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„In der Theorie ist Nachhaltigkeit einfach. Spannend wird es auf der Baustelle!“

Nachhaltigkeit ist für viele Menschen heute zu einem „Stellvertreterbegriff“ geworden, der für die Unzufriedenheit mit der Gegenwart steht (Unmut über politische Entscheidungen, wachsende EU-Bürokratie etc.). Doch Nachhaltigkeit an sich ist nicht das Problem, sondern der missbräuchliche Umgang mit dem Begriff (Greenwashing, leere Versprechungen). Dennoch ist eine zunehmende Relevanz des Themas im Bauwesen zu verzeichnen. Auch wenn die „Große Transformation“ von Wirtschaft und Gesellschaft hin zu einer nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise zuweilen ins Stocken zu geraten scheint – aufzuhalten ist sie nicht, denn Unternehmen müssen sich immer schneller an Veränderungen anpassen und neu positionieren. In diesen Zeiten des Wandels und der Unsicherheit können Strategieprozesse genauso zum Risiko werden wie das Festhalten an business as usual.

„Die Transformation hin zur Kreislaufwirtschaft ist alternativlos“, sagt Fabian Wiesler, der gemeinsam mit Peter Bachmann das Startup CircularSkills gegründet hat. Dazu wollen sie einen Beitrag leisten, indem sie „den längsten Hebel für die beste Wirkung finden.“ Ihr Geschäftsmodell soll vor allem auf der Baustelle funktionieren, denn wichtig ist die bauliche Praxis. Das hat das Unternehmen bereits in mehreren Projekten (z.B. Inara Suites, ein innovatives Apartmenthaus-Projekt, das neue Standards im Bereich Nachhaltigkeit und Zirkularität setzt) gezeigt. Noch in diesem Jahr folgen weitere Praxisprojekte. „In der Theorie ist Nachhaltigkeit einfach. Spannend wird es auf der Baustelle!“, so Bachmann.

Die Bau- und Baustoffindustrie ist mit steigenden Umwelt- und Nachhaltigkeitsanforderungen auf europäischer und nationaler Ebene konfrontiert. Das Institut Bauen und Umwelt e.V. (IBU) ist der größte Zusammenschluss von Herstellern der Baustoffindustrie, der sich für nachhaltiges Bauen einsetzt und Anbieter umfassender Ökobilanzdaten. Dabei wird der gesamte Lebenszyklus des Bauprodukts einbezogen. Damit haben Deklarationsinhaber von Umwelt-Produktdeklarationen (EPDs) die Möglichkeit, ihre Produkte zusätzlich hinsichtlich ihres CO2-Fußabdrucks auszuweisen, basierend auf den geprüften EPD-Daten.

Der Einsatz von EPD-Tools trägt auch dazu bei, die Erstellung und Verifizierung von EPDs effizienter zu gestalten, was zu einem deutlichen Anstieg der veröffentlichten Deklarationen führt. Mit IBU.data wird eine zentrale Plattform für den Zugriff auf digitale EPDs bereitgestellt. Durch die Integration eigener Schnittstellen ermöglicht die Plattform Herstellern und Planern, EPD-Daten nahtlos und effizient in digitale Planungsprozesse zu integrieren. Seit der Einführung der EPD-Plattform im Jahr 2012 hat das IBU insgesamt über 4.700 EPDs publiziert. Dies belegt zugleich die kontinuierlich wachsende Bedeutung von EPDs im Bauwesen. Allerdings steht die wachsende Nachfrage nach EPD-Prüfungen europaweit einer begrenzten Verfügbarkeit qualifizierter Verifiziererinnen und Verifizierer gegenüber. Dieser Herausforderung wird mit gezielten Maßnahmen begegnet: Beispielsweise wird auf die systematische Ausbildung neuer Verifizierender gesetzt. Dadurch werden Prüfprozesse langfristig effizienter gestaltet und der steigende Bedarf zuverlässig abgedeckt.

„Eine EPD liefert wertvolle Informationen über das Produkt, wie beispielsweise die Treibhausgasemissionen bezogen auf den ersten Lebenszyklus. Jedoch braucht es noch viele weitere Informationen und neue Produkteigenschaften, um eine bestmögliche Objektivität zu gewährleisten“, sagt Fabian Wiesler. Die EPD sollte ihrer meiner Meinung nach mit Aspekten der Kreislaufwirtschaft wie beispielsweise „mit der Betrachtung der nachfolgenden Lebenszyklen angereichert werden.“ Eine ganzheitliche Betrachtung der verbauten Produkte und ihrer Wechselwirkung ist wichtig, weil die Kreislauffähigkeit nicht beim Produkt selbst beendet ist. Ein potenziell kreislauffähiges Produkt, das stoffschlüssig irreversibel mit anderen Produkten gefügt wird, ist nicht sinnvoll. Deshalb sei "die Fügetechnik der unterschiedlichen Produkte innerhalb der individuellen Anwendungen essenziell", so Wiesler.

Die Prinzipien basieren gestützt durch EU Direktiven auf den fünf Transformationsschwerpunkten: Treibhausgasemissionen, Kreislaufwirtschaft, soziale Aspekte, Materialgesundheit und Biodiversität. Auf dieser Basis werden die Eigenschaften des Produktes bzw. des Gebäudes transparent gemacht. Zuerst werden Produkte anhand der fünf Transformationsschwerpunkte im Ursprung betrachtet. Ziel ist es, Produkte auszuwählen, die möglichst stark auf die Transformationsschwerpunkte einzahlen. Dann wird das Produkt innerhalb der Nutzungsdauer betrachtet. Anschließend folgt die Betrachtung der Lebenszyklen nach dem ersten Lebenszyklus. Dann muss bestimmt werden, welche nachfolgenden Lebenszyklen für das Produkt nach dem ersten vorgesehen wird. Dabei ist darauf zu achten, dass die Müllverbrennungsanlage und die Deponierung ausgeschlossen wird. Die Wiederverwendung oder das Recycling ist klar zu bevorzugen. Die Berechnungsmethodik unterscheidet sich in Abhängigkeit des jeweiligen Transformationsschwerpunktes (dazu hier detailliert im Interview). Letztlich ergibt sich aus allen Schwerpunkten ein Rating, das transparent gemacht werden kann.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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