In jedem Unternehmen sitzt ein Max Eberl – und darum brauchen wir auf der Arbeit Feelbad-Manager
Ein weinender Mann sitzt vor dutzenden Mikrofonen und erklärt öffentlich, dass er nicht mehr in der Lage sei, seinen Job auszuüben. Er verabschiedet sich unter Tränen von seinem, wie er es nennt, „Lebenswerk“.
Ein Kommentar von Anika Gottschalk
Max Eberl, Sportdirektor des Bundesligaclubs Borussia Mönchengladbach, sagt, er sei ein Beispiel für das, was gerade auf der Welt passiere: Die eigenen Ansprüche und die des Vereins, der Druck der Öffentlichkeit und die ständige Beurteilung und Bewertung durch Medien und soziale Netzwerke hätten dazu beigetragen, dass der Mensch Max Eberl die Notbremse ziehen musste. Aus dem einst freudvollen Job sei ein seelenfressender Kraftakt geworden. Max Eberl übernimmt für sich Verantwortung. Weil es sonst keiner tut.
Der Club habe seit dem Herbst vergangenen Jahres alles versucht, um „ihn umzudrehen“, ihn vom Bleiben zu überzeugen. Wie sich heute zeigt, war das der genau falsche Weg. Es wäre vielmehr Aufgabe des Arbeitgebers gewesen, die Signale richtig zu deuten und dafür zu sorgen, dass Eberl nicht in der physischen und psychischen Überlastung endet. Und, seien wir ehrlich: In den meisten Unternehmen ist das Bewusstsein für Burnout und das Erkennen erster Anzeichen ebenso stark ausbaufähig wie im Profi-Fußball. Geschweige denn, dass es Systeme und Menschen gäbe, die Betroffene professionell auffangen und weitertragen könnten.
Max Eberl ist die sichtbare Spitze des Eisbergs in unserer gestressten Gesellschaft. Das ist ein Problem, das Millionen Menschen in unserem Umfeld betrifft – im Büro oder zuhause.Olympiasieger und XING Insider Sven Hannawald
Einer, der selbst erlebt hat, was Leistungsdruck und ständige Grenzüberschreitung auslösen, ist der ehemalige Skispringer und XING Insider Sven Hannawald. Er erkrankte vor Jahren am Burnout-Syndrom, eine Belastungs-Depression, und berät heute Unternehmen zu Präventivmaßnahmen für Mitarbeitende. „Max Eberl ist die sichtbare Spitze des Eisbergs in unserer gestressten Gesellschaft. Das ist ein Problem, das Millionen Menschen in unserem Umfeld betrifft – im Büro oder zuhause. Die Überlastung unserer Kollegen, Freunde und Familienangehöriger erkennen wir oft nicht. Weil wir vor lauter digitaler Ablenkung nicht mehr hinsehen. Nicht zuhören und wissen, was wir präventiv mit echten Menschen machen können, um Burnout zu verhindern, wenn der Akku leer ist. Unternehmen können den Anfang machen mit gesunder Führung und zugleich jeder Einzelne mit mehr Achtsamkeit und Mut zur Pause“, sagt Hannawald XING News.
Hoffnung, dass Vereine um die Notwendigkeit eines Umdenkens wissen, machen Twitter-Reaktionen wie beispielsweise vom 1.FC Union Berlin: „Mentale Gesundheit ist genauso wichtig wie die körperliche. Das müssen wir noch lernen.“ Oder wie FC Schalke 04 schreibt: „Max Eberls Entscheidung zeigt, dass es noch eine Gesundheit und ein Wohlbefinden abseits von Muskeln und Faserrissen gibt, um die wir uns stärker kümmern müssen.“
Gesellschaftliche Akzeptanz statt frommer Lippenbekentnisse
Derartige Äußerungen dürfen allerdings keine Lippenbekenntnisse bleiben. Ein schneller Post oder Tweet, um diesem Schritt Respekt zu zollen, ist eine nette Geste. Ein empathischer Kommentar und flammende Plädoyers zur Verbesserung von Männergesundheit sind wichtig. Aber wer wirklich etwas verändern will, in seinem Unternehmen oder auch im privaten Bereich, muss Zeit investieren, sich mit dem Thema eingehend beschäftigen und Räume schaffen, in denen vorurteilsfrei zugehört und gemeinsam nach einer Lösung gesucht wird.
Es braucht mehr Menschen, die über ihre Sorgen und den Druck, unter dem sie stehen, nicht zuletzt seit die Corona-Pandemie uns allen viele Gewissheiten geraubt hat, sprechen. Und damit zeigen, dass es einen Ausweg und ein Danach gibt. Bestenfalls bevor sie darunter zusammenbrechen und unter Tränen ihren Abschied verkünden müssen.
Zudem braucht es gesellschaftliche Akzeptanz für die Daseinsberechtigung von negativen Emotionen wie Angst, Hilflosigkeit und Überforderung. Sie müssen von jedem offen benannt werden können, ohne Furcht vor Job- oder Gesichtsverlust. Das gilt nicht zuletzt auch oder gerade für Männer, CEOs und Cheftrainer.
Wir brauchen keine Feelgood-, sondern eher Feelbad-Manager•innen
Und unsere neue Arbeitswelt, in der die Grenzen zwischen Job und Privat zunehmend verschwimmen – ein Phänomen, das im Fußball schon länger existiert – muss sich zunehmend damit beschäftigen, wie der Mensch das künftig ausbalancieren kann. Es braucht keine Feelgood-Manager•innen, sondern eher Feelbald-Manager•innen. Deren Aufgabe darin besteht, genau hinzusehen und -zuhören. Die geschult sind darin, Warnzeichen von Stress und Überlastung früh zu erkennen, statt toxisch gut gelaunte Firmenkulturen zu errichten. Die den Zugang zu Psychologen und Coaches haben und gemeinschaftlich Lösungen erarbeiten. Die sichere Räume schaffen, für alle, die einfach nicht mehr können. Am Ende wird das sogar auf die KPIs positiv einzahlen: Schon heute gehören psychische Erkrankungen zu den häufigsten Gründen, warum Menschen bei der Arbeit ausfallen. Wer sich gut um seine Leute kümmert, wird mit glücklicheren und gesunden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern belohnt. Das ist echtes New Work.
Im Fall von Max Eberl scheint diese Art Unterstützung gefehlt zu haben. Schuld trifft niemanden. Aber es wäre fahrlässig, wenn wir nicht als Gesellschaft daraus lernen und etwas mitnehmen würden.
Lesetipp
Ralf Lanwehr beschäftigt sich mit harten Fakten zu weichen Themen aus dem Dreieck Psychologie-BWL-Mathe. Er berät DAX-Vorstände, trainert Führungskräfte und coacht Bundesligatrainer. Als XING Insider für Führung & Transformation blickt er hinter die Kulissen des Profifußballs: "Die Causa Eberl – Wie man Management nicht nur im Profisport gesünder aufstellt"