Im Namen der Pressefreiheit
Nach dem Ampeldesaster und dem vorläufigen Aus für den „gemeinnützigen Journalismus“ wird in Deutschland eine allgemeine Pressehilfe immer unwahrscheinlicher. Es gibt aber Lösungen.
Über Abonnements und Werbung lässt sich Presse nicht mehr finanzieren. Aber ihre Bedeutung für die Gesellschaft sinkt nicht automatisch mit, sondern steigt eher.Anne Webert, stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV)
Zwei Frösche springen aus Neugierde in einen Milchtopf. Sie laben sich eine ganze Weile an der leckeren Fettmilch, bis sie irgendwann bemerken, dass sie nicht mehr aus dem Topf herausklettern können. „Es gibt keine Rettung mehr, was sollen wir uns abplagen, es ist alles umsonst!“, schreit der eine Frosch und ertrinkt. Der andere Frosch gibt nicht auf und beginnt zu strampeln – so lange, bis die Milch zu einem Butterbrocken wird, so dass er sich schließlich mit einem beherzten Satz über den Rand des Topfes retten kann.
Diese Fabel des griechischen Dichters Aesop erinnert an das verrückte Dilemma, in dem sich die deutsche Presselandschaft seit geraumer Zeit befindet. Digitale Transformation, sinkende Werbeerlöse, Konkurrenz durch Social Media und KI, auch das veränderte Konsumverhalten der Menschen lassen derzeit viele Verlagsgeschäftsführer verzweifeln, wie und ob es weitergehen kann. Der andauernde Überlebenskampf wirft Fragen auf: Sollen Medienhäuser angesichts des wirtschaftlichen Abschwungs aufgeben? Sollen sie weiterstrampeln in der Hoffnung, dass sich unabhängiger Journalismus bezahlt macht? Oder sollen sie sich um alternative Geldquellen wie staatliche Subventionen bemühen?
Zugegeben, in Zeiten von Krisen, Kriegen und KI klingen staatliche Förderprogramme wie die verlockende Butter im Milchtopf, mit deren Hilfe die Rettung gelingen soll. Und es ist naheliegend, dass viele in der Branche nach neuen, tragfähigen Strukturen suchen, die eine nachhaltige Presse bewahren helfen können. Stiftungsgeld, Spenden, Sponsoring stehen ebenso auf dem Prüfstand wie staatliche Alimentierungen. Um zu überleben, erscheinen viele Mittel recht, solange die journalistische Unabhängigkeit gewahrt bleibt.
Spannungsverhältnis von Presseförderung und Pressefreiheit
Doch genau das ist der Knackpunkt: dass sich profitorientierte Medien von staatlicher Unterstützung abhängig machen. Aus gutem Grund ist die Pressefreiheit besonders in Deutschland ein hohes Gut, das zum Wohle der Demokratie geschützt werden muss. Dass staatliche Einflussnahme eine reale Gefahr darstellt, lehrt uns die Geschichte. Auch ein Blick in andere Länder wie Russland, Türkei, China, Venezuela oder Ungarn, in denen Journalisten gewaltsam angegriffen und getötet werden, lässt einen erschaudern.
Bei uns ist das Spannungsverhältnis von Presseförderung und Pressefreiheit subtiler, potenziell aber nicht minder heikel. Der digitale Strukturwandel, den die Entwicklungen der KI abermals beschleunigt haben, setzt Medienhäuser hierzulande unter Zugzwang. Um weiterhin Top-Recherchen abzuliefern, Relevantes zu berichten und qualifiziertes Personal einzustellen, müssen sie nach kreativen Einkommensquellen Ausschau halten. Für Technologieentwicklung (Prototyping) und Fact-Checking waren in den letzten Jahren daher Sponsorengelder der Tech-Riesen Facebook/Meta, Google und TikTok hochwillkommen. Diese vielen Millionen wirkten angesichts der wirtschaftlichen Schieflage wie der Butterbrocken, der die redaktionelle Innovationskultur beflügelt hat.
Inzwischen sind diese Fördermittel – bis auf wenige Ausnahmen – aufgebraucht. Gleichzeitig hat sich die Gemengelage in den Medien verschlimmbessert. Deshalb geraten Stiftungsgelder und – seit der Innovationsförderung der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM) – zuletzt verstärkt Bundes- und EU-Gelder ins Visier der Medien, um die eigene defizitäre Lage auszugleichen. Obwohl die „Staatsferne“ für unabhängige Medien verpflichtend ist, bieten Mischfinanzierungen, wie sie einige bereits praktizieren, eine unschöne Angriffsfläche für irrlichternde Kritiker von rechts.
