Innovationen und Digitalisierung: Sinn und Unsinn von Digitallaboren
Lange sind Unternehmensbereiche wie ein geschlossener Kosmos gewesen, der in vergangenen Zeiten auch funktioniert hat, doch heute im Komplexitätszeitalter gilt das immer weniger. Denn künftig wird sich der Wettbewerb für Unternehmen nicht mehr nur in altbekannten Analysen, Strukturen und Branchen bewegen, sondern sich zunehmend auch in diese offenen Bereiche verlagern, wenn sie weiterhin nachhaltig profitabel sein und bleiben wollen. Der reine Fokus auf die eigenen Handlungsfelder verengt den Blick auf operative Verbesserungen in der gesamten Wertschöpfungskette. Das erklärt auch den derzeitigen Boom von Innovation Labs, die ein wichtiger Radar für Chancenfelder von Unternehmen sind und dazu anregen, nicht nur Produkte zu überdenken, sondern auch das Wesen von Beziehungen.
Die Grenzen zwischen interner und externer Öffentlichkeit sollten hier verschwimmen, so dass die Freiheit des Denkens nicht als Bedrohung empfunden wird. Erst dann lassen sich neue Formen von „Entwicklungsenergie" erzeugen, die wir für die Gestaltung der Zukunft brauchen. Auch der Aspekt der physischen Nähe ist zentral, denn ein Kulturwandel ist nur durch innovative Lösungsfindung und Ideenentwicklung möglich, die durch die „greifbare“ Gemeinschaft verschieden denkender und talentierter Menschen bestimmt wird.
Die Unternehmensführung muss entsprechende Rahmenbedingungen für das Verhalten der Organisationsmitglieder schaffen, um das kongruente Verhalten mit der Markenidentität sowie eine lebendige Unternehmenskultur zu ermöglichen, die zwischen den Menschen ein Gefühl von Gemeinschaft stiftet. Damit verbundenen ist die Notwendigkeit, Veränderungsprozesse nachhaltig zu gestalten. Es ist eine offene und interdisziplinäre Werkstatt und Fortbildungsfläche, die zugleich neue Dimensionen des Lernens eröffnet. Sehen, Fühlen und Fassen sind dabei gleichermaßen von Bedeutung. Denn: „Wenn Menschen Dinge sehen, fühlen, mit ihnen interagieren können, dann beginnt ihr Geist sich zu verändern", sagt der US-amerikanische Unternehmer Howard Schultz, der als Start-up- und zurückgekehrter Transformationsmanager bei Starbucks einen nachhaltigen Kulturwandel eingeleitet hat.
Das Lab versetzt alle - Mitarbeiter, Führungskräfte und Partner - in die Lage, im eigenen Bereich besser zu werden. Es liefert durch die begleitende Forschung und Entwicklung aber auch wichtige Daten für entsprechende Fachbereiche. Zu den Kernbegriffen gehören Eigenverantwortung, Nachhaltigkeit, Open Source, Kreativität und Initiative. Um Digitallabore zu bewerten, sollten folgende Fragen im Fokus stehen:
• Was sind die Ziele in Bezug auf digitale Innovation und Transformation?
• Wie wird die Zielerreichung gesteuert und gemessen?
• Welche Vorgaben und Rahmenbedingungen braucht es dafür?
• Wie sollte die Balance zwischen Freiheit und Zielsetzung aussehen?
• Wer setzt die Themen?
• Wie eng ist das Digitallabor mit anderen Geschäftseinheiten sowie mit Partnern und Kunden verbunden? Wie ist dies organisiert?
