Im Kampf ums automatisierte Auto sind China und Deutschland im Endspiel
Die Technologie gilt als das nächste große Ding. Deshalb investieren chinesische Hersteller Milliarden in selbstfahrende Autos. Doch auch VW, BMW, Bosch und ZF geben sich nicht geschlagen.
Auf Chinas Straßen sieht man sie immer häufiger: Autos mit einer Art Lampe auf dem Dach. Und tatsächlich sendet diese ein – allerdings für Menschen unsichtbares – Licht aus: Ein Laser tastet die Umgebung vor dem Fahrzeug ab. Die auf diese Weise gesammelten Informationen verarbeitetet ein Hochleistungsrechner dann zu einem umfassenden Bild von allem, was vor dem Auto passiert: Läuft ein Kind auf die Straße? Bremst der Vorausfahrende? Kommt eine Kurve?
Lidar heißen diese Sensoren, die extrem teuer sind. Deshalb nutzen sie derzeit nur wenige Hersteller wie Mercedes oder BMW in ihren Luxuslimousinen. Nicht so die Chinesen: Nio, Geely, BYD – in immer mehr Modellen kommen Lidars bereits zum Einsatz. Auch in kleineren Modellen.
Denn Lidar, das Lichtradar, ist ein wichtiger technischer Baustein für automatisiertes Fahren. Und das gilt nach der E-Mobilität als das nächste große Ding in der Automobilindustrie. Denn während der Elektroantrieb für den Fahrer eigentlich nur Nachteile hat (wie Reichweite und hohe Kosten), bringt automatisiertes Fahren einen echten Komfort- und Zeitgewinn. Beim Fahren können E-Mails beantwortet, Berichte gelesen oder Filme geschaut werden. Auch ein Schläfchen soll möglich sein, wenn Autos erst autonom unterwegs sind.
Automatisiertes Fahren: echter Komfort- und Zeitgewinn
Deshalb arbeiten die chinesischen Hersteller mit Hochdruck an der neuen Technik. Sie könnte nicht nur das Autofahren, sondern auch den ÖPNV revolutionieren. Autohersteller und Zulieferer investieren Milliardensummen in automatisierte Fahrfunktionen – auch die deutschen. Denn während China in der Batterietechnik die westliche Konkurrenz abgehängt hat, wollen VW, BMW und Mercedes dieses Mal vorn dabei sein – unterstützt von ihren Lieferanten wie Bosch und ZF.
Wie weit die Chinesen schon sind, zeigt eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung Alix Partners. Dem Report zufolge waren in China im vergangenen Jahr fast 60 Prozent der verkauften Pkw mit einem Fahrerassistenzsystem (englisch: Advanced Driver Assistance System, ADAS) Level 2 und höher ausgestattet, während es in den USA weniger als 40 Prozent waren. 2021 waren es in beiden Ländern 24 Prozent.
In Level 2 kann der Fahrer zumindest eine Zeit lang die Hände vom Steuer nehmen, Kolonnenfahrten auf der Autobahn oder das Ein- und Ausparken dem Auto überlassen. In Level 3 darf er auch die Augen von der Straße nehmen, um zum Beispiel das Smartphone zu nutzen. In Level 4 wird der Fahrer auf bestimmten Strecken, zum Beispiel auf der Autobahn, nicht mehr gebraucht und dürfte sogar schlafen. In Level-5-Fahrzeugen wird der Mensch dann zum reinen Passagier.
Kein zweites E-Auto-Debakel
In China wollen die deutschen Unternehmen auf jeden Fall dabei sein und nicht – wie beim Elektroantrieb – den Wettbewerb davonziehen lassen. VW und Continental haben eine Kooperation mit Horizon Robotics abgeschlossen, einem führenden Anbieter für ADAS-Komponenten in automatisierten Autos.
Bosch hat auf der jüngsten Automesse in Shanghai eine ganze Produktfamilie vorgestellt, die automatisiertes Fahren in allen Fahrzeugklassen ermöglichen soll: „Vom Kleinwagen über die Mittelklasse bis hin zum Premiumfahrzeug haben wir die passende Software und Hardware für Fahrerassistenzfunktionen. So können Automobilhersteller Funktionen einfach in ihre Fahrzeuge integrieren und schnell auf den Markt bringen“, sagt Bosch-Geschäftsführer Christoph Hartung. China ist aktuell der größte Markt für solche Funktionen, da will Bosch dabei sein.
