. Die große Herausforderung für die Gemeinde ist es nun, die Ergebnisse konkret umzusetzen. Gleichzeitig müssen wir den Mitwirkenden vermitteln, an Lösungen mitgewirkt zu haben. Nur durch dieses Feedback entsteht ein Gefühl wichtig und wirksam für die Gesellschaft zu sein.
Als Berufsschullehrerin war ich von Anfang an fasziniert, wie junge Menschen während ihrer dualen Ausbildung wachsen. Selbst Schülerinnen und Schüler, die sich mit dem theoretischen Lernen schwertun, übernehmen im Betrieb sofort praktische Verantwortung. Plötzlich sind sie wer - beispielsweise im Verkauf am Bankschalter, im Handwerk oder beim Kunden. Das macht sie stark. Diese Persönlichkeitsentwicklung flankierend begleiten zu dürfen, war für mich großartig. Ich bedaure immer, dass ein Teil der Gesellschaft diesen Bildungsweg im Vergleich zum gymnasialen so wenig schätzt.
Das war Schicksal. Die Geburt unseres zweiten Kindes mit einer Lippenkiefer-Gaumen-Spalte war ein Schock. Gleichwohl haben wir in derselben Nacht unser Schicksal emotional und bewusst angenommen. Trotzdem war das manchmal eine schwere Zeit. Heute weiß ich, dass mich alle damit verbundenen Erfahrungen mit Ärzten und Behörden gestärkt haben. Vorgesetzte haben meine lebenspraktische Qualifikation erkannt und mir eine Stelle an der Förderberufsschule am Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte in Nürnberg angeboten. Dort musste ich mir die sehbehinderten-spezifischen Kenntnisse erst aneignen. Meine Erfahrung mit dem Thema Behinderung, mit der von mir gegründeten LKGS-Selbsthilfegruppe in der Region und der Austausch mit Eltern waren eine hervorragende Basis.
Und schließlich hat mich die Arbeit mit blinden und sehbehinderten jungen Menschen von Anfang an begeistert. Deren Ausbildung ist fundamental für die Teilhabe im Beruf und am gesellschaftlichen Leben. Dazu konnte ich als Berufsschullehrerin meinen Beitrag leisten. Umgekehrt konnte ich von sehr viel von meinen Schülerinnen und Schülern lernen. Das Internet – gerade 30 geworden - hat blinden und sehbehinderten Menschen eine neue Welt eröffnet. Plötzlich war beispielsweise das Lexikon nicht mehr ein meterlanges Monstrum, sondern im PC oder Notebook jederzeit, an jedem Ort und schnell zugänglich!
Die Digitalisierung im kaufmännischen Bereich hat die beruflichen Chancen blinder und sehbehinderter Menschen deutlich verbessert. Mit einer Braillezeile am PC können blinde Menschen Texte lesen und bearbeiten oder sich mit der Sprachausgabe vorlesen lassen. Die Erfindung des iPhone war für diese Nutzergruppe eine weitere Revolution. Mit VoiceOver war es von Anfang an barrierefrei. Dennoch ist die Vermittlung in Arbeit auch heute oft noch schwierig. Ökonomische Aspekte sind das eine, häufig sind auch Barrieren in den Köpfen der Menschen das Hindernis. Meine Hoffnung ist der Fachkräftemangel. Er zwingt Unternehmen dazu, bisher wenig beachtete Ressourcen zu heben.
Ja, ich bin noch im Vorstand der Arbeitsgruppe „Berufsvorbereitung und Berufliche Teilhabe“ im Verband der Blinden- und Sehbehindertenpädagogik. Wir arbeiten gerade an Leitlinien für die Berufsvorbereitung. Zudem sind die IHK-Prüfungen bis heute nicht barrierefrei, obwohl Deutschland die BRK (Behindertenrechtskonvention) schon lange unterschrieben hat. Mein weiteres Engagement gilt der Ausbildung Medizinisch-Taktiler Untersucherinnen in der Brustkrebsvorsorge als Erstausbildung. Bisher gibt es sie nur als Reha-Maßnahme.
Lebenspraktische Fertigkeiten werden beim Tun erworben. Das ist bei Kleinkindern auf dem Spielplatz sehr schön zu beobachten. Ein Kind entdeckt einen Kletterbaum: Es wird so lange hochklettern und seine Fähigkeiten austeste, bis es zufrieden ist. Vorausgesetzt, Erwachsene hindern das Kind nicht mit Kommentaren und Warnungen. Das ist zuhause genauso. Kinder wollen zunächst alles tun, was sie bei Erwachsenen sehen: den Tisch decken, kochen, backen… Das Zutrauen der Eltern in die wachsenden Fähigkeiten ist für das Kind elementar. Ich habe den Eindruck, dass manche Eltern ihre Kinder überbehüten und ihnen damit viele Entwicklungschancen nehmen. Mit den sozialen Kompetenzen ist es ähnlich. Wir Menschen sind soziale Wesen. Ohne Zuwendung und menschliche Kontakte verkümmern wir. Die Eltern, Geschwister, Freunde, Kinder- und Jugendgruppen, Kindertagesstätten, Schulen sowie das Dorf bieten auf natürliche Weise soziale Lernfelder und zugleich ein geschütztes Umfeld. „Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf.“ Dieses afrikanische Sprichwort trifft es gut.