Was die Diskussion derlei Konstruktionen aktuell zusätzlich befeuert, ist das Messen mit zweierlei Maß. Auf der einen Seite will man als Marktteilnehmer weiter die eigenen Profite mehren; auf der anderen Seite sich mit Steuergeldern Innovations- und Bildungsprojekte fördern lassen, die nicht zuletzt der eigenen Kundschaft nutzen und damit zweifelsfrei einen Eingriff in den Markt darstellen. Selbst öffentlich geförderte Einzelfinanzierungen werden – mindestens aus drei Gründen – jedoch auf Dauer scheitern:
Erstens konkurrieren die Projekte, wenn ihre Initiatoren nicht komplett in der Gemeinnützigkeit zu verorten sind, stets mit (anderen) kommerziellen Marktteilnehmern (Wettbewerbsverzerrung).
Zweitens: Solange für privatwirtschaftliche Medien keine buchhalterischen Offenlegungspflichten gelten wie für gemeinnützige Organisationen, lässt sich die konkrete Verwendung von Fördermitteln für Außenstehende und damit deren inhaltliche Unabhängigkeit nicht vollständig nachvollziehen (Transparenzgebot).
Drittens, der wichtigste Kritikpunkt: Für viele Redaktionen geht die Staatsförderung am eigentlichen Zweck ihres Tuns vorbei; da in Deutschland die rechtliche Grundlage eines „gemeinnützigen Journalismus“ fehlt, behelfen sich einige Häuser eines „Tricks“, indem sie plötzlich als Bildungsagenturen und Medienkompetenzzentren in Erscheinung treten. Und das, obwohl Außenstehenden wenig plausibel erscheint, warum nicht durch Weiterbildungen zumindest indirekt Journalismus gefördert wird (Zweckentfremdung).
Journalismus als Grundpfeiler einer freiheitlichen Demokratie
Wie man es auch dreht und wendet: Angesichts rückläufiger Auflagen und der teils missglückten Verlagerung ins Onlinegeschäft wird die Luft für Presseerzeugnisse dünner. Die journalistische Arbeit ist vor allem im Osten Deutschlands kein Vergnügen mehr. Bundesweit lässt sich die Presse allein über Abonnements und Werbung kaum noch finanzieren. Wie Medienschaffende in Zukunft unter würdevollen finanziellen Bedingungen arbeiten sollen, beschäftigt daher seit Jahren viele Akteure.
Von der „staatlichen Zustellförderung“ über die Idee einer „Null-Prozent-Mehrwertsteuer“ über einen „Medienfonds“ bis zur „strukturellen Innovationsförderung“ kursieren Ideen, die den Wert des Journalismus als Grundpfeiler einer freiheitlichen Demokratie herausstellen. Die Versprechen der Ampel waren sehr konkret. Das Ergebnis wird eine Beerdigung dritter Klasse sein. Allerdings gilt die Förderung der Presse unter Experten von jeher als vermintes Gelände, weil der Grundsatz der Staatsferne eingehalten werden muss.
Dabei geht es vor allem um die Nachvollziehbarkeit und Verhältnismäßigkeit der Vergabe von Steuergeldern. Die Gefahr besteht, dass Strukturförderungen den freien Wettbewerb stören. So ist die Frage berechtigt, warum nicht gleich alle Unternehmen Steuermillionen empfangen sollen, weil doch alle Medienhäuser mit ökonomischen Zwängen zu kämpfen haben. Zu den weiteren Sensibilitäten gehört, dass journalistisch-redaktionelle Inhalte von Staatswegen bislang nicht förderfähig sind, auch solche Projekte nicht, die im Kern kommerziellen Zwecken dienen.
Ob diese Grenze immer klar gezogen werden kann, darf bezweifelt werden. Angesichts der bevorstehenden Neuwahlen können somit alle bisherigen Fördermaßnahmen der Presse bis auf weiteres als gescheitert gelten. Mit einer Neuauflage dieser journalistischen Innovationsförderung ist allenfalls in der nächsten Legislatur zu rechnen. Das gilt offenkundig auch für einen weiteren sinnvollen Vorstoß, den Journalismus im Sinne der Gemeinnützigkeit zu fördern, sei es durch öffentliche Zuwendungen, Stiftungsgelder oder private Spenden.
Auf absehbare Zeit keine Fördermaßnahmen
Um zu verhindern, dass derlei Finanzquellen politischer Einflussnahme ausgesetzt sind, gilt diese Rechtsform als von sich aus staatsfern. Gemeinnütziger Journalismus ist steuerrechtlichen Transparenzregeln unterworfen, die öffentliche Zuwendungen nach dem Gießkannenprinzip verhindern helfen und somit eine verdeckte staatliche Presseförderung ausschließen. Das ewige Hin und Her zwischen den Bundesministerien gestaltete sich in den vergangenen Jahren der Ampel-Koalition als kafkaeske Hängepartie. Mit dem Ampel-Aus sind nun alle Hoffnungen auf eine Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus endgültig geplatzt.