Aber auch in Europa wächst der Markt. Mercedes ist der erste Hersteller, der hier eine Zulassung für Level 3 hat – auf Autobahnen und bis 95 km/h. Die meisten anderen Hersteller begnügen sich noch mit Level 2. Das Rennen ist also offen.
Günstigere Voraussetzungen für die Chinesen
Dennoch haben die Chinesen einige Wettbewerbsvorteile: Sie haben Zugang zu leistungsfähigen Microchips, einer großen Anzahl gut ausgebildeter KI-Experten, und das Thema Datenschutz spielt in China keine Rolle. Fahrdaten von Millionen Autofahrern stehen den Unternehmen problemlos zur Verfügung. Zudem entwickeln chinesische Hersteller neue Produkte in der Hälfte der Zeit, die westliche Konzerne brauchen – Stichwort: China Speed.
Und sie haben einen Kostenvorteil: „Die Spirale von mehr Technik für weniger Geld beschleunigt sich weiter. Immer mehr Hightech kommt deshalb serienmäßig in die neuen Modelle, während die Preise niedrig bleiben. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich dies in naher Zukunft ändern wird“, sagt Fabian Piontek, Partner bei Alix. „Eine wachsende Zahl globaler Automobilhersteller versucht, durch neue strategische Partnerschaften mit chinesischen Unternehmen von ihnen zu lernen, um im chinesischen Markt relevant zu bleiben.“
Parallel entwickeln die deutschen Konzerne in Nordamerika und Europa eigene autonome Fahrsysteme – auch für die Anwendung im ÖPNV. Moia, der Ridepooling-Dienst von Volkswagen, testet derzeit automatisierte Kleinbusse mit Level 4 in Hamburg. An Bord ist nur noch für den Notfall ein Fahrer. Für solche Fahrdienste wäre automatisiertes Fahren ein Game-Changer, denn das teuerste am Busbetrieb ist der Fahrer. Fällt der weg, könnten Moia oder Uber ihre Dienste sehr viel günstiger anbieten und endlich auch Geld verdienen.
Automatisierte Kleinbusse statt Individualverkehr
Nun hat Moia die Tests auf die USA ausgeweitet: Gemeinsam mit Uber will Moia in den kommenden zehn Jahren eine Flotte von mehreren Tausend elektrischen und vollständig autonomen ID. Buzz in mehreren US-Städten einsetzen. Start ist in Los Angeles. Auch in Oslo testet MIOA autonome Shuttle nach Level 4: Oslo plant, den gesamten Individualverkehr aus der Innenstadt zu verbannen und durch automatisierte Kleinbusse zu ersetzen.
2027 will Moia autonome Fahrzeuge in Hamburg in Betrieb nehmen – zunächst in einem Teil der Innenstadt und der noch jungen Hafencity. Bis Ende Juni setzt der Zulieferer ZF Friedrichshafen in seiner Heimatstadt und in Mannheim selbständig fahrende Busse ein. Unter anderem soll getestet werden, wie solche Fahrzeuge ohne Fahrer von der Bevölkerung akzeptiert werden: Wie werden die Kunden reagieren, wenn vorn kein Fahrer mehr im Bus sitzt.
In China hat die öffentliche Akzeptanz vor wenigen Wochen einen Rückschlag erlitten: Nach einem Unfall mit einem automatisiert fahrenden Auto der Marke Xiaomi, bei dem drei Frauen ums Leben kamen, sind die Behörden eingeschritten. Sogenannte „Pioniernutzer“ mit Betaversionen auf die Straßen zu lassen, ist nun nicht mehr erlaubt. In der IT-Branche ist es üblich, Kunden bei der Entwicklung neuer Funktionen einzubinden. Erst nach mehreren Updates funktioniert alles.
Beim automatisierten Fahren geht auch in China künftig Sicherheit vor Speed.