In Burgthann bieten die Vereine zusätzlich Möglichkeiten. Die politische Gemeinde hat die Aufgabe, bestmögliche Lebensbedingungen für Kinder und Jugendliche zu schaffen. Dazu gehören für Heranwachsende auch Jugendtreffpunkte. In unseren Schulen haben wir lange Zeit das soziale Lernen zugunsten von Theorie und Leistung vernachlässigt. Zunehmender Egoismus in der Gesellschaft einerseits und die die Bedeutung von Teamfähigkeit für gute Ergebnisse in Schule und Beruf führten zu veränderten Lehr- und Lernmethoden in den Schulen.
Inzwischen wissen wir, dass in uns viele Talente schlummern. Um herauszufinden, was ein Mensch gut kann, braucht er möglichst breitgefächerte Angebote oder Betätigungsfelder. So kann ein Kind im Kindergarten mehr verschiedene Erfahrungen sammeln als nur zuhause. Schulen bieten neben den Grundfächern zusätzliche Neigungsgruppen an. Mittelschulen, Montessori- oder Waldorfschulen bieten auch Schülerinnen und Schülern mit praktischen und kreativen Talenten Übungs- und Lernmöglichkeiten. Sie fallen in unserem üblichen Schulsystem oft durch das Raster, haben keine Erfolgserlebnisse, keine adäquaten Abschlüsse und fühlen sich schließlich als Verlierer. Das ist eine menschliche Tragödie und eine gesellschaftliche Ressourcenverschwendung. Also mein Plädoyer: Alle Bildungseinrichtungen brauchen ein breitgefächertes Lernangebot für alle Schülerinnen und Schüler. Talententdeckung allein genügt noch nicht. Zur Entfaltung gehören neben der Persönlichkeit vor allem Motivation, Durchhaltevermögen und entsprechende Förderung. Selbst ein hochbegabter Geiger oder eine Sportlerin brauchen Übung. Mit Übung kann man auch mit mittlerer Begabung zu seinem Ziel kommen. Die gute Nachricht: Wir alle haben Fähigkeiten und sind lebenslang in der Lage zu lernen.
Es gibt schon gute Ansätze zur Vorbereitung des Übergangs von der Schule in den Beruf. Beispielsweise in unseren Mittelschulen fängt die Berufsorientierung in der 7. Klasse an, Betriebserkundung und Praktika folgen. So befassen sich die Jugendlichen sehr früh mit dem Thema Beruf und mit ihren Stärken und Schwächen. In unseren Gymnasien ist der Übergang zum Studium bzw. in Ausbildung immer noch unzureichend. Wie sonst lässt es sich erklären, dass viele Abiturienten nicht wissen, was sie werden wollen. Und ein Drittel aller Studierenden bricht das Studium nach den ersten Semestern ab, um schließlich doch eine Ausbildung zu machen. Die IHK und die Bundesagentur für Arbeit bieten gute online-Module, mit denen junge Menschen herausfinden können, welche Ausbildung oder welches Studium zu ihren Stärken und Interessen passt. Doch auch hierfür braucht es eine Begleitung durch Lehrkräfte. Das Thema Berufsorientierung gehört in alle Schulen!
Oh, das ist ein interessanter Gedanken. Ich ergänze Wissen um Offenheit für Neues und die Bereitschaft, immer wieder dazu zu lernen. Wer bereit ist zu lernen, entwickelt sich weiter. Wissen, Neugier und Lernbereitschaft sind Voraussetzung für Veränderungen. Nun zu Ihrem zweiten Gedanken: Wie bin ich der Person geworden, die ich heute bin? Meine Schullaufbahn war es gewiss nicht - acht Jahre Volksschule, Handelsschule, Wirtschaftsabitur. Dafür hatte ich als fünftes Kind im elterlichen Hof und Gastwirtschaft viel lebenspraktische Erfahrung gesammelt. Erst im Studium habe ich gemerkt, dass ich damit und mit meiner Energie viel mehr erreichen kann. Mit zwei Abschlüssen als Diplom Kauffrau und Wirtschaftspädagogin standen mir viele Wege offen. Parallel zu meiner Tätigkeit als Forschungsassistentin habe ich immer wieder stundenweise an einer Berufsoberschule unterrichtet. Da habe ich erlebt, dass ich junge Menschen begeistern und motivieren kann. So habe ich mich – statt in die freie Wirtschaft zu gehen – entschieden, Berufsschullehrerin zu werden.