Auch deshalb erscheint er keine umfassende Lösung für eine faire, transparente und vor allem: möglichst flächendeckende Presseförderung zu sein. Für den Perspektivwechsel lohnt – wie so oft – ein Blick über den Tellerrand: Das putzige Luxemburg gilt vielen als großes Vorbild für eine nationale Presseförderung.
Seit die EU-Medienkommission aus Brüssel 2021 grünes Licht für die Reform des staatlichen Beihilfesystems gab, können sich Redaktionen, die ihren Sitz in der parlamentarischen Monarchie mit den rund 670.000 Einwohnern haben, über einen stattlichen Geldsegen freuen: Jede Redaktion erhält pauschal eine jährliche „Innovationshilfe“ (226.275 Euro), dazu gibt es einen variablen Förderanteil von 33.941 Euro pro vollzeitbeschäftigtem Redakteur. Bei beiden Beträgen handelt sich – wohlgemerkt – um Zuschüsse.
Aus einem internen Papier ist zu erfahren, dass auch der DJV mit einer solchen staatlichen Medienförderung liebäugelt, die „alle förderrelevanten Bereiche – sowohl redaktionelle als auch operative – erfassen“ und „alle Möglichkeiten der Fördermechanismen – sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene – ausschöpfen“ könne. Die Förderung dürfe sich dabei nicht ausschließlich auf Printprodukte und deren Zustellung konzentrieren.
Mit Blick auf die seit der Coronapandemie äußerst angespannte Haushaltslage hierzulande, muss das für die heimischen Medienhäuser wie ein Schlaraffenland aussehen. In Luxemburg ist die unbürokratische Pressehilfe in den Medienhäusern nicht zuletzt deshalb hochwillkommen, weil sie als „technologieneutraler Fördermechanismus“ die Print- und Onlinepublikationen gleichermaßen einschließt: Geförderte Medien müssen regelmäßig erscheinen und dürfen keine Nischenpublikationen sein, sich also nicht nur an eine bestimmte Gruppe von Lesern richten, wenn sie die Förderung beanspruchen wollen.
Mit der Trump-Wiederwahl steht die Presse mehr unter Druck als jemals zuvor
Und sie müssen mindestens fünf Journalisten beschäftigen, die eine „Pressekarte“ vorweisen können, den vom luxemburgischen Presserat ausgestellten Berufsausweis. Herausgestellt hat sich inzwischen auch, dass kleinere Medien in Luxemburg bessere Überlebenschancen haben, seit die Pressehilfe erhöht wurde. Einen weiteren kongenialen Ansatz, wie eine künftige Journalismusförderung aussehen könnte, von der möglichst viele profitieren, verfolgt der im Sommer gestartete Media Forward Fonds (MFF), eine private Stiftungsinitiative mit Sitz in Berlin zur Förderung des Journalismus in Österreich, Deutschland und der Schweiz.
Mit dem MFF sollen gemeinwohlorientierte Medien gefördert werden, „die mit neuen Geschäftsmodellen experimentieren“. Gemeint sind Medien, die ihre Gewinne in Journalismus reinvestieren. Bisher verfügt der Fonds über neun Millionen Euro von renommierten Stiftungen wie Schöpflin, Rudolf Augstein und Mercator. Ziel ist die Summe von 25 Millionen Euro.
Mit dem Ampel-Aus und der Trump-Wiederwahl steht die Presse mehr unter Druck als jemals zuvor. Eine gemeinsame Förderbasis für den Journalismus zu schaffen, bleibt notwendig. Der Appell an die Politik kann nur lauten: Schaut euch eine funktionierende Pressehilfe wie in Luxemburg an, ermöglicht weitere Initiativen wie den Berliner Stiftungsfonds und gebt dem gemeinnützigen Journalismus Rechtssicherheit. Denn Journalismus ist schon lange kein gutes Geschäft mehr, in demokratiefeindlichen Zeiten wie diesen ist seine Bedeutung für das Gemeinwohl umso entscheidender. Meine Überzeugung ist: Guter Journalismus braucht Zuwendung(en) vom Staat, um überlebensfähig zu sein. Aus eigener Kraft wird er vor allem im Lokalen vieles kaum noch leisten.
Disclaimer:
Dr. Stephan Weichert ist Publizist, Berater und Medienwissenschaftler: Er leitet das Vocer-Institut für Digitale Resilienz in Hamburg und ist Beirat des Forums für gemeinnützigen Journalismus. In den Jahren 2023 bis 2024 verantwortete er das von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM) geförderte Forschungs- und Entwicklungsprojekt NPJ.news mit, das die Förderung des Nonprofit-Journalismus im deutschsprachigen Raum untersucht. Am 29. November 2024 erscheint sein neues Sachbuch "Resilienz in der Digitalen Gesellschaft. Mediennutzung in Zeiten von Kriegen, Krisen und KI" (Halem Verlag, Köln). Dieser Gastkommentar ist in einer stark gekürzten Fassung am 17. November 2024 in der "taz - die tageszeitung" erschienen.