Negative Entwicklungen
Die Lab-Kultur treibt zuweilen seltsame Blüten: So verweisen viele Vorstände gern auf die Labs in ihren Unternehmen, weil sie damit auch demonstrieren, dass sie am Puls der Zeit sind. So berichtete Rüdiger Grube, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Deutsche Bahn AG und DB Mobility Logistics AG vor einigen Jahren in einem Interview, dass sie „Laboratorien für die digitale Zukunft" (zukunftslabor d.lab) aufgebaut haben: ein Mobilitäts-Lab in Frankfurt, ein Infrastruktur-Lab an der Berliner Jannowitz-Brücke, ein Transport-Logistik-Lab in Dortmund, ein Lab für Produktion und für IT und Arbeitswelten 4.0. Dies seien Räume für den „Spirit der Turnschuhgeneration“, die Start-up-Mentalitäten öffnen sollen. Die Inspiration kam aus dem Silicon Valley. Das bedeutete, dass ein „Dutzend Bahn-Mitarbeiter" 2014 das Silicon Valley bereiste, „um Gründeratmosphäre zu schnuppern und Entwicklergeist mitnehmen zu können". Danach hatten sie lediglich die Erkenntnis: „So geht es nicht weiter." (Handelsblatt Wochenende, 30.4.-3.4.2015)
Was folgte, waren äußere Anpassungen, die beispielsweise darin bestanden, das Lab mit dem berühmten Satz von Steve Jobs „Stay hungry, sty foolish" zu schmücken. Auch finden sich Glühlampen unter Sonnenschirmen, „garniert mit Plastikranken", Laptops befinden sich auf Ikea-Arbeitsplatten. Und auch ein bunter Stoffpapagei gehört zum Inventar. In anderen Labs befinden sich Sitzsäcke, Obstteller und bunte Zettel. In der Ideenschmiede (Business Intelligence) der Hamburger Otto Group, einem luftigen Großraum mit kleinen Gesprächsinseln, stehen Ohrensessel in „Star Trek"-Optik. Morgens gibt es hier eine Aufwärmrunde, „für die auf einer Balustrade bunte Hütchen bereitstehen. Zwischen den Schreibtischen liegen Wasserpistolen und gelbe Plastiktiere." (Capital 4/2015). Wenn Digitalisierungsmaßnahmen in Unternehmen so ablaufen, ist der Wertbeitrag zum Kerngeschäft sehr gering. Der Vorstandsvorsitzende bot vor einigen Jahren allen Mitarbeitern das „Du“ an. Zu dieser Entwicklung gehört auch die Vorliebe für Sneakers, die Vorstände zu Hauptversammlungen und offiziellen Terminen tragen.
Warum der Silicon Valley-Tourismus nicht nachhaltig ist
Um sich dem Geheimnis der Kreativität und Innovation anzunähern, braucht es keinen Silicon Valley-Tourismus, um kalifornischen Gründergeist nach Deutschland zu transportieren. Und auch keine langen Bärte der Rückkehrer, denn der Mensch bleibt doch innen gleich. Wer kreativ ist, ist es zu jeder Zeit und an jedem Ort. Wem das Schöpferische fehlt, erhält es auch nicht durch äußere Impulse. Unternehmen sollten vielmehr Bedingungen schaffen, die ein ständiges gutes Arbeiten in einem natürlichen Umfeld ermöglichen. Dazu gehört auch eine Atmosphäre, in der Menschen lernen, allein mit sich zu sein. Die wirklich Kreativen brauchen keinen Stoffpapagei, weil sie (wie Karl Lagerfeld es war) selbst der Taubenschlag sind, bei dem die Ideen ein- und ausfliegen. Je mehr Lagerfeld machte, desto mehr Ideen hatte er auch. Er zeichnete wie er atmete – nicht auf Befehl, sondern aus innerer Notwendigkeit, die einfach passierte. Für Menschen wie ihn war alles Geistige Nahrung. Seine Spezialität war sein Gehirn, das die Dinge gebrauchte und verwandelte.
Von ihm lässt sich mehr lernen als von manchen Labs – nämlich, dass es genügt, einfach seinem Instinkt zu folgen, sich nicht zu viele Fragen zu stellen, immer weiter zu machen und dabei niemals zufrieden zu sein. Dabei kommt es nicht darauf an, überall und mit jedem vernetzt zu sein, sondern sich richtig zu vernetzen. Ideen „kommen", wenn Beruf und Berufung verschmelzen. Sie können nicht „bestellt" werden. Vermutlich würde sich Lagerfeld über einige Kreativlabs amüsieren, denn man kann nicht sagen: „Morgen früh hätte ich gern eine Idee, und dann kommt sie einfach. Sie kommen, wann sie kommen wollen...".
Was kleine und mittlere Unternehmen tun
Hier lässt sich vor allem von Mittelständlern mit einer nachhaltigen Firmenphilosophie lernen, die auf das Natürliche setzen und von sich sagen, dass sie „ehrlich, glaubwürdig und bodenständig" sind, sagt Claudia Silber, Leiterin der Unternehmenskommunikation bei der memo AG. Der Firmenstandort des Öko-Pioniers liegt „auf der grünen Wiese" in Greußenheim bei Würzburg. Kreativität und Innovation werden hier auf „natürliche Weise“ gefördert: etwa durch einen Naturgarten rund ums Firmengebäude. Bei schönem Wetter stehen den Mitarbeitern in den Pausen eine bestuhlte Terrasse zum Entspannen und eine große Rasenfläche für sportliche Aktivitäten zur Verfügung. An kalten oder regnerischen Tagen werden die Pausen in den Wintergarten verlegt, wo sich ein Cafeteria-Bereich mit Küche und bequemen Sitzmöglichkeiten befindet. Nur mit Plastikblumen ist es eben nicht getan.
Weiterführende Informationen:
CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag. Berlin Heidelberg 2017.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.