Mein Selbstbild hat sich mitentwickelt. Zudem braucht man Glück und Menschen, die einem ermutigen und in der Not hinter einem stehen. In meinem Fall waren es meine Familie, einzelne Lehrer, Vorgesetzte, Kolleg:innen und nicht zuletzt ehemalige Schüler:innen. Mit dem Erleben der Wirksamkeit hat sich mein inneres Bild von mir und dem, was ich sein will, schrittweise entwickelt, ohne starr zu werden. Der Prozess war immer auch begleitet von Selbstzweifeln. Gleichzeitig habe ich immer eine Idee, ein Ziel, eine Vision von dem, was ich gerade mache. So habe ich mein pädagogisches Talent immer mehr verfeinert und bin Begleiterin für viele junge Menschen und Pädagog:innen geworden.
Erwachsenwerden ist bei uns Menschen ein Prozess. Ein Säugling ist auf dauernde Fürsorge angewiesen. Mit dem ersten Robben und Krabbeln wird der Kreis größer. Die Neugier treibt das Kind immer weiter. Abenteuer und Gefahren wachsen und mit ihm das Kind. Nehmen wir die Treppe im Haus. Jedes Kind will hochkrabbeln, kann jedoch nicht abschätzen, wie es wieder runterkommt. Soll die Treppe abgesperrt werden, oder zeige ich dem Kind immer wieder, wie es rückwärts nach unten kommt. Das braucht Zeit, Geduld und Zutrauen. Für Eltern ist das eine Gradwanderung. Genauso läuft es nach beim Laufen lernen. Zunächst ist die Hand des Erwachsenen z.B. beim Treppensteigen eine Führung. Nach und nach lässt das Kind immer öfter los und will selbstständig gehen. Hier braucht es Ermutigung und Lob, bis der Schritt immer besser gelingt. Mit der Zeit lernt das Kind auch die Gefahren besser einzuschätzen. Risikokompetenz beinhaltet beides, Gefahrenbewusstsein und die Fähigkeit der Selbststeuerung.
Beim Radfahren ist der Vorgang noch komplexer. Ein gutes Gefühl für Balance und die Koordination von Lenken und Treten kommen als weitere Lernschritte hinzu. Klettern, Schaukeln, Balancieren, auf einem Bein stehen und Laufrad fahren sind hervorragende Basiselemente. Radfahren selbst braucht dann viel Übung. Das gelingt am besten täglich im Hof und bei Ausfahrten mit den Eltern. Vorsichtig tasten sich Eltern mit den Kindern an Kreuzungen und andere Gefahrenstellen heran, bis das Kind kleine Fahrten selbstständig bewältigen kann und ein Bewusstsein für die Gefahren bekommt. Eine große Herausforderung bleibt dabei unser Straßenverkehr mit der eher Auto freundlichen Gestaltung von Straßen und Übergängen. Sie sind selbst für Erwachsene oft gefährlich. Wir brauchen dringend, auch auf dem Land, Kinder- und Fahrradfreundlichere Infrastruktur.
Vielen Dank für das Gespräch.
Karin Gätschenberger-Bahler, studierte von 1971 bis 1975 Diplom-Kauffrau und Diplom Handelslehrerin. Anschließend arbeitete sie drei Jahre als Forschungsassistentin im Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialpsychologie. 1979 startete sie mit dem Referendariat als Berufsschullehrerin in Erlangen und Bayreuth. Von 1982 bis 1992 war sie in der Berufsschule Ansbach in verschiedenen kaufmännischen Ausbildungen überwiegend in Teilzeit tätig, um die eigene Familie mit zwei Kindern und den Beruf miteinander vereinbaren zu können. Gleichzeitig war sie ehrenamtliche Prüferin für die IHK-Mittelfranken. 1992 wechselte sie in das Berufliche Schulzentrum für Blinde und Sehbehinderte am bbs nürnberg, wo sie als Berufsschullehrerin mit blinden und sehbehinderten jungen Erwachsenen arbeitete. In den letzten zwölf Jahren war sie als Schulleiterin für das Berufsschulzentrum verantwortlich und wirkte im Management des bbs nürnberg bei der Schul- und Einrichtungsentwicklung mit. In der Gemeinde Burgthann engaiert sie sich als Jugendbeauftragte.
Bildung heißt, aus den Menschen etwas herausbringen – und nicht in sie hinein
Ann-Sophie Czech: Generation „You can do this“. Ein Erfahrungsbericht über das Suchen und Finden von Bestimmung in der Nachhaltigkeit. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020, S. 89-101.