Im Würgegriff toxischer Männlichkeit: Wie Machtmissbrauch am Arbeitsplatz aufgelöst werden kann

Auch 2023 wurden prominente Beispiele öffentlich: Immer wieder gibt es mächtige Männer, die ihre berufliche Situation ausnutzen. Deshalb hier ein paar Tipps, wie man einen solchen Missbrauch stoppt oder erst gar nicht aufkommen lässt.

Unternehmen berichten von Teamleitern, die während der Nachtschicht willkürlich Frauen aus der Montage sexuell nötigen, oder von Cholerikern, die ihre Untergebenen schikanieren. Üblicherweise begünstigt ein Machtgefälle diese Fehlentwicklungen. Gemäß dem Motto „Wehret den Anfängen“ kann ein frühzeitiges Einschreiten weiteren Schaden begrenzen – für Opfer wie für Täter.

1. Fehlverhalten beenden

Bereits der Verdacht eines (Macht-)Missbrauchs sollte angezeigt werden – entweder beim etwaigen Täter, bei Vorgesetzen oder Beauftragten. Denn die Klärung, ob ein Sachverhalt überhaupt zutrifft, schützt den Beschuldigten einerseits vor Denunziation und ist anderenfalls der schnellste Weg, dieses Fehlverhalten zu beenden. Zugleich hat solche Transparenz eine pädagogische Wirkung und schreckt Nachahmer ab.

2. Psychische Störung therapieren

Im Fall sexuellen Missbrauchs – der Autor weiß etwa von Fällen, in denen Kolleginnen auf dem Weg zur oder in der Toilette heimlich gefilmt wurden – liegt beim Täter meist eine psychische Störung vor. Diese kann viele Ursachen haben und hat nicht selten bei der eigenen Mutter ihren Ursprung. Im Kern geht es meist darum, Frauen abzuwerten, eigene Macht zu demonstrieren, Unsicherheit zu überspielen und letztlich Aggressionen auszuagieren. Solches Verhalten gehört nirgendwohin, am wenigsten aber an den Arbeitsplatz.

Betroffene sollten deshalb von sich aus Hilfe bei einem Therapeuten suchen und mit ihm über diesen Drang sprechen. Dritte, insbesondere Vorgesetzte, sollten Betroffenen dasselbe nahelegen, allein schon aus Gründen der Fürsorgepflicht für die Belegschaft – und den Täter.

3. Selbstzweifel und Geltungsdrang

Der Missbrauch einer beruflichen Position oder Stellung aufgrund von Langjährigkeit oder Wichtigkeit im Unternehmen ist die Folge mangelnder Selbstwahrnehmung und -kontrolle. Nicht selten begünstigen Selbstzweifel oder Geltungsdrang bis hin zur Geltungssucht ein solch dominant-aggressives Verhalten. In Wahrheit ist der Aggressor zutiefst bedürftig und verunsichert, was er mit seinen Überschreitungen der Grenzen und Persönlichkeitsrechte anderer kompensiert. Diese Instabilität macht ihn unberechenbar und damit für sich und andere gefährlich – so weit die Diagnose.

Auch in diesem Punkt sollten Betroffene unbedingt an ihrem Ego arbeiten, idealerweise mithilfe professioneller Dritter. So könnte der Täter ausleuchten, woher seine existenziellen Selbstzweifel rühren. Nicht selten sind diese frühkindlich verursacht durch Mutter oder Vater, die den Sohn entweder ablehnten, nicht präsent waren oder nicht in der Lage, den Buben zu bestärken, weil sie etwa depressiv und/oder alkoholkrank waren. Solche Wunden können aber geheilt werden, in dem der Betroffene diese Zusammenhänge bewusst wahrnimmt und versteht und sich etwa auf seine Stärken und Erfolge besinnt. So wäre es bereits eine Stärke, sich seinen Verletzungen und Schwächen zu stellen.       

4. Rückkehr in das Team

Jeder Mensch hat das Recht auf eine zweite Chance, gern auch auf eine dritte oder vierte, wenn sein Engagement zur Veränderung erkennbar ist und sein Team dazu die Kraft und Bereitschaft hat. Eine moderierte Teamentwicklung ist dann günstig, in der der vorherige Täter von seiner Veränderung spricht, sein Bedauern ausdrückt und eventuell auch zu verstehen gibt, woher seine Deformationen rührten. Das hilft anderen, besser verstehen, verzeihen und schließlich neu vertrauen zu können.

Zugleich müssen Beteiligte und erst recht Betroffene, also vorherige Opfer, die Möglichkeit haben, auch ihre Befindlichkeit einzubringen: Was sie mit dem vorherigen Täter erlebt haben, welche Auswirkungen das auf sie hatte und welche Befürchtungen, aber auch Hoffnungen sie nun in sich spüren. Dazu gehört auch, dass sie etwa Bedingungen formulieren, unter denen sie bereit sind, wieder zu kooperieren. Das kann bspw. sein, nicht allein mit dem Kollegen in einem Raum zu sein. Und nach vier Wochen und drei Monaten sollte reflektiert werden, idealerweise wieder extern moderiert, wie sich die Atmosphäre nun gestaltet und ob Befürchtungen eingetreten sind.

5. Fazit und neue Chance

Die Störung ist immer eine große Zumutung für alle Beteiligten. Nicht zu Unrecht steckt darin das Wort Mut. Denn im Versuch, die Irritation zu beheben, geht jeder aus seiner Komfortzone, muss sich zeigen und sammelt auf ungewohntem Terrain neue Erfahrungen. Diese erweitern nicht nur seine Handlungsklaviatur, sondern schenken ihm mehr Wissen über seine Kollegen.

Unter dem Strich kann so wechselseitig Vertrauen wachsen, das ein Team stärker, belastbarer und virtuoser macht. Die Krise kann dann letztlich das Geschenk an das Team gewesen sein, damit aus Kollegen Freunde werden. Das Fremde muss dann nicht mehr zwingend als Bedrohung abgelehnt werden, sondern kann als Herausforderung zu weiterem Wachstum gesehen werden.

Leonhard Fromm schreibt über Coaching, Therapie, Klarheit im Alltag, Gesundheit & Soziales

geboren 1963, 2 facher Vater, gelernter Wirtschaftsredakteur, 2002 Gründung der eigenen Kommunikationsagentur. Nach mehreren Krisen befasse ich mich seit 2009 mit meiner Biografie, habe eine gestalttherapeutische Ausbildung absolviert und bin beratend tätig - biete Seminare und Coachings an.